Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses bekommt ein neues Fundament
Die Debatten um einen Wiederaufbau des Berliner Schlosses und um den Abriss des Palastes der Republik werden wieder intensiver. Dieser Tage hat der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, das Jahr 2005 ein "Entscheidungsjahr" für das geplante Humboldt-Forum im Berliner Schloss genannt und eine bundesweite Initiative der Stiftung für dessen Neubau angekündigt. Weiter wurde bekannt, dass das Ausschreibungsverfahren des Berliner Senats für den Abriss des Palastes der Republik abgeschlossen ist und dass von der Bauverwaltung in den nächsten Tagen eine Auftragsvergabe zu erwarten ist.
Das Thema "Berliner Schloss" ist seit der Wende ein Dauerthema in Berlin. Fast unversöhnlich prallten die Meinungen aufeinander, ob der im Herzen Berlins zu DDR-Zeiten gebaute Palast der Republik bestehen bleibt oder ob das frühere Stadtschloss der Hohenzollern wieder aufgebaut werden soll. Das einstige Schloss, über Jahrhunderte gebaut und von dem Barockmeister Andreas Schlüter im 17. Jahrhundert in seine unverwechselbare Form gegossen, war im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt worden, hätte aber nach Ansicht vieler Experten erhalten werden können. Auf Anordnung der SED war es 1950 gesprengt und dann völlig abgetragen worden.
Die schwierigen Diskussionen um Schloss und Schlossplatz hatten im Jahr 2000 zur Berufung einer internationalen Expertenkommission geführt. Deren Empfehlung ging dahin, ein Gebäude in den Grundrissen des Schlosses und historischer Fassade an der Nord-, West- und Südseite zu bauen, was insbesondere in Richtung des Boulevards Unter den Linden den Wiederaufbau der stilbildenden Kuppel und der prächtigen Portale bedeutet hätte. In das Gebäude sollten Universitäts- und Landesbibliothek, Sammlungen der Humboldt-Universität und die völkerkundlichen Museen untergebracht werden. Der Deutsche Bundestag hatte diesen Plan in einer Debatte am 4. Juli 2002 erörtert und ihn fast einstimmig (mit Ausnahme der PDS-Fraktion) gutgeheißen.
Die inzwischen erfolgte Asbestsanierung des Palastes hatte nicht, wie von vielen insgeheim erhofft, zum Abriss des Gebäudes geführt. Im Gegenteil, die enormen Kosten eines Schlossbaus wirkten geradezu lähmend auf alle weiteren Arbeiten; es mehren sich Stimmen, die vorschlagen, die bestehende Bausub-stanz mit einer Schlossrekonstruktion zu verbinden.
Zu ihnen gehört ein Team von Baumeistern und Stadtplanern um den Architekten Manfred Prasser. Der heute 72-jährige, aus Chemnitz stammende Prasser weiß, wovon er spricht, wenn er einer behutsamen Veränderung das Wort redet: Prasser hatte seinerzeit das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, den neuen Friedrichstadtpalast und Teile des Nikolaiviertels gebaut, vor allem aber hat er den viel zitierten "Großen Saal" im Palast konzipiert, der nach wie vor voll funktionsfähig ist.
Prasser plädiert dafür, die vorhandene Bausubstanz des Palastes für eine Schlossrekonstruktion zu nutzen. Beginnend an der (zur Spree gelegenen) Ostseite sollte ein Teil abgebaut und durch einen am historischen Vorbild des Schlosses neuen Bauteil ersetzt werden. Nach und nach sollte so der jetzige Palast verändert und gleichsam wieder zum Schloss werden: "Ich reiße nicht ab, sondern verbinde den Abbau störender Teile mit einem Neubau des Schlosses. Das ist billiger und kürzer." Den historischen Schlossteil vor dem Palast will Prasser unter Verzicht auf den Schlüterhof, aber mit Kuppel, Schlüter- und Eosander-Portal wiedererrichten. Und auch die historische Schlossapotheke - dies in besonderer Absicht: In der Schlossapotheke sollte der Bundespräsident residieren.
Prasser setzt bei seinem Konzept auch darauf, dass es erheblich billiger kommen sei als ein Totalabriss des Palastes mit anschließendem Neubau des Schlosses. In der Tat ist völlig offen, wie die dafür geschätzten Kosten von rund 800 Millionen Euro aufgebracht werden könnten. Ein unermüdlich für den Wiederaufbau agierender Förderverein unter Wilhelm von Boddien hofft auf die Spendenbereitschaft der Deutschen und kalkuliert, in den kommenden Jahren etwa 80 Millionen zusammenzubekommen. "Das reicht schon einmal für die Schlossfassaden", sagt er.
Fachleute ängstigt eher etwas anderes: Der jetzige Palast der Republik ruht in einer 100.000 Tonnen schweren Betonwanne, die sechs Meter tief im Grundwasser liegt. Der schwierige Berliner Untergrund - leichter märkischer Sand, Grundwasser, ein von Ost nach West ziehendes Urstromtal - lässt bei jeder gravierenden Veränderung empfindliche Reaktionen an benachbarten Gebäuden wie Dom, Staatsratsgebäude oder auf der Museumsinsel befürchten. Das könnte sogar schon bei einer Flutung oder Perforierung der Wanne eintreten. Experten warnen daher vor einem Abriss; die Wanne sei voll funktionsfähig, es sei "aberwitzig", hier etwas zu verändern. Eine Auftriebssicherung würde rund 120.000 Kubikmeter Material erfordern, die Kosten wären immens. In den nächsten Tagen wird man wissen, wie die Senatsverwaltung entschieden hat.
Was geschieht in Berlins Mitte? Kommt der Totalabriss von Wanne und Palast? Wird ein "Schloss" - ein Neubau mit drei historischen Fassaden - entstehen? Kommt es zur Verwirklichung des Prasser-Vorschlags eines sukzessiven Umbaus? Werden private Investoren beteiligt? Viele Fragen, die jetzt erneut virulent werden. Derzeit wird das asbestgereinigte Gebäude teilweise wieder kulturell genutzt. Fährt man, von Unter den Linden kommend, auf den Palast zu, steht auf der Vorderfront in riesigen Lettern das Wort "Zweifel" - in der Tat ein treffender Ausdruck.