Konferenz der Friedrich-Ebert Stiftung zum EU-Referendum in Frankreich
Für Nachrichten wie jene, die in diesen Wochen aus Frankreich und den Niederlanden die EU-Partner erreichen, hat sich schon vor Jahrzehnten eine illustre Floskel eingebürgert: Die Hinweise verdichten sich. Nämlich die, dass in beiden Ländern - am 29. Mai und am 1. Juni - drohen könnte, womit noch vor einem Jahr kaum jemand gerechnet hatte: ein mehrheitliches "Nein" zu der Verfassung, die künftig Grundlage des Handelns der Europäischen Union werden soll.
Die Frage, welche Konsequenzen ein "Nein" haben könnte, wurde auf einer Tagung der Friedrich-Ebert -Stiftung (FES) ausgelotet. Unter dem Titel "Die fassungslose EU? Konsequenzen einer Nichtratifizierung der EU-Verfassung" sollten brisante Fragen aufgegriffen werden, die durchaus berechtigt sind: Wenn Frankreich "Nein" sagt, wird es dann überhaupt weitere Referenden in anderen Ländern geben? Schließlich hat der britische Außenminister Jack Straw bereits angekündigt, die Engländer im Falle des Falles gar nicht mehr zur Urne zu schicken. Werden die Franzosen ein weiteres Mal abstimmen, in der Hoffnung auf ein "Oui" im zweiten Anlauf? Wird eine neue EU-Verfassung erarbeitet? Wenn nicht - auf welcher Grundlage steht dann die Europäische Union von morgen? Was wird ohne Verfassung aus den anstehenden Beitritten Rumäniens und Bulgariens und aus der Einbindung der Türkei? Bleibt die EU in bisheriger Form bestehen oder zerfällt sie in ein Kerneuropa mit und assoziierte Staaten ohne Verfassung? Oder, alle Fragen in einer: Gibt es einen Plan B? Nein - und zwar deswegen nicht, weil, wer Europa will, bis zuletzt alles auf eine Karte setzt.
"Plan B muss Plan A sein", erklärte der sozialdemokratische Europaparlamentarier Jo Leinen. "Niemand im Europaparlament diskutiert zurzeit ernsthaft Alternativen zur Verfassung." Um Optimismus mühte sich auch Jan Truszczynski, stellvertretender Außenminister Polens, und verwies darauf, dass es doch wenigstens in seiner Region erfreulich wenig Skepsis gegenüber dem Vertragstext gebe. Polen werde auch im Falle eines "französischen Fiaskos" am Verfassungs- Fahrplan festhalten. "Das Parlament wird entscheiden, ob es ein Referendum geben wird - so oder so", sagte Truszczynski und dass die Mehrheit der Polen inzwischen hinter der Idee einer Verfassung für Europa stehe: "Die Zweifel vor dem Beitritt im vergangenen Jahr sind einem spürbaren Feel-Good-Faktor gewichen." Bis dahin wolle man Frankreich und den Niederlanden unter die Arme greifen. Auf Unterstützung könnte der Westen im Übrigen nicht nur aus Polen, sondern auch aus jenen osteuropäischen Länder rechnen, die die EU-Verfassung bereits ohne Volksbefragung ratifiziert haben. "Außer Tschechien", erklärte Truszczynski mit einer kaum hörbaren Süffisanz lägen schließlich alle Wackelkandidaten in der "alten EU". Leinen sprang bei: "Sie haben recht - wir kämpfen hier mit einem echten Feel-Bad-Faktor." Andererseits ist Euro-Skepsis auch im Westen mitnichten eine neue Erscheinung. In Großbritannien sieht man dem Referendum offenbar mit großer Gelassenheit entgegen.
Der Londoner Journalist David Goodhart wagte die These, so mancher könne das "Non" aus Paris kaum erwarten. "Die Briten halten fest die Daumen, dass die Franzosen ablehnen", provozierte er das verfassungstreue Podium, "dann leben die bad guys die nächsten 20 Jahre in Frankreich, und wir übernehmen die Führung in der EU." Der Herausgeber des "Prospect Magazine" machte aber auch seine eigene kritische Haltung deutlich: "Warum braucht die EU eine Verfassung, wenn nicht einmal Großbritannien eine hat?" Aus einem Scheitern eine Krise abzuleiten sei "absurd", so Goodhart: "In der Krise wären vor allem die Verfasser der Verfassung." Irrtum, konterte der Europarechtler Ingolf Pernice. Wer ablehne, so der Direktor des Hallstein-Instituts für Europäisches Verfassungsrecht in Berlin, bestimmte nicht nur sein eigenes, sondern das Schicksal von 400 Millionen Europäern. "Ist das den Menschen, die aus ganz verschiedenen Motiven ihre Zustimmung nicht geben wollen, bewusst?" "Ohne Verfassung", traute Pernice sich als einziger Fürsprecher die Zeit nach einem Nein überhaupt anzusprechen, "ist Europa fürs erste ein kranker Riese."