Naher und Mittlerer Osten: Betrug und Verrat, Aufstände und Kriege
Saladin, wir sind zurück", raunte der französische General Henri Gouraud am Grab des großen kurdischen Staatsmannes, nachdem er 1920 den kurz zuvor von den britischen Kolonialrivalen eingesetzten Haschemiten-Herrscher Faisal aus Damaskus vertrieben und das kernarabische Zentrum der einstigen Umayaden-Herrschaft besetzt hatte. "Deus le volt", Gott will es - mit diesem Satz unterbrachen auf dem Konzil von Clermont die versammelten Würdenträger 1095 immer wieder Papst Urban II., als dieser seine Idee vom heiligen Krieg der Christen gegen die "Mohammedaner" verkündete.
So oder ähnlich klang auch Georg W. Bush in den Ohren vieler Araber, als er 2002/2003 mit der Vision vom Regimewechsel und demokratischer Neuordnung die Weltöffentlichkeit für den Anti-Terrorkampf im Nahen und Mittleren Osten zu gewinnen trachtete. "Seit Napoleon steht der Orient auch vor dem Problem, wie er mit der säkularen, laizistischen, demokratischen Zivilisation des Westens umgehen soll", schreibt Heiko Flottau, langjähriger Nahost-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", in seinem jüngsten Buch.
Flottau berichtet aus Kairo. Er hat dankenswerterweise der Versuchung widerstanden, etwas Abschließendes zu publizieren, sondern fasst seine Erfahrungen und wissenschaftlichen Kenntnisse von der Region zusammen, die mehr denn je einem Pulverfass gleicht. Strukturiert nach wesentlichen Themen, nicht einfach geografisch nach Ländern, enthält das Buch nahezu sämtliche, oft miteinander verwobenen Streitfragen fast aller Länder.
Ein entscheidender Vorteil gegenüber der atemberaubenden, allzu punktuellen Sichtweise eines Scholl-Latour ist Flottaus interregionale und globale, bewusst gegen den Eurozentrismus anschreibende Verknüpfung der Probleme. Denn erst allmählich beginnt in Europa - anders als in den USA - zu dämmern, dass im Zeitalter der Globalisierung, spätestens seit dem Afghanistan-Feldzug, die Großregionen Naher/Mittler Osten und Eurasien zusammen gesehen werden müssen.
Flottaus starke Parallelisierung artikuliert sich in den fast gleich lautenden Unabhängigkeitsversprechen der britisch-französischen Kolonialmächte an die Adresse der unterdrückten Araber im zusammenbrechenden osmanischen Vielvölkerstaat am Ende des Ersten Weltkrieges sowie in den heutigen Verheißungen Amerikas von Freiheit und Demokratie. So stellt sich Amerika als "das neue Rom" dar; die von Bush-Vater annoncierte "neue Weltordnung als die alte Weltordnung". Der Krieg um Afghanistan erscheint als "Neuauflage eines kolonialen Klassikers", bei dem sich schon Briten und Russen zerrieben; der jüngste "Feldzug" gegen den Irak ist nach Flottau "nichts anderes als eine Art kolonialer Korrekturbewegung".
Die Dinge ähneln sich in der Tat verblüffend bis in biografische Parallelen: Ein Colonel Schwartzkopf trainierte Anfang der 40-er Jahre die später so gefürchtete Polizei von Schah Resa Pahlewi in Iran. Sein Sohn, ebenfalls mit Namen H. Norman, war 1990/91 alliierter Oberkommandeur im Zweiten Golfkrieg gegen Saddam Hussein.
In weiteren Abschnitten setzt sich Flottau vor allem mit dem Kampf um Palästina auseinander, mit Arafats Wandel vom Revolutionär zum Autokraten, mit Ariel Scharons Kampf gegen den Terror sowie den radikal-islamischen Organisationen Hamas und Hisbollah, dem "fundamentalistischen Gottesstaat Saudi Arabien" und anti-kolonialen Widerstandsbewegungen "vom Mahdi bis Hafis al-Assad". Daneben analysiert der Journalist in eigenen Kapiteln "Arabien - Tagträume vom verlorenen Glanz" und den "Islam - Hassliebe zum gescholtenen Westen".
Vor allem rückt er die Perspektive vom Kontinent alter und neuer Großmachtpolitik zurecht. Es geht um immense Bodenschätze - Eisenerze, Gold, Öl und Gas - rund um das Kaspische Meer, die neben den Vereinigten Staaten von Amerika auch Russland und die künftige Weltmacht China anziehen: "Der mögliche Gewinn ist ein Ölimperium, ein Petrolistan, das sich von Mosul, Kirkuk und Basra bis zum Kaspischen Meer und vom iranischen Abadan über Kuwait bis nach Saudi Arabien erstreckt. So betrachtet ist Zentralasien eine Erweiterung des Nahen Ostens oder der Nahe Osten ein Annex Zentralasiens. Die eine wie die andere Region isoliert zu betrachten, wäre ein fataler politischer Fehler."
Falls man sich nicht friedlich einige, drohe ein neues "Great Game". In seinem Bestreben, Russland von den Warmwasserhäfen des Mittelmeeres und des Persischen Golfes fernzuhalten, schrieb Lord Curzon, der britischer Außenminister und Vize-König des Kronjuwels Indien 1899 - ähnliche Worte könnte man heute von amerikanischen Sicherheitsexperten wie zum Beispiel Zbigniew Bresczynski, Dick Cheney oder Richard Perle zitieren -: "Turkestan, Afghanistan, Transkaspien, Persien - für viele atmen diese Namen nur den Hauch ferner Abgeschlossenheit oder die Erinnerung an fremde Schicksalsschläge und moribunde Romanzen. Für mich sind sie Teile auf einem Schachbrett, auf dem das Spiel um die Herrschaft über die Welt gespielt wird." Nur ist es kein königliches Spiel mehr.
Heiko Flottau
Vom Nil bis an den Hindukusch.
Der Nahe Osten und die neue Weltordnung.
Droemer Verlag, München 2004; 304 S., 19,90 Euro