Der denkwürdige Aufschrei des Bundeskanzlers Figl
Pünktlich zum 50. Jahrestag der Befreiung Österreichs von alliierter Besatzung ein neues Buch zum Staatsvertrag? Das kommt einem logisch vor, verhält sich aber leider anders. Der Amalthea-Verlag hat bloß einen Klassiker neu aufgelegt: Ernst Trosts Biografie des Nachkriegskanzlers Leopold Figl, ein Buch, das unter dem prachtvollen Titel "Leopold von Österreich" in zahlreichen Bücherschränken zwischen Boden- und Neusiedler See einen Ehrenplatz hält.
Man darf dieses Detail der Editionsgeschichte als Symbol für das ganze "Gedenkjahr" nehmen, mit dem die Republik Österreich von "60 Jahren Kriegsende" bis "50 Jahre Wiedereröffnung des Burgtheaters" allerlei Jubiläen zusammenfasst. Buch und Jahr dienen dazu, alte Gewissheiten aufzufrischen. Kaum jemand kommt im Jahre 2005 auf die Idee, über irgendetwas neu nachzudenken.
Das Buch des Journalisten Trost, der auch Biografien über den Prinzen Eugen und den jüngst verstorbenen Papst veröffentlicht hat, ist süffig erzählt und nett zu lesen. Und es ist nicht einmal unkritisch: Trost zeichnet den Weg des Niederösterreichers Figl vom Funktionär des autoritären Ständestaats über den KZ-Häftling zum ersten Bundeskanzler der "Zweiten Republik" schlüssig nach und schließt so die Lücke zwischen liebgewordener Heiligenlegende und präziser historischer Forschung.
Über alle Brüche hinweg bleibt ein plausibles Bild von Figls Persönlichkeit erhalten: das eines ganz und gar unintellektuellen, aber schlauen, ebenso trickreichen wie treuherzigen Bauernjungen, der die offene Debatte scheute, weil er ihr nicht gewachsen war, dem aber Kirche, Elternhaus und Bauerntum einen zuverlässigen Kompass mitgaben. Trost kennt viele Anekdoten, und da dergleichen im geistigen Umfeld Figls reich gedieh, haben ihm alle Wegbegleiter des Kanzlers noch ein paar dazu erzählen können.
Ob sich alles so zugetragen hat, wie Trost es so überzeugend erzählt, kann man nicht wissen. Und selbst wenn, hat man am Ende wenig gelernt. Dass die Wiederauferstehung Österreichs aus dem Dritten Reich ein Husarenstückchen gewesen ist, dass Figl die Russen mit seinem rustikalen Charme bestach, dass man "net studiert" haben muss, um "g'scheit" zu sein (obwohl Figl das sehr wohl hatte!) - das gehört ohnehin zu den mythischen Gewissheiten, die allen schon in der Kindheit vermittelt werden.
Bei Ernst Trost wird der Mythos zur beglaubigten, fast selbst erlebten Geschichte. Wer sich das Vergnügen gönnt, sein Buch zu lesen, sollte sich wenigstens auch die Mühe machen, nach jedem Kapitel ein wenig nachzusinnen. Dabei kann man über das fremd-vertraute Nachbarland dann doch eine Menge lernen.
Ernst Trost
"Österreich ist frei!"
Leopold Figl und der Weg zum Staatsvertrag.
Amalthea Verlag, Wien 2005; 372 S., 19,90 Euro