Aufarbeitung und Aussöhnung wurden in Ostasien nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Keim erstickt
Versöhnung ist nicht in Sicht. In Ostasien kochen die jüngsten Kontroversen um Inseln und Schulbücher hoch zu nationalen Kleinkriegen. Tokio provoziert seine Nachbarn mit der jüngsten Geschichtsschönschreibung und neuen Ansprüchen auf "altes" Territorium. Zehntausende Chinesen und Koreaner verbrennen japanische Flaggen und tragen ihren Hass rot auf weiß um die Stirn gebunden. Auch die Bemühungen Japans um einen Sitz im ständigen Ausschuss des UN-Sicherheitsrates können Peking und Seoul nicht als Chance eines Stimmengewinns für Ostasien sehen. "Nur ein Land, das die Geschichte respektiert (...) und das Vertrauen der Menschen in Asien (...) gewinnt, kann größere Verantwortung innerhalb der internationalen Gemeinschaft übernehmen", sagte Chinas Staats- und Parteichef Wen Jiabao bei seinem jüngsten Staatsbesuch in Indien.
Die Narben des Krieges sind in Ostasien überall sichtbar. Aufarbeitung und Aussöhnung wurden nach Kriegsende im Keim erstickt. Die Region erlebte keinen Frieden, sondern diente den Großmächten als militärisches Spielfeld im Kalten Krieg. Indochina erholt sich bis heute nur langsam von den Folgen, und die geteilte koreanische Halbinsel ist Sprengstoff für die regionale Sicherheit.
Die Wunden des Krieges klaffen nirgends so offen wie zwischen den beiden Ländern, welche die Region geprägt haben: China und Japan. Die Rivalität zwischen den beiden ist Jahrhunderte alt. Mitte des 19. Jahrhunderts kehrten sich die Machtwege erstmals um: Japan meisterte die neuen Herausforderungen aus Europa und entwickelte sich zu einer starken Nation. China scheiterte an Revolutionen und Reformen. So konnte Japan ab 1931 immer weiter auf dem chinesische Territorium Fuß fassen. Im Dezember 1937 ermordeten japanische Soldaten um die 300.000 Menschen in der Stadt Nanking. Das Massaker ist bis heute ein griffiges Kriegsbeil der Chinesen für Forderungen nach japanischer Kriegsaufarbeitung. Mit der Niederlage des Kaiserreichs zerbrach das chinesische Nationalprojekt - getragen durch die Einheitsfront zwischen Kommunisten und Guomindang - endgültig. Geschwächt durch soziale und wirtschaftliche Missstände, flohen die letzten Truppen der Guomindang nach Taiwan. Am 1. Oktober 1949 rief Mao Zedong die Volksrepublik China aus, erste Eroberungsversuche der küstennahen Insel Quemoy als Sprungbrett nach Taiwan scheiterten. So widmete sich die neue Führung um Mao zunächst der nationalen Stabilität. Dies geschah mit Krediten aus der Sowjetunion, aber erst nach dem Koreakrieg war für Peking eine enge Anbindung an den Ostblock sicherheitspolitisch und ideologisch beschlossene Sache. China erklärte die USA zum Hauptfeind und initiierte die erste große Kampagne gegen "feindliche Kollaborateure" des Imperialismus. Die siebenjährige Periode des erfolgreichen Wiederaufbaus und der gemächlichen Transformation zu einem sozialistischen Staat mündete in eine Zeit der permanenten Umbrüche: wechselnde politische und wirtschaftliche Versuche und Irrtümer sowie Führungskämpfe warfen China um Jahrzehnte zurück. Das Nachbarland Japan hatte sich dagegen kontinuierlich vom Punkt Null des Kriegsende entfernt.
Nach der Kapitulation Tokios im August 1945 führte die US-amerikanische Besatzungsmacht auch in Japan Reformen mit dem Ziel der Demokratisierung durch. Kernstück der neuen Nachkriegsordnung bildete die neue japanische Verfassung von 1947. Eine dauerhafte Entmilitarisierung fand Ausdruck in Artikel 9 der Verfassung, in welchem Japan seinen Verzicht auf eine Armee und auf das Kriegsführungsrecht zum Ausdruck brachte.
Durch den sich immer deutlicher abzeichnenden Ost-West-Konflikt nach 1947 änderte die USA allerdings die Prioritätssetzung ihrer Besatzungspolitik. Sie drängte nicht mehr auf Entmilitarisierung, sondern auf eine Einbindung Japans in das "Bollwerk gegen den Kommunismus". Japan erhielt folgerichtig mit dem Friedensvertrag von San Franzisko 1952 seine Souveränität zurück. Im gleichen Jahr erklärten die USA im japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrag Japan im Verteidigungsfall beizustehen und erhielten im Gegenzug weitreichende Stationierungsmöglichkeiten ihrer Streitkräfte auf der Insel. Mit der Gründung der Selbstverteidigungsstreitkräfte (SDF) fand Japan weiterhin einen Weg eine eigene Landesverteidigung zu etablieren, ohne die Restriktionen der Verfassung zu verletzten.
Die Bindung Japans an die USA sowie der Status der japanischen SDF prägten in den folgenden Jahrzehnten die innenpolitische Auseinandersetzung. Die Forderungen der Oppositionsparteien (Auflösung der japanischen Streitkräfte und des Sicherheitsvertrages) wies allerdings die bis Mitte der 1990er-Jahre regierende Liberal-Demokratische Partei immer wieder zurück. Diese hatte bereits in den 1950er-Jahren erkannt, dass das wenig ausgeprägte außenpolitische Profil dem japanischen Staat die Möglichkeit bot, sich auf den Wirtschaftssektor zu konzentrieren.
Durch staatliche Wirtschaftsplanung und -lenkung konnte Japan somit den rasanten Aufstieg zur zweitgrößten Industrienation starten. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist das Land in zahlreichen Politikfeldern erhöhtem Reformdruck ausgesetzt. Das Platzen der bubble economy zeigte, dass das japanische Wirtschafts- und Finanzsystem noch in den alten Strukturen der 1950er- und 1960er-Jahre verhaftet war. Ehemalige Stärken hatten sich somit in Schwächen verwandelt. Gleichzeitig verlangen immer mehr Stimmen aufgrund der sukzessiven Ausweitung des außenpolitischen Aktionsradius, der japanische Truppen 2003 bis in den Irak geführt hat, nach einer Reform der Friedensverfassung von 1947. Neben zunehmenden sicherheitspolitischen Aufgaben und dem Wunsch nach mehr Eigenständigkeit war und ist die USA der wichtigste Verbündete Japans.
Der China-Besuch des US-amerikanischen Präsidenten Nixon im Februar 1972 war ein Schock für Japan. Tokio fürchtete nun sicherheitspolitisch marginalisiert zu werden. Kontakte und Aufbruchssignale hatte es zwischen Washington und Peking immer wieder gegeben. In Anbetracht der ständigen Querelen mit den UdSSR suchte Mao trotz antiimperialistischer Rhetorik der Kulturrevolutionsantreiber den Kontakt und das technische Know-how der USA. Auch aufgrund innenpolitischen Lage der USA nach Watergate nahmen die beiden Länder erst 1979 diplomatische Beziehungen auf. Nach Beendigung seiner internationalen Einseitigkeit und dem Aufstieg Deng Xiaopings mache sich Beijing erneut an das Projekt "Aufbau einer starken Nation". Nach der Kulturrevolution, die chinesische "Nie-Wieder"-Erfahrung, wollte ganz China einen Neuanfang fern von Machtkämpfen und maoistischen Ideen. Bei den Reformen suchte Deng die neue Wahrheit in den von chinesischen Bauern geschaffenen marktwirtschaftlichen Tatsachen und öffnete die Tür für internationale Waren- und Kapitalströme. Mit politischen und kulturellen Einflüssen aus dem Ausland tat sich die kommunistische Führung schwer: Die Lösbarkeit der Formel zhong ti xi yong - chinesische Essenz und westliche Form - oder auch "X mit chinesischen Charakteristika" beschäftigt Beijing bis heute. Die Sonnenseiten und Spannungen des Modernisierungsprozesses traten ab Mitte der 1980er-Jahren immer deutlicher zutage und China geriet auf dem angestrebten Mittelweg zwischen politischem Konservatismus und wirtschaftlichem Fortschritt ins Straucheln. Die barschen Reaktionen der Führung auf Forderungen nach mehr Demokratie 1986 mündeten im Massaker von Juni 1989, politische Reformer hatten vorerst ausgedient. Embargo, Enttäuschung und Emigration - nach innen wie nach außen - waren die Folge. Deng Xiaoping goss neues Öl in den Wachstumsmotor und so lief das "Unternehmen China" mal mehr mal weniger rund durch die 1990er-Jahre. Das Krisenmanagement, die Wohlstands- und Stabilitätsverheißungen sowie die Anpassungsfähigkeit der chinesischen Führung überraschte und überzeugte viele Kritiker. Nach der Asienkrise erhielt China erstmals deutliches Lob als verantwortlich agierender Global Player. Beijing verstand es immer geschickter die eigenen Interessen an einem stabilen und multipolaren Umfeld in neuen Allianzen und Foren umzusetzen. Bezüglich der Nordkorea-Krise schaut mittlerweile ganz Ostasien auf China und baut auf dessen Rolle als "ehrlicher Makler".
Im Rahmen der Sechs-Partein-Gespräche zur Lösung der Nuklearkrise auf der koreanischen Halbinsel sind China und Japan längst Verbündete, Seite an Seite mit der dritten Macht in Ostasien, Südkorea. Durch das Bedürfnis nach Sicherheit und zunehmende Wirtschaftsverflechtungen rücken die Staaten enger zusammen. An regionalen Organisationen für Kooperationsprojekte mangelt es nicht. Misstrauen sowie ungelöste Territorial- und Statusfragen verhindern jedoch bis dato einen Integrationsprozess nach europäischem Vorbild. Gute Beziehungen zwischen Japan und China sind neben einer Lösung der Situation auf der koreanischen Halbinsel das Fundament auf das eine Friedensordnung in Ostasien gebaut werden muss. Nur durch gemeinsame Initiativen wie die bereits ins Leben gerufen Schulbuchkommission zwischen Korea und Japan, können alte Kriegswunden geschlossen werden.
Kristin Kupfer und Nadine Leonhardt arbeiten an der Fakultät
für Ostasienwissenschaften der Ruhr-Universität
Bochum.