Überwältigende Mehrheit trotz spürbaren Widerstands aus der CDU/CSU
In einer Regierungserklärung hob Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vor der Abstimmung im Bundestag hervor, dass die EU durch die Verfassung demokratischer und auch bürgernäher würde. Das Europäische Parlament werde gestärkt und erhalte mehr Mitwirkungsrechte. Die nationalen Parlamente erhalten nach seinen Worten zusätzliche Kontroll- und Informationsrechte. Die Bundesregierung sei bereit, dem auch in einer Vereinbarung "mit dem Deutschen Bundestag Rechnung zu tragen". Die Zuständigkeiten zwischen der nationalen und der europäischen Ebene werden in der Verfassung klarer getrennt, erklärte Schröder. Mit "dem Entscheidungsmodus der doppelten Mehrheit" sei das urdemokratische Prinzip "Ein Bürger, eine Stimme" gewährleistet: "Wer in Europa mehr Demokratie will, der muss für diese Verfassung stimmen", mahnte der Kanzler eindringlich.
"Freiheit, Gleichheit, Solidarität als Grundsätze der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - das alles ist als Identität der Europäischen Union jetzt im Verfassungsvertrag festgeschrieben", unterstrich die CDU-Partei- und CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Angela Merkel in der Debatte. Allerdings hätte sich die Union gewünscht, dass auch "über die Wurzel unseres Erbes, über das jüdisch-christliche Erbe, in diesem Verfassungsvertrag eine deutlichere Auskunft gegeben worden wäre." Nach ihren Worten hätte "ein klarer Gottesbezug uns mit Sicherheit geholfen, unsere Identität klarer zu definieren". Auch wenn ihr nicht alles in dieser Verfassung gefalle, könne sie "mit vollem Herzen Ja sagen".
Für die Verfassungsgegner kündigte der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler den erneuten Gang vor das Bundesverfassungsgericht an. Nach seiner Auffassung werde durch die EU-Verfassung das Grundgesetz "zur Disposition gestellt". Mit einer ersten Klage war Gauweiler im April aus formalen Gründen gescheitert.
Auch künftig kann der Bundestag die Bundesregierung bei wichtigen Entscheidungen der EU nicht binden. Die Fraktionen haben sich deshalb darauf geeinigt, dass die Unterrichtungspflicht der Regierung gegenüber dem Parlament erheblich ausgeweitet wird. So muss der Bundestag unverzüglich und noch vor den Entscheidungen über alle EU-Entwürfe, Stellungnahmen und Empfehlungen unterrichtet werden. Der Bundestag wird mit einer eigenen Repräsentanz in Brüssel vertreten sein, um frühzeitig den Informationsfluss für die Parlamentarier zu gewährleisten.
Bei Gesetzgebungsakten der EU sollen Informationen und Bewertungen der Bundesregierung innerhalb von zwei Wochen dem Bundestag zugeleitet werden. Damit sollen Klagen wegen Verletzung der Zuständigkeiten innerhalb der Sechs-Wochen-Frist eingereicht werden können. Dieses Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof steht künftig auch einer Fraktion zu, wenn sich nicht eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages dagegen ausspricht. Während des Überganges von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsentscheidungen in der EU kann der Bundestag - wie jedes andere Parlament innerhalb der Union auch - widersprechen. Bundestag und Bundesrat entscheiden darüber je nach Zuständigkeit. Bei gemeinsamer Zuständigkeit müssen Bundestag und Bundesrat zustimmen. Zwei-Drittel-Mehrheiten des Bundesrates können nur mit gleicher Mehrheit des Bundestages überstimmt werden. Für die Ernennung von Richtern des Europäischen Gerichtshofes und des Generalanwalts der EU ist künftigt nicht mehr die Bundesregierung, sondern der Richterwahlausschuss zuständig.