Bundestagstagspräsident Thierse über das deutsch-polnische Verhältnis
Deutliche Worte waren es, die Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bei einer Veranstaltung der Universität Breslau am 1. April fand: Mit Blick auf polnische Forderungen nach Reparationen im vergangenen Jahr sagte er, es gehöre zu einer funktionierenden Freundschaft, dass "jeder, der einen bösen Ton anschlägt, in der Regierung, im Parlament und möglichst auch in der eigenen Partei sofort auf entschiedenen Widerspruch" stoße. Freundschaft funktioniere nicht, "wenn verantwortliche Politiker vor einem solchen Ton die Ohren verschließen, sich in die Defensive treiben lassen und dem befreundeten Nachbarn dann unter vier Augen versichern, es sei alles nicht so gemeint gewesen". Dem Ziel, das deutsch-polnische Verhältnis auf das Niveau des deutsch-französischen zu heben, sei man in der letzten Zeit "nicht näher gekommen".
Im deutsch-polnischen Jahr könne zwar die Überwindung der Teilung Europas gefeiert werden, man müsse sich nun aber auch die Regel zu eigen machen, Vorurteile aus der Politik herauszuhalten und Konflikte da auszutragen, wo sie entstünden. Es dürfe keinem einzelnen Konflikt erlaubt werden, "gleich das ganze Verhältnis zwischen beiden Staaten zu belasten". Wer streiten müsse oder wolle, dürfe aber nicht die ganze Nation dafür in Geiselhaft nehmen.
Thierse sprach zudem mehrere Missverständnisse im Verhältnis zwischen Deutschland und Polen an. Zum einen dürfe man in Polen nicht dem Irrtum unterliegen, zu glauben, Vereine wie die "Preußische Treuhand", die für die Rückgängigmachung von Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone nach 1945 kämpften, würden in der deutschen Politik und Öffentlichkeit über Rückhalt verfügen. Zum anderen habe auch das in den vergangenen Jahren gewachsene Interesse am Schicksal der aus Schlesien oder Pommern Vertriebenen weder "mit Gebietsansprüchen noch mit dem Wunsch etwas zu tun, die Schuld von Deutschen gegenüber Polen durch Aufrechnung zu vermindern".
Heute, da das Verhältnis zu Polen als geklärt gesehen werde, könne vielmehr "die schweigende Mehrheit der damals vertriebenen Deutschen ihre Erinnerungen pflegen, ohne dass sie fürchten müssten, Wasser auf die Mühlen von Demagogen zu leiten". Zudem glaube er, so Thierse, fest an das Gelingen der deutsch-polnischen Freundschaft.
Ohnehin hatte der Bundestagspräsident bei dem Besuch seiner Geburtsstadt nicht allein mahnende Worte im Gepäck: Thierse überreichte der Breslauer Universitätsbibliothek ausgewählte historische Ausgaben gebundener Zeitungen. Sie sind Bestandteil eines Geschenks des Bundestags, das in mehr als 4.200 Bänden zahlreiche westeuropäische und US-Zeitungen von 1900 bis 2002 enthält.
Und auch in Berlin wird das deutsch-polnische Verhältnis einmal mehr thematisiert. Eine Ausstellung, die am vergangenen Donnerstag in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand vom polnischen Botschafter Andrzej Byrt eröffnet wurde, widmet sich dem wohl dunkelsten Kapitel in den Beziehungen beider Staaten. Unter dem Titel "Größte Härte ..." werden die Verbrechen der Wehrmacht in Polen dokumentiert. Im Mittelpunkt stehen die ersten beiden Monate des Zweiten Weltkrieges, in denen Polen unter deutscher Militärverwaltung stand. An den Erschießungen von Zivilisten und Kriegsgefangenen und den Luftangriffen auf Städte, in denen kein Militär stationiert war, waren neben Polizei und SS-Einheiten auch die Wehrmacht beteiligt. Die Ausstellung ist eine Gemeinschaftsarbeit von deutschen und polnischen Historikern des Deutschen Historischen Instituts in Warschau und des polnischen Instituts des nationalen Gedenkens. Sie ist bis zum 30. Juli in der Stauffenbergstraße zu sehen.