Bericht vom FDP-Parteitag vom 5. bis 7. Mai in Köln
Mit 80,1 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt Guido Westerwelle bei 90 Nein-Stimmen kein berauschendes, aber ein respektables Ergebnis, das ihn für weitere zwei Jahre im Amt bestätigt. Mit viel Rückenwind startet Dirk Niebel, der neue Generalsekretär. Die Delegierten wählten den arbeitsmarktpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion mit 92,4 Prozent. Mit nur noch 60 Prozent der Stimmen nimmt die ausgeschiedene Generalsekretärin Cornelia Pieper im Bundesvorstand Platz. Ein frisches, unverbrauchtes Gesicht sitzt nach den Wahlen mit Philipp Rösler auf dem Podium. Fast 95 Prozent der Delegiertenstimmen kann der 31-jährige FDP-Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag auf sich vereinen.
Die Dramaturgie der Parteitagsregisseure ist wohl durchdacht. Bevor Guido Westerwelle fast eineinhalb Stunden mit Rot-Grün abrechnet, stimmt der Rheinland-Pfälzer Rainer Brüderle, stellvertretender Bundesvorsitzender, den Saal mit einer ungewohnt vehementen Begrüßung ein. Anschließend richtet der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Andreas Pinkwart, ein Grußwort an die Delegierten, das ihnen Mut zu einer liberaleren Zukunft machen soll - den Wahltermin fest im Blick. Gleich zum Auftakt noch vor den Reden von Guido Westerwelle, Wolfgang Gerhardt und Dirk Niebel werde unmissverständlich kund getan: Es geht heute um Aufbruch und Reformbereitschaft und zwar mit dem Anspruch, dass diese Vokabeln auch wieder substanziell mit Inhalt gefüllt werden.
Wenn sich der Parteivorsitzende auf eines verlassen kann, dann auf die Wirkung seiner Reden. Mit dem rhetorischen Pfund kann er wuchern. Das weiß Westerwelle. Er beginnt leise, fast staatstragend, um dann die Phonzahl zu steigern. "Nicht der Regierungswechsel ist das Ziel. Der Regierungswechsel ist Mittel zum Zweck. Wir wollen Deutschland eine neue Richtung geben, das Denken verändern. Dafür wollen wir antreten." Er ist davon überzeugt, dass die politischen Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre nicht handwerkliches Unvermögen, sondern Ausdruck einer falschen Geisteshaltung sind. "Zu lange wurde in Deutschland der Staat wichtiger genommen als das Private. Zu lange wurde in Deutschland das Verteilen wichtiger genommen als das Erwirtschaften. Zu lange kam in Deutschland die Gleichheit vor der Freiheit. Erst wenn wir das Erwirtschaften wieder wichtiger nehmen als das Verteilen. Erst wenn die Dynamik der Gesellschaft wieder wichtiger wird als die Bevormundung durch den Staat. Erst wenn die Kraft der Freiheit wieder als Grundlage unseres Wohlstandes begriffen wird, wird es sich zum Besseren wenden", so Westerwelle.
Der Parteivorsitzende rechnet mit einer rot-grünen Koalition ab, die Deutschland mit Regelwut und Bevormundung abgewirtschaftet hätte. Für Westerwelle ist die Koalition ein "historischer Irrtum". Sein Staatsverständnis bringt er so auf den Punkt: "Wir wollen den starken Staat, aber stark ist der Staat, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert. Stark ist ein Staat, der anstatt mit Subventionen Vergangenheit zu verlängern die Chancen der Bildung sucht. Stark ist der Staat, der den Bedürftigen hilft und nicht den Findigen. Stark ist der Staat, der Infrastruktur, kulturelle Vielfalt fördert, aber nicht der Staat, der sich in das Privatleben der Bürger einmischt." Weniger Staat durch mehr Soziale Marktwirtschaft sei jedem Konzept der bürokratischen Staatswirtschaft überlegen.
Westerwelle positioniert die Liberalen als die Partei, die etwas von Wirtschaft versteht. Als Replik auf Franz Münteferings Kapitalismuskritik hält er fest: "Wer Investoren, wer Unternehmen, wer Menschen, die Arbeitsplätze schaffen, so behandelt, darf sich nicht wundern, wenn diese Unternehmer und diese Investoren in andere Länder gehen. Wer bei einer Staatsquote von etwa 50 Prozent den Kapitalismus sieht, der sieht Gespenster."
Seine Gewerkschaftskritik formulierte der Parteichef weniger scharf als noch in den Tagen zuvor: "Ich habe nichts gegen Gewerkschaften, aber gegen solche, die nur noch Gewerkschaftsinteressen vertreten." Liberale seien für starke Zusammenschlüsse von Arbeitnehmerinteressen. Sie wollten den Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit, gerade vor Ort in den Betrieben.
Westerwelle kritisierte vehement den Abbau von Bürgerrechten durch Rot-Grün wie durch Konservative. Er wendet sich gegen das Luftsicherheitsgesetz, gegen die quantitativ stark angewachsenen Telefonüberwachungen, gegen Datensammlungen und die Abschaffung des Bankgeheimnisses. "Wir Liberale haben ein anderes Verständnis von Freiheit. Freiheit wird dem Bürger nicht vom Staat gewährt. Die Bürger gewähren dem Staat Einschränkungen ihrer Freiheit. In den letzten Jahren haben die Bürger an Freiheit verloren. Der Staat schränkt zuviel ein, aber er gewinnt dadurch nicht mehr Sicherheit", so der Bundesvorsitzende. Wer die Freiheit der Sicherheit opfere, würde am Ende beides verlieren.
Der Parteichef unterstreicht die Eigenständigkeit der FDP, will mehr sein als der Mehrheitsbeschaffer für eine Volkspartei. "Wir sind nicht die CDU für seltene Kirchgänger, nicht die SPD für Porschefahrer, nicht die Grünen für Leute mit abgeschlossener Berufsausbildung." Der Applaus ist garantiert.
Westerwelle weiß, welch großes Stück Arbeit noch vor seiner Partei liegt. Doch für Liberale sei Optimismus Pflicht, verkündet er aufmunternd. Für ihn persönlich würden sich Ernsthaftigkeit und Fröhlichkeit nicht ausschließen, ruft er den Delegierten kurz vor seiner Wahl zu. Mit dieser Formulierung kommen wieder Erinnerungen an die Vergangenheit auf, als er beispielsweise noch die 18 unter der Schuhsohle trug.
Ein Tandem sind zwei. Aber die könnten bei der FDP wohl unterschiedlicher nicht sein. Wolfgang Gerhardt, der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, empfiehlt sich mit seiner Rede, in der er vor allem außenpolitische Fragen aufgreift. So empfiehlt er sich als potenzieller Außenminister, sollte es 2006 zu einem Regierungswechsel kommen. Er zieht den historischen Bogen - der 8. Mai drängt das förmlich auf - von der Kapitulation Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg über die Begründung der transatlantischen Allianz, die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft und die Einbettung der Bundesrepublik in die EU bis hin zu deutschen Einheit.
Die transatlantischen Beziehungen und die Europäische Union seien die außenpolitischen Grundpfeiler Deutschlands. In diesem Zusammenhang kritisiert Gerhardt den Kanzler und den grünen Außenminister scharf. Der hessische Liberale wirft der Bundesregierung vor, die geschichtliche Tiefe und die strategische Notwendigkeit der transatlantischen Partnerschaft gar nicht erst begriffen zu haben. Unter Rot-Grün sei die handwerkliche Kunst deutscher Außenpolitik - wie in langer Tradition von liberalen Außenministern ausgeübt, verloren gegangen. Gerhardt spricht von einer "Stop-and-Go-Politik ohne jede Linie und ohne jede Überzeugung". Wenn Europa aber zu einem "Global Player" werden wolle, dann müsse Deutschland wieder mehr Verantwortung übernehmen. Und dies insbesondere mit den kleinen EU-Staaten, die aktuell von den Alleingängen des einstigen Motors in Europa, dem Duo Deutschland-Frankreich, verschreckt würden. Der Parteitag hatte mit dem ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger nicht zufällig einen amerikanischen Gastredner gewählt. Kissinger trat auf dem Parteitag, übrigens sein erster außerhalb der USA, auf dem er sprach, auf alte Weggefährten wie Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel.
Gerhardt nannte Schröders Bemühungen, das EU-Waffenembargo gegenüber China aufzuheben, einen "gewaltigen politischen Fehler", den er nicht nachvollziehen könne. Was die Menschenrechte betrifft, stellte der Liberale Rot-Grün auch ein schlechtes Zeugnis mit Blick auf die derzeitige Russland-Politik aus. Schröder habe es im Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin versäumt, ausreichend kritische Worte zur Medienzensur oder zum Tschetschenien-Krieg zu finden. Gerhardt hält das vor allem deshalb für einen Fehler, weil Deutschland ein gewichtiges Interesse an einer positiven Entwicklung in Russland haben müsse und sich das Land nicht zu einer Autokratie entwickeln dürfe.
Bürokratieabbau und Föderalismusreform beschäftigten den Parteitag inhaltlich. Die FDP will wieder zur Bürgerrechtspartei werden. Sie fordert, dass bei der Aufweichung des Bankgeheimnisses wieder gegengesteuert wird. Sie will den großen Lauschangriff wieder abschaffen, der mit der FDP unter der Regierung Kohl eingeführt worden ist, allerdings unter starker Kritik einiger FDP-Politiker wie Burckhard Hirsch und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die FDP lehnt die Gleichstellung der DNA-Analyse mit dem klassischen "Fingerabdruck" kategorisch ab. Die DNA-Analyse dürfe auch künftig nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung wie Tötungs- und Sexualdelikte zum Einsatz kommen, heißt es im Beschluss. Die Liberalen sprechen sich zudem gegen die Aufnahme biometrischer Daten in Pässen aus. Immer mehr Daten würden massenhaft erhoben, auf Vorrat gespeichert, zunehmend vernetzt und immer mehr Behörden zugänglich gemacht.
Außerdem verabschiedeten die Liberalen ein weit reichendes Steuerkonzept. "Wir brauchen den großen Wurf", unterstreicht Hermann Otto Solms, der wieder gewählte Bundesschatzmeister. Die international unübliche Gewerbesteuer soll abgeschafft werden, denn sie verhindere Investitionen in Deutschland und vernichte Arbeitsplätze. Anstelle der privaten Einkommensteuer wird die Einführung eines Drei-Stufen-Tarifs vorgeschlagen, der langfristig in eine Flat-Tax münden soll. Mit einem Bürgergeld will die FDP das bisherige soziale Netz so reformieren, dass es auch ein Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt wird. Vor allem geht es ihr um eine Bündelung der Sozialleistungen und eine Ausbezahlung aus einer Hand.
Außerdem beschloss die FDP, dass die Reform des Föderalismus unverzüglich neu angegangen werden müsse. Sie forderte die Einsetzung eines Konvents aus Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Wissenschaftlern und aktiven Politikern. Erneut sprach sie sich gegen den rot-grünen Gesetzentwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz aus. Dieser entspreche nicht den Bedürfnissen der Menschen des 21. Jahrhunderts, weil er zu mehr staatlicher Bevormundung und erhebliche zusätzliche bürokratische und finanzielle Belastungen für die deutsche Wirtschaft mit sich bringe. Den Bundestag forderte die FDP auf, sich bei der Umsetzung der Richtlinie auf das europarechtlich Geforderte zu beschränken.
Der dritte Tag des Parteitags war ganz auf den Auftritt des neuen Generalsekretärs zugeschnitten. Die Premiere gelang. Seine Antrittsrede war gut strukturiert, angriffslustig und humorvoll. Der ehemalige Fallschirmjäger, der in Hamburg geboren wurde, in Heidelberg lebt und mit seiner Frau drei Söhne hat, studierte Verwaltungswissenschaften, bevor er Arbeitsvermittler wurde. Als Arbeitsmarktexperte griff er die Regierung vor allem auf diesem Feld an. Er kritisierte nicht nur die Vermittlungsquote der Bundesagentur für Arbeit, sondern forderte gar ihre Abschaffung. Immerhin hat die Behörde 90.000 Mitarbeiter. Niebel will sie durch ein Drei-Säulen-Modell ersetzen. Eine Versicherung, die das Arbeitslosengeld auszahle, eine kleine Arbeitsagentur mit 200 bis 300 Mitarbeitern, die sich um bundesweite Belange kümmere und als dritte Säule Agenturen vor Ort, die sich in kommunaler Trägerschaft direkt um die Arbeitsvermittlung kümmern.
Eine glückliche Hand bewiesen die Parteitagsregisseure mit der Wahl des Gastredners Paul Kirchhof, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht und heute Direktor des Instituts für Steuerrecht der Universität Heidelberg. Er lobt das Steuermodell der FDP und betont: "Das Steuerrecht kann nur überzeugen, wenn der Bürger es versteht." Er fordert: "Weg mit den Privilegien auf einen Schlag." Kirchhof geht ebenso auf den Freiheitsbegriff ein. Freiheit bedeute, "niemals über andere zu bestimmen". Für ihn müsse sich der "Staat zum Bürger wie der Handschuh zur Hand" verhalten. Der Handschuh dürfe die Beweglichkeit der Hand nicht einschränken. Das Lob für das liberale Steuermodell ist sicher ein Grund für den tosenden Applaus des Plenums, aber mindestens ebenso der intellektuelle Genuss, den ein Redner wie Kirchhof bei einem so schwierigem Thema wie Steuern bereitet. Der Wissenschaftler nahm die "Standing Ovations" Freude strahlend entgegen. Für ihn war die Rede eine Premiere auf einem Parteitag.