Der 6. Berliner Bundestagslauf im Tiergarten wurde zur Rutschpartie
Um es vorweg zu sagen: Der bekannteste Läufer des Kabinetts war beim diesjährigen Bundestagslauf nicht dabei. Joschka Fischer weilte auf einer Veranstaltung zum französischen EU-Verfassungsreferendum in Lyon. Wahrscheinlich war ihm die Sieben-Kilometer-Strecke durch den Tiergarten eh ein wenig knapp, schließlich lief der Mann in besseren Zeiten schon mal einen Marathon.
Dafür bewiesen seine Angestellten, was sie drauf haben: In der Mannschaftswertung errang das Team des Auswärtigen Amtes den zweiten Platz, knapp hinter den Mitarbeitern der Landesvertretungen.
Doch nicht nur Fischer, auch die übrige politische Führungsriege hielt sich an diesem Tage merklich zurück. Bundespräsident Horst Köhler hatte sich zwar angemeldet, musste dann aber wegen einer Erkältung passen. Bundestagspräsident Thierse kam in festem Schuhwerk eigens die paar Meter vom Reichstag zur Startlinie gelaufen, eröffnete den Lauf aber nur und entschwand dann zum nächsten Termin.
Aber wer mochte bei dem Wetter schon gern durch den Park rennen? Angesichts des Regens, der sich eine Stunde vor dem Start fest über den Tiergarten stülpte und die Wege in Minuten in Moorpfade verwandelte, hätte man lieber eine gepflegte Schlammschlacht veranstalten wollen, denn einen Dauerlauf.
Die Pressevertreter jedenfalls verdrückten sich alle unter die wenigen Zelte und harrten mit verhohlener Skepsis der Dinge - und siehe da, je näher der Starttermin rückte, desto mehr Abgeordnete, Fraktionsmitglieder und wasserfest trikotierte Streckenhelfer versammelten sich vor dem Brandenburger Tor.
Und die Stimmung war prächtig - dabei waren die 300 Läufer schon patschnass, bevor sie auch nur einen einzigen Kilometer zurückgelegt hatten. Geduldig reihten sie sich an der Ausgabestelle in die Schlange, um ihre Startnummern und Zeitchips in Empfang zu nehmen. Einige tauschten im Garderobenzelt noch schnell ihren Zweireiher gegen das Sporttrikot, während die Ski-Stars Rosi Mittermaier und Christian Neureuther mit den Teilnehmern des Nordic Walking-Parcours schon mal ein kurzes Gruppen-Warm-Up veranstalteten.
Für sowas hatte Dirk Niebel, der neue Generalsek- retär der FDP, keine Zeit. Wie einen Sportstar umflirteten die Kameras den liberalen Aufsteiger, der im blauen Trainingsanzug und mit smartem Lächeln nicht müde wurde, für die Fotografen zu posieren und Auskunft über seine Fitness zu geben.
Seine gute Laune wurde nur durch Bundestagsvizepräsident Norbert Lammert noch übertroffen. Der erschien trotz winterlicher Witterung in Shorts und T-Shirt und erklärte auf Anfrage lachend, man brauche eben "eine gute Konstitution für die vitale Wahrnehmung seiner politischen Funktion". Dann entschwand er im triefnassen Tiergarten und erreichte als einer der ersten auf der kürzeren 3,6-Kilometer-Distanz das Ziel. Als er seinen Pokal bekommen sollte, war er schon wieder weg.
Nicht so Niebel. Der Liberale lief durch die Ziellinie hindurch direkt in eine Fernsehkamera und gab noch mit Schweißperlen auf der Stirn und roten Backen ein Interview. Hinter ihm überquerten die anderen Läufer nach und nach die Zielgerade. Ein paar Fans winkten den Ankommenden mit grünen Cheerleaderpuscheln zu, während der Moderator sich bemühte, die Läufer anhand ihrer Startnummer zu identifizieren. Keine Chance: Der Regen hatte die längst von den Shirts gespült. Ohnehin sahen die meisten Läufer aus, als hätten sie die Strecke rutschend auf dem Hinterteil zurückgelegt, denn auf zwei Beinen, so weit hatte sich der Morast an ihre Rücken geheftet.
Das aber störte nun niemanden mehr. Denn kaum war der letzte Läufer angekommen, riss die schwere Regenwand plötzlich auf, und die Sonne legte sich wie ein riesiger Fön über die durchnässten Häupter. Zur Siegerehrung stand man da gern noch ein bißchen herum, knabberte an den belegten Brötchen und erfreute sich an der soeben bestandenen Herausforderung. Dann ging es wieder ins Büro.