Der Antifaschismus übte eine zentrale Funktion als "kulturelles Kapital"in der DDR aus
Zu den eindrucksvollsten Zeugnissen der von den Verfolgten des NS-Regimes in der Nachkriegszeit öffentlich inszenierten Erinnerung gehört eine Serie von Aufnahmen des Fotografen Gerhard Gronefeld. Sie zeigen den Berliner Lustgarten als Kulisse einer von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) am 12. September 1948 organisierten "Internationalen Gedächtniskundgebung für die Opfer des faschistischen Terrors". Bemerkenswert sind die Aufnahmen im Vergleich zu anderen Motiven des frühen öffentlichen Gedenkens an die NS-Verbrechen vor allem deshalb, weil es sich um seltene Farbfotografien handelt.
Dem in die graue Bilderwelt der Nachkriegszeit mit ihren Ruinenlandschaften eingeübten Betrachter bietet sich ein in seiner Farbigkeit frappierendes Bild: Am Alten Museum prangt weit sichtbar das Emblem der VVN. Über das gesamte Gebäude zieht sich der Schriftzug "Kämpfer gegen den Faschismus - Kämpfer für den Frieden". Zwischen den Säulen wehen die Fahnen verschiedener Länder, besonders auffallend die Flaggen Israels und Jugoslawiens, die man später in der SBZ/DDR so nicht mehr öffentlich sehen wird. Davor eine mit rotem Fahnentuch und goldenem Lorbeer dekorierte Rednerbühne umrahmt von Ehrengästen, unter ihnen der sowjetische Stadtkommandant Alexander Kotikow. Im Zentrum der Szenerie sieht man die brennende Feuerschale umgeben von einem Meer aus Blumenkränzen.
Selten wird die Ambivalenz des Nachkriegsantifaschismus so deutlich wie auf diesen Bildern. Die offizielle Geschichtspolitik der DDR griff immer wieder auf dieses frühe Erinnern zurück, verwendete dessen Symbole und Botschaften. Sie nutzte dessen Suggestionskraft und Vitalität, um damit innere Bindekräfte für den fragilen Staat und seine permanenten Legitimationsnöte zu gewinnen. Sie beschwor den "guten Anfang" durch die Wiederholung der Gedenkrituale aus der Nachkriegszeit, auch wenn diese immer mehr zu Karikaturen ihrer selbst wurden. Mit dem Antifaschismus verfügte der ostdeutsche Staat über ein kulturelles Kapital, ohne das die lange Lebensdauer des scheinbar in Raten untergehenden Staates wohl kaum zu erklären ist.
Neben der offiziellen Propaganda und ihren kalkulierten Inszenierungen bot der Antifaschismus kulturelle Bindungen und Identifikationsangebote: moralische Glaubwürdigkeit und Integrität, verbürgt durch die Lebensgeschichten der Ermordeten, Verfolgten und Eingesperrten, selbst wenn diese geglättet und zensiert wurden; eine Eindeutigkeit in der Distanzierung vom Nationalsozialismus, die Sicherheit suggerierte, selbst wenn sie entscheidende Dimensionen dieser Vergangenheit ausblendete; ein Modell der Wandlung und Sühne durch Engagement beim sozialistischen Projekt, mit dem sich viele Menschen arrangieren konnten, die das NS-Regime mitgetragen hatten; die Attraktivität einer durch Verfolgung, Widerstand und Emigration gewachsenen literarischen und künstlerischen Tradition, als deren Heimat sich die DDR auszugeben wusste - und schließlich ein Stück durch die europäische Widerstandstradition vermittelter Weltverbundenheit, die die ansonsten so notorisch abgeschottende DDR erträglicher machen konnte. Auch diese kulturelle Dimension lebte vom Mythos der Anfänge. Was einmal vital war - und dies schien der Antifaschismus nach 1945 gewesen zu sein -, ließ sich vielleicht revitalisieren. Dafür haben viele Ostdeutsche Kompromisse geschlossen, auch dann noch, als deren steigender Preis nicht mehr zu übersehen war.
Die 1947 als gesamtdeutsche Organisation gegründete VVN leistete einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung der deutschen Nachkriegsgesellschaft über die Verbrechen des Nationalsozialismus und zur geistigen Auseinandersetzung mit dessen Ideologie. Der Verband verstand sich als ein über den Parteien stehendes moralisches Gewissen der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Aus ihrer Beteiligung am Widerstand und den leidvollen Erfahrungen mit Verfolgung und Haft leiteten die Mitglieder ein besonderes Mitspracherecht bei der politischen Neuordnung ab. Der Einfluss der KPD/SED war in der Organisation von Anfang an relativ groß - getreu dem vielzitierten, von Wolfgang Leonhard überlieferten Motto Ulbrichts: "Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben." Dennoch kollidierte die Gesinnungsethik der Verfolgten schon sehr früh mit dem pragmatischen Machtkalkül der Partei. Die Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit der VVN war in den ersten Nachkriegsjahren erstaunlich breit. Im 1945 gegründeten Hauptausschuss "Opfer des Faschismus" (OdF) und in der VVN arbeiteten anfangs zahlreiche Sozialdemokraten, Vertreter des 20. Juli 1944, der Kirchen, der Westemigration und der jüdischen Gemeinden mit. Die Organisation lieferte mit ihren Publikationen und der 1948 im ehemaligen Reichspräsidentenpalais gezeigten Ausstellung "Das andere Deutschland" erste Zeugnisse über den "lautlosen Aufstand". Sie beteiligte sich aktiv an der Ermittlung und Bestrafung von NS-Verbrechen.
Als die SED ihren Kurs zur gesellschaftlichen Neuordnung gegen die Fundamente der bürgerlichen Gesellschaft richtete, veränderte sich das Klima für die Erinnerungsarbeit. Zum ersten Opfer einer zunehmend feindlichen Stimmung wurde im Zuge der Bodenreform der bürgerliche und konservative Widerstand. Der Rückzug der Vertreter des nichtkommunistischen Widerstands aus dem Verband, der 1953 in der Flucht der Vorsitzenden einiger jüdischen Gemeinden nach West-Berlin gipfelte, war die logische Folge. Hinzu kam die im Innern der KPD/SED einsetzende Hatz auf "Trotzkisten" und andere "Abweichler". In den Westzonen ließ sich die VVN umso leichter als ein Trojanisches Pferd der Kommunisten ausgrenzen.
Es besteht kein Anlass, den "antifaschistisch-demokratischen Neubeginn" zu verklären. Der Antifaschismus war von Anfang an ein in sich widersprüchliches Konstrukt: politisch und kulturell attraktiv, gleichzeitig vieldeutig und beliebig instrumentalisierbar. Auch die Aufnahmen von Gerhard Gronefeld belegen dies: Das Emblem der VVN ziert der rote Winkel der politischen KZ-Häftlinge. Er wurde zum beherrschenden Symbol der öffentlichen Erinnerung in der SBZ. Die Kundgebung für die Opfer stand im Zeichen dieser "Kämpfer gegen den Faschismus", die eine exklusive Position für sich beanspruchten. Wilhelm Pieck fragte noch 1945 in einer Rede: "Wenn die Arbeiterklasse, die Mehrheit der Bevölkerung, in ihrer Gesamtheit keine Mitschuld trüge, wie konnte gegen ihren Willen ein solches Gewaltregime über die Arbeiterschaft, wie es die Hitlermacht war, aufgerichtet werden, und wie konnte Hitler unser Volk in diesen verhängnisvollen Krieg hineintreiben?" Das Bewusstsein, mit den eigenen Abwehrstrategien gegen die Nazis gescheitert zu sein, trat später nahezu vollständig in den Hintergrund.
Kommunistische Funktionäre führten eine fatale Hierarchie der verschiedenen Opfer- und Verfolgtengruppen ein. Die Debatte um die Anerkennung und Entschädigung der Opfer des NS-Regimes in der SBZ/DDR liefert dafür traurige Belege. Die Profilierung der VVN als Vereinigung ehemaliger politischer Kämpfer grenzte automatisch die großen Opfergruppen der aus rassistischen Gründen verfolgten Juden, der Sinti und Roma und der wegen ihres Glaubens verfolgten Bibelforscher und Zeugen Jehovas aus. Sie hätten "alle geduldet und Schweres erlitten, aber sie haben nicht gekämpft".
Auch für ein weiteres Konfliktfeld des Umgangs mit der NS-Vergangenheit liefern die Aufnahmen von Gerhard Gronefeld Indizien: Der Fotograf hatte ab 1935 bei der "Presseillustration Heinrich Hoffmann" gearbeitet und Bilder von den Olympischen Spielen 1936 geliefert. Nach beruflichen Schwierigkeiten wegen seiner Weigerung, in die NSDAP einzutreten, meldete er sich zur "Propaganda-Kompanie" der Wehrmacht und dokumentierte den deutschen Eroberungskrieg - auch "Säuberungs- und Vergeltungsmaßnahmen". Einige der eindrucksvollsten Zeugnisse der öffentlichen Erinnerungsarbeit der Opfer und Verfolgten des NS-Regimes in der Nachkriegszeit stammen somit paradoxerweise von einem ehemaligen Kriegsberichterstatter.
Für den Antifaschismus in der SBZ/DDR wurde die Frage des Umgangs mit den ehemaligen Anhängern des NS-Regimes zu einer ernsten Belastungsprobe. Auch im Osten Deutschlands bildeten sie die Mehrheit der Bevölkerung. Im Interesse der Stabilisierung ihrer Herrschaft musste die SED ehemalige NSDAP-Mitglieder, Soldaten und Offiziere der Wehrmacht in die Gesellschaft integrieren. Mit ihrem Werben um die "Ehemaligen", der Gründung der Integrationspartei NDPD und einer entsprechenden Gesetzgebung erregte die KPD/SED den Unmut vieler Verfolgter des NS-Regimes. Es kam es zum offenen Konflikt mit der Basis der VVN. Daraufhin löste Walter Ulbricht den Verband im Februar 1953 kurzerhand auf und ersetzte ihn durch ein loyales "Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer".
Indem er wichtige Opfergruppen ausgrenzte und für die innere Konsolidierung des ostdeutschen Staates in den Dienst genommen wurde, richtete sich der Antifaschismus immer stärker gegen diejenigen, die ihn in den ersten Jahren nach 1945 verkörpert hatten. Als staatstragende Ideologie verlor er zusehends seinen Rigorismus in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Als verbindliches Normen- und Wertegefüge spiegelte er die Welt- und Feindbilder einer kleinen Minderheit kommunistischer Funktionäre, die bis zum Ende der DDR die politische Klasse der DDR dominierten. In seiner kulturellen Dimension bewirkte er nachhaltige lebensgeschichtliche Prägungen und Sozialisationserfahrungen, die bis in die Gegenwart wirken.
Dr. Jürgen Danyel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam.