Zur geplanten Verschärfung des Versammlungs- und Strafrechts
Wir wollen die NPD beschränken, aber nicht so weit gehen, das Versammlungsrecht für alle Bürger einzuschränken", kommentiert die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Silke Stokar, den Entwurf und berührt ein grundsätzliches Problem: Wie wehrhaft darf die Demokratie sein, ohne dass sie sich selbst demontiert, indem sie existenzielle Grundrechte beschneidet? Die rot-grüne Regierungskoalition ist überzeugt, die Gratwanderung geschafft zu haben. Am 11. März sollen die Einschränkung des Versammlungs- und die Verschärfung des Strafrechts im Bundestag verabschiedet werden. Eigentlich sollte der Gesetzentwurf bereits am vergangenen Freitag in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden, doch die Union setzte eine Expertenanhörung für den 7. März und damit eine Aufschiebung des Gesetzgebungsverfahrens durch.
Nach den Vorstellungen der Koalition soll künftig mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden können, wer von den Nationalsozialisten begangene Menschenrechtsverletzungen billigt oder verherrlicht und dadurch die Würde der Opfer verletzt. Die neue Regelung ginge über den Straftatbestand der Holocaust-Leugnung hinaus. Bespielsweise wäre auch die Billigung der Zwangssterilisationen oder der Morde an Homosexuellen unter dem NS-Regime strafbar. Wenn die Gefahr besteht, dass auf einer Demonstration derartige Straftaten begangen werden, könnte sie auf dieser Basis verboten werden. Ziel solle allerdings nicht sein, alle rechtsextremen Demonstrationen zu verbieten. "Solange die NPD nicht verboten ist, dürfen wir sie nicht durch Trickserei ganz von der Straße bringen, das wäre verfassungswidrig", erklärt Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.
Zudem sollen NS-Gedenkstätten besonders geschützt werden, wenn die Würde der Opfer beeinträchtigt wird. Namentlich im Entwurf erwähnt ist das Holocaust-Mahnmal, weitere Gedenkstätten sollen dazu kommen. "Ich gehe davon aus, dass es eher 15 als 50 sein werden", sagt Stokar. Lange umstritten war in der Koalition die Frage, inwieweit die Länder die besonderen Orte bestimmen können. Rot-Grün hat sich auf eine Festlegung durch den Bund geeinigt. "Wir haben die Verantwortung, dass es keine ausufernde Liste wird", begründet Stokar. Die Union möchte allerdings eine Länderbeteiligung durchsetzen, auch Rheinland-Pfalz machte einen entsprechenden Vorstoß im Bundesrat.
Der Union gehen die rot-grünen Pläne jedoch nicht weit genug. "Mit der jetzigen Formulierung der Strafgesetzänderung kann der angestrebte Zweck nicht erreicht werden", ist der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach überzeugt. Es sei erstmal nur eine Behauptung, dass mit dem neuen Strafgesetz rechtsextremistische Demonstrationen verboten werden könnten. "Das werden Gerichte zu prüfen haben", so Bosbach. Die Union will Holocaust-Mahnmal und Brandenburger Tor in den befriedeten Bezirk um den Bundestag einschließen. Nach ihren ursprünglichen Plänen sollten in der so ausgeweiteten Bannmeile nur in Ausnahmefällen Demonstrationen möglich sein.
Vergangene Woche machte die Union den Kompromissvorschlag, grundsätzlich Demonstrationen in der ausgeweiteten Zone zu erlauben und nur in Ausnahmefällen zu verbieten - so wie es derzeit im befriedeten Bezirk des Bundestages gehandhabt wird. "Rot-Grün hat das abgelehnt", berichtet Bosbach und hält es inzwischen für "ziemlich unwahrscheinlich", dass Regierungsparteien und Union auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Den schwarzen Peter schiebt er den Grünen zu, mit der SPD sähe er noch Einigungschancen.
In der rot-grünen Koalition findet man eine breite Zustimmung bei diesem Thema zwar wünschenswert, ist sich aber bewusst, dass die eigene Mehrheit reicht. So bleiben die Grünen bisher bei ihrer strikten Ablehnung einer erweiterten Bannmeile. "Die grüne Fraktion ist sich einig, dass wir einer Ausweitung der Bannmeile auf das Brandenburger Tor nicht zustimmen werden", sagt Stokar. Ihr Fraktionskollege Christian Ströbele argumentiert: "Die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit ist nur zulässig, um die Funktionsfähigkeit des Bundestages zu sichern." Diese Argumentation gelte für das Brandenburger Tor nicht, eine Ausweitung der Bannmeile dorthin sei verfassungswidrig. So sieht es auch der Verfassungsrechtler Christian Pestalozza: "Die Ausweitung der Bannmeile auf Holocaust-Mahnmal und Brandenburger Tor passt von der Idee her nicht." Zu der Regelung aus Bonner Regierungszeiten mit relativ großer Bannmeile und striktem Demoverbot zurückzukehren, hält der Professor an der FU Berlin für einen "Rückschritt": "Die liberale Berliner Regelung hat sich bewährt."
Die Verfassungsbedenken, die noch an dem inzwischen verworfenen Entwurf von Bundesinnen- und Justizministerium geäußert worden waren, hält die Grüne Stokar für ausgeräumt. "Unser Entwurf ist jetzt so formuliert, dass er eine Ausweitung des bereits bestehenden Strafbestandes der Auschwitz-Lüge ist. Dadurch, dass ein Bezug zu Menschenrechtsverletzungen im Nationalsozialismus und der Würde der NS-Opfer hergestellt wird, geht es nicht mehr um die Bestrafung einer bestimmten Gesinnung", erläutert Stokar. Auch Wiefelspütz hält die jetzigen Formulierungen für verfassungsfest: "Wir haben sehr darauf geachtet, dass wir den Rechtsextremen nicht einen billigen Triumph geben, indem sie in Karlsruhe gewinnen." Der Sozialdemokrat gibt jedoch durchaus zu, dass es ein schwieriges Abwägen ist, Grundrechte anzutasten, um Neonazis ihre Agitation zu erschweren. Christian Ströbele hat an diesem Punkt immer noch ein ungutes Gefühl, "weil der Beschränkung der Meinungsfreiheit zu Recht enge Grenzen gesetzt sind". Im Grunde hält Ströbele die derzeitigen rechtlichen Möglichkeiten, die Würde der NS-Opfer vor Neonazi-Demonstrationen zu schützen, für ausreichend. Begeistert sei er also nicht, aber er trage den Vorstoß mit: "Der neue Entwurf ist hinnehmbar."
Die FDP bleibt bei ihrer ablehnenden Haltung. "Das, was jetzt in beispielloser Schnelle, auf den Weg gebracht werden soll, ist der Einstieg in ein Gesinnungsversammlungsrecht und verfassungsrechtlich äußerst problematisch", so der innenpolitische Sprecher der liberalen Fraktion, Max Stadler. Versammlungsrecht und Demonstrationsfreiheit seien essenziell für die Demokratie. "Eine gravierende Einschränkung dieser Rechte sollte nur dann geschehen, wenn sie zwingend notwendig ist und diese Notwendigkeit sehen wir nicht", sagt der Liberale.
Verfassungsrechtler Pestalozza ist ebenfalls nicht überzeugt: "Das was hier angeboten wird, kann vom Verfassungsgericht gekippt werden." Auch der Hinweis auf Karlsruher Urteile zur Auschwitz-Lüge rechtfertige die derzeitigen Formulierungen nicht. "Problematisch ist die spezifische Ausrichtung gegen rechts", sagt Pestalozza. Die Meinungsfreiheit könne nur aufgrund allgemeiner Gesetze eingeschränkt werden, die quasi alle beträfen. Wollte man dem Gesetz die spezifische Ausrichtung nehmen, müsse der Bezug zum Nationalsozialismus gestrichen werden. Oder, so seine Idee, man einige sich mit der Union und ändere das Grundrecht der Versammlungsfreiheit im Grundgesetz: "Vielleicht wäre es sogar ganz gut, wenn die Verfassung ein klares Wort zu dem Thema verliert."
Allerdings betont der Professor, dass es nach derzeitiger Gesetzeslage schon eine gute Handhabe gebe, Auflagen oder Verbote nach der Klausel einer drohenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu verhängen. Ähnlich sieht es der Schweriner Jurist und Autor des Buches "Versammlungsrecht und Rechtsextremismus", Wolfgang Leist: "Wenn eine rechtsextreme Demonstration an einem bestimmten Ort oder zu einem bestimmten Datum so provokativ ist, dass die Opfer des Nationalsozialismus verhöhnt werden, ist nach dem Begriff der öffentlichen Ordnung ein Verbot gerechtfertigt." Auch FDP-Politiker Stadler betont, dass eine NPD-Demo am 8. Mai schon nach geltendem Recht verboten werden könnte "und verboten werden muss". Pestalozza hält zudem die Aufregung um die Bilder von den Neonazis am Brandenburger Tor für "übertrieben". Sollte jedoch dadurch wirklich ein erheblicher Ansehensverlust der Bundesrepublik hervorgerufen werden, könne man darüber diskutieren, ob solche Demos wegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung verboten werden könnten. Der Professor fügt noch eine andere Argumentation hinzu: "Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit bedeutet nicht automatisch eine freie Wahl des Ortes der Demonstration." Zwar würde in der Praxis oft eine Verknüpfung von Versammlungsrecht und Ortswahl hergestellt, aber von der Verfassung her gebe es kein Recht, den Ort der Versammlung selbst zu bestimmen.
Der Rechtsextremismusforscher Richard Stöss ist der Ansicht, dass die Einschränkung des Versammlungsrechts kein geeignetes Mittel im Kampf gegen Rechtsextremismus ist. Die Rechtsextremen würden sich nicht besonders beeinträchtig fühlen, wenn man ihnen den Aufmarsch an Brandenburger Tor und Holocaust-Mahnmal verböte: "Sie wollen provozieren, aber das kann man an vielen Orten." Stöss fragt sich zudem, ob es in der Debatte wirklich um das Wirken gegen Rechtsextremismus geht: "Ist es nicht eher Ziel, unfreundliche Bilder zu verhindern und den Eindruck, den das im Ausland macht?"
Zudem wären Verbote Wasser auf die Mühlen der Neonazi-Argumentation, dass die Bundesrepublik sowieso keine richtige Demokratie sei, da man nicht die Wahrheit über den Nationalsozialismus sagen und nicht demonstrieren dürfe. Ähnlich sieht es der Wolfgang Leist: "Demonstrationen haben einen beruhigenden Effekt auf die rechtsextreme Szene, sie haben damit ein Ventil, mit dem sie Dampf ablassen können." Würde bei ihnen das Gefühl entstehen, dass sie mit legalen Mitteln nicht für ihre Ziele kämpfen könnten, würden sie viel eher auf den Gedanken kommen, die Waffe in die Hand zu nehmen, warnt Leist.
Ein weiteres Problem hat Pestalozza damit, eine Liste besonders schützenswerter Orte festzulegen: "Das erweckt den Eindruck, dass andere Orte den Schutz nicht verdienen, dass es Orte erster und zweiter Klasse gibt." Zudem rügt Pestalozza seiner Ansicht nach unklare Formulierungen im Gesetzentwurf. Es sei schwer zu definieren, was "Gedenkstätten von überregionaler Bedeutung" sind. Die Formulierung greife beispielsweise weder für eine Deportationsrampe, die an die NS-Schreckensherrschaft erinnere, noch für das Grab von Rudolf Heß in Wunsiedel. "Gespenstisch" sei für ihn darüber hinaus die Hektik im Verfahren gewesen, die vergessen lasse, dass das Versammlungsrecht weder "das einzige noch das wichtigste Mittel" im Kampf gegen radikale Tendenzen sei.
Vielleicht ist jetzt auch einfach die Kreativität der Mehrheit der Demokraten gefragt, ähnlich wie in Dresden dafür zu sorgen, dass es am 8. Mai nur Bilder aus Deutschland gibt, die die Rechtsextremen ganz ganz klein aussehen lassen.