Die Gründung der Vereinten Nationen
Dazu gehörte auch die Einräumung eines Vetorechts für einige wenige Staaten im Rahmen der noch zu schaffenden neuen Organisation. "Vereinte Nationen" war zu diesem Zeitpunkt der Name der Kriegsallianz, die sich gegen die Achsenmächte zusammengefunden hatte. Der Begriff war erstmals in der am 1. Januar 1942 in Washington abgegebenen "Erklärung der Vereinten Nationen" verwendet worden; Präsident Roosevelt hatte die Bezeichnung "United Nations" in Anlehnung an "United States" gewählt. In jener Washingtoner Deklaration verpflichteten sich 26 Regierungen auf die Prinzipien der "Atlantik-Charta" sowie dazu, den Kampf gegen die Achsenmächte fortzusetzen. Diese wiederum war erst wenige Monate zuvor, am 14. August 1941, an Bord eines Kriegsschiffes von Roosevelt und Churchill als eine Erklärung über die Grundsätze, "auf denen sie eine bessere Zukunft der Welt aufzubauen hoffen", verkündet worden.
Als sich der Sieg bereits deutlich abzuzeichnen begann, bekräftigen die Vier Mächte - China, Großbritannien, UdSSR und USA - am 30. Oktober 1943 in ihrer "Moskauer Erklärung" die Notwendigkeit der alsbaldigen Schaffung einer allgemeinen internationalen Organisation. Im Spätsommer und Frühherbst 1944 folgten die "Gespräche von Dumbarton Oaks"; im Musiksaal eines herrschaftlichen Anwesens in Washingtons Stadtteil Georgetown wurde das Vorhaben konkretisiert. Auf der Krim legten im Februar 1945 die Großen Drei auch Ort und Datum der Gründungskonferenz der künftigen Organisation fest. Diese wurde dann vom 25. April bis zum 26. Juni 1945 in San Francisco abgehalten. Dort arbeiteten die Vertreter der eingeladenen Staaten die Satzung der neuen internationalen Organisation - die Charta - aus; die Plenarsitzungen der Konferenz fanden im Opernhaus der Westküstenmetropole statt. Fast auf den Tag vier Monate nach dem Abschluss, am 24. Oktober 1945, trat die Charta in Kraft.
US-Präsident Roosevelt sollte die Eröffnung der Konferenz nicht mehr erleben; er verstarb am 12. April, kaum zwei Wochen vor Tagungsbeginn. Ihm zu Ehren wurde schließlich der Name "Vereinte Nationen" für die neue Organisation gewählt. Zu Recht, denn sie entsprang seinem Gedankengut - und den spezifischen Interessen der USA. Präsident der Konferenz war Außenminister Edward Stettinius. Außer ihm gehörten der US-Delegation sechs weitere Personen an, von denen drei Republikaner waren. Dem einzigen weiblichen Mitglied der US-Delegation, der Professorin Virginia Gildersleeve, ist die Eröffnungsformel der Präambel der UN-Charta ("Wir, die Völker der Vereinten Nationen…") zu verdanken, was für die in den Kategorien des Staates und der Staatensouveränität denkenden Konferenzteilnehmer durchaus nicht selbstverständlich war. Stettinius war daran gelegen, die Konferenz zum Erfolg zu führen; am Tag nach ihrem Abschluss trat er zurück, da der neue Präsident Harry S. Truman einen eigenen Kandidaten für das Amt des Außenministers hatte. Am gleichen Tag übrigens wurde dem Obersten Befehlshaber aller Streitkräfte der UdSSR der höchste militärische Rang verliehen: Stalin wurde zum Generalissimus der Sowjetunion ernannt. Verdienste um die Gründung der Vereinten Nationen werden dabei keine Rolle gespielt haben, doch hatte auch der neue Generalissimus Grund zur Zufriedenheit, hatten doch seine Diplomaten - Delegationsleiter war der junge Andrej Gromyko - die sowjetischen Interessen auf der Konferenz wahren können. Insbesondere konnten sie sich hinsichtlich des auf der Krim vereinbarten, aber dann unterschiedlich interpretierten Vetos durchsetzen. Es erlaubte ihnen trotz ihrer damaligen Minderheitenposition in der Staatengemeinschaft die Mitwirkung in den UN. Dass die UN auf diese Weise auch in den dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges zumindest als Forum und Stätte der Begegnung erhalten blieben, dürfte dazu beigetragen haben, dass der Menschheit die atomare Katastrophe erspart blieb.
Ziel der Neugründung war es vor allem, Anschläge auf den Weltfrieden von Art und Ausmaß der Aggressionen Japans, Italiens und Deutschlands zu verhindern. Garantieren sollten dies die damaligen Großmächte. Roosevelt verfolgte das Konzept der "vier Polizisten"; den Sheriffstern sollten die Vier Mächte der "Moskauer Erklärung" tragen. Zu jenen Mächten wurde schließlich noch Frankreich zugelassen; den nunmehr fünf Staaten wurde im Gründungsdokument der Vereinten Nationen dann ein doppeltes Privileg eingeräumt. Im Sicherheitsrat, dem mit der "Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" betrauten Hauptorgan, erhielten sie ständige Sitze und die Möglichkeit, ihnen nicht genehme Beschlüsse zu Fall bringen zu können. Und den Fünf wurde sozusagen die Aufsicht über die Kleinen anvertraut.
Eine demokratische Weltordnung war das somit nicht, wie Carlos Romulo erkannte, der damals Vertreter seines noch gar nicht unabhängigen Landes bei dessen Oberherrn in Washington war. Gleichwohl war er sich des Nutzens und der Bedeutung der neuen Organisation bewusst. Der 1942 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalist und spätere langjährige Außenminister der Republik der Philippinen wurde schließlich 1949 zum Präsidenten der 4. Ordentlichen Tagung der Generalversammlung gewählt. 40 Jahre nach Gründung der UN sollte er dann festhalten, dass "wir viel mehr" von den Vereinten Nationen erhielten, "als wir eigentlich erwarten durften". Er begründete dies damit, dass die UN erstens "einer der Schlüsselfaktoren bei der Verhinderung eines nuklearen dritten Weltkriegs" waren, dass sie zweitens "den im allgemeinen friedlichen Übergang von der Kolonialzeit zur Ära der unabhängigen Nationalstaaten" zustande brachten, dass sie drittens "die Menschenrechte und Grundfreiheiten im globalen Rahmen kodifiziert" haben und dass sie viertens "die Antworten der Weltgemeinschaft auf die gemeinsamen weltumspannenden Probleme" wie etwa die Fragen von Ernährung oder Umwelt formulieren konnten. Fünftens haben sie "ob dies den wohlhabenden Industrienationen gefällt oder nicht, den Dialog zwischen dem Süden und dem Norden über Teilhabe und Fairness in der Weltwirtschaft eingeleitet". Das Urteil des Ende 1985 verstorbenen Begleiters der frühen UN-Geschichte ist im Blick auf die Leistungen einer von Anfang an mit Widersprüchen mannigfaltiger Art ausgestatteten Organisation auch heute noch bemerkenswert.
Entstanden ist die Weltfriedensorganisation UN als Ergebnis eines Krieges. Die Kriegsteilnahme auf der Seite der Alliierten (wenn auch oft erst in letzter Minute) war Voraussetzung für die Einladung nach San Francisco. Die im Zweiten Weltkrieg neutralen Staaten, etwa Irland oder Schweden, blieben somit von der Konferenz ausgeschlossen. Doch öffneten sich die Vereinten Nationen später, auch gegenüber den einstigen "Feindstaaten" der Unterzeichner der UN-Charta. Italien wurde (wie Österreich) im Dezember 1955 aufgenommen. Japan wurde ein Jahr später in den Kreis integriert. Die damals zwei deutschen Staaten, die Bundesrepublik Deutschland und die DDR, folgten im September 1973. Im wahrsten Sinne des Wortes zur Weltorganisation wurden die UN im September 2002, ein Dreivierteljahr nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an die Organisation und ihren Generalsekretär Kofi Annan. Mit der Aufnahme einer der traditionsreichsten Demokratien (der Schweizerischen Eidgenossenschaft) und des jüngsten Staates (von Timor-Leste, der einstigen portugiesischen Kolonie Osttimor) erreichten sie nämlich die Universalität. Außerhalb stehen nur der Staat der Vatikanstadt und Taiwan; hier handelt es sich allerdings um Sonderfälle.
Vergegenwärtigt man sich das Schicksal des Vorläufers der Weltorganisation, des von 1920 bis 1946 bestehenden Völkerbunds, so lässt sich der mit den Vereinten Nationen erzielte historische Fortschritt erst richtig ermessen. Beim Völkerbund standen die USA von vornherein abseits (obwohl dessen Schaffung eine wesentliche Forderung ihres Präsidenten Woodrow Wilson gewesen war), und bedeutende Akteure der Zwischenkriegszeit wie das Deutsche Reich oder die Sowjetunion waren nur zeitweise (und dann nicht gleichzeitig) Mitglied. Die Vereinten Nationen hingegen begannen mit 51 Gründungsmitgliedern und bieten heute ein Forum für 191 Staaten.
Dr. Volker Weyel war von 1977 bis 2004 Chefredakteur der
Fachzeitschrift "Vereinte Nationen. Zeitschrift für die
Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen".