Der internationale Prozess gegen die Roten Khmer verzögert sich
Seit nahezu acht Jahren wird um ein Tribunal gerungen, das die Verantwortlichen des mörderischen Pol-Pot-Regimes aburteilen soll. Im Juni 2003 wurden die Verträge zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung Hun Sen in Phnom Penh unterzeichnet, und im Oktober 2004 wurde schließlich die Tribunalvereinbarung mit der UN von der Nationalversammlung verabschiedet. Die Gerechtigkeit sollte ihren Lauf nehmen, nach über einem Vierteljahrhundert.
Von 1975 bis 1979 hatten die Roten Khmer eine Schreckensherrschaft über die damals sieben Millionen Kambodschaner ausgeübt. In Säuberungswellen wurden 1,7 bis zwei Millionen Menschen umgebracht, sie wurden erschlagen, starben an Überarbeitung und Hunger oder erlagen Krankheiten, für die es keine Ärzte mehr gab - denn auch diese waren, wie nahezu die gesamte Elite des Landes, umgebracht worden. Die Rebellen vernichteten alles, was ihrer Schreckensvision von einem Steinzeit-Kommunismus im Wege stand. Ziel ihrer kommunistisch-maoistischen und zugleich nationalistischen Ideologie war ein radikaler Neubeginn ("year zero"). Erst am 8. Januar 1979 wurden die Roten Khmer durch vietnamesische Truppen von der Macht verdrängt.
Bei der Einrichtung eines internationalen Tribunals erwies sich zuletzt die Finanzierung als größtes Hin-dernis. Stellten die Vereinten Nationen 43 Millionen Dollar dafür bereit, so hatten die Kambodschaner aus ihrem Topf 13,3 Millionen Dollar zugesagt. Spätestens in der ersten Hälfte 2005 sollten die Richter die Eröffnungsglocke läuten, versprach vollmundig Sean Visoth, Leiter der kambodschanischen Task Force für das internationale Tribunal. Der Sommer verging, der Herbst kam, der Vorhang für den Prozess, von der internationalen Gemeinschaft mit durchaus gemischten Gefühlen erwartet, blieb geschlossen. Alles nur Theater?
Die kambodschanische Regierung bedient sich wie-der einmal einer geschickten Hinhalte-Taktik. Sie könne, so heißt es jetzt im Ministerrat in Phnom Penh, von den 13,3 Millionen nur 1,5 Millionen Dollar aufbringen, den Rest solle ebenfalls die internationale Gemeinschaft zahlen. Indien hat unterdessen eine Million zugesagt, und in Phnom Penh wartet man stoisch darauf, weitere Gelder von dem einen oder anderen Geberland einkassieren zu können. Das südostasiatische Land scheint verwöhnt zu sein, besteht doch nahezu die Hälfte des Haushalts aus Auslandsgeldern. Darauf, dass Kambodscha sich zugleich für die Ausrichtung der 300 Millionen Dollar kostenden Asienspiele bewirbt, möchten Regierungsmitglieder ungern angesprochen werden.
Schließlich stelle Kambodscha das Hauptquartier seiner Streitkräfte samt erforderlicher Umbauten in der Nähe des Flughafens für das Tribunal zur Verfügung, so Visoth. Dort sei die größtmögliche Sicherheit gewährleistet, beteuert der Leiter der Arbeitsgruppe. Kritiker befürchten jedoch, durch die Wahl des Standorts könnten Zeugen leichter beeinflusst werden, sind doch gerade in den Streitkräften auch ehemalige Mitglieder der Roten Khmer untergekommen. Pen Dareth, im Ministerrat auch für deutsch-kambodschanische Beziehungen zuständig, unterstreicht die Entschlossenheit seiner Regierung, mit dem Tribunal zu beginnen. Zugleich erinnert er daran, dass zwar einige europäische Länder wie Frankreich und Deutschland das Tribunal finanziell unterstützen, nicht aber die Europäische Union als Institution. Sollte der Westen hinsichtlich des kambodschanischen Beitrags misstrauisch sein, so schlage er die Einrichtung eines Treuhandkontos vor.
Kambodscha habe schließlich tausendundein Problem, meint Dareth und lässt erkennen, dass das Tribunal für Kambodscha längst nicht die Priorität habe, wie für den überwiegenden Teil der Völkergemeinschaft. Nach schweren Überschwemmungen habe sein Land jetzt erneut mit einer Dürreperiode zu kämpfen und die Vogelgrippe stelle Kambodscha vor weitere Herausforderungen. Auf die Frage, ob China politischen Druck auf Ministerpräsident Hun Sen ausübe, um das Tribunal zu verzögern, wenn nicht gar zu verhindern, bleibt Dareth eine klare Antwort schuldig. Peking sehe den Prozess unter den Augen der Weltöffentlichkeit "sicher nicht so gerne", aber China könne sich nicht gegen die Souveränität eines Landes, geschweige denn gegen die Völkergemeinschaft stellen, erklärt Dareth.
Das sehen westliche Kreise in Phnom Penh anders. Ein europäischer Diplomat hält chinesische Interventionen sogar für sehr wahrscheinlich. Die Volksrepublik, die seit vielen Jahren Ex-König Sihanouk eine Villa zur Verfügung stellt und ihn medizinisch betreut, könne kein Interesse daran haben, dass ihre massive Unterstützung des Massenmörders Pol Pot vor einer breiten Öffentlichkeit ans Licht gezerrt werde. Irritationen hat auch die Ernennung der Chinesin Michelle Lee als UN-Beauftragte für das Tribunal ausgelöst. Phnom Penh hat die Diplomatin bisher noch keinen Besuch abgestattet. Wolfgang Meyer, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Phnom Penh, ist ebenfalls der Meinung, dass die Chinesen "ganz erheblichen Einfluss auf die kambodschanische Regierung" ausüben, da sie keinerlei Interesse an einem Tribunal haben - und an der späten Aufdeckung ihrer Mitverantwortung an dem Genozid. Selbst nach ihrem Sturz operierten die Roten Khmer und ihre Koalitionäre mit direkter Unterstützung Chinas gegen die neuen Machthaber in Phnom Penh.
Dass die geflohenen Roten Khmer in den Flüchtlingslagern an der thailändischen Grenze von den Vereinten Nationen ein Vielfaches der Hilfe erhielten, die Kambodscha selbst zuteil wurde, gehört zu den unrühmlichsten Kapiteln der Völkergemeinschaft - nur noch übertroffen von der Präsenz der Roten Khmer auf dem UN-Parkett in New York.
Auf einen anderen Aspekt verweist Chhim Phal-Varoun, langjähriger juristischer Berater der Nationalversammlung. Peking habe seine Finger in jedem größeren Projekt des Landes, stelle Planer, Architekten und großzügige Kredite zur Verfügung. In den letzten beiden Jahren sei mehr Geld aus China nach Kambodscha geflossen als jemals zuvor, sagt Chhim. Hun Sen habe gar keine andere Wahl, als China willfährig zu sein. 2004 habe der Regierungschef, was ungewöhnlich sei, Peking gleich mehrmals besucht. Die Volksrepublik versuche offensichtlich, den vietnamesischen Einfluss einzudämmen und richte seine Politik gegenüber Kambodscha aus geostrategischen Gründen neu aus. In diese Politik passt kein Tribunal, das auch Peking ebenfalls an den internationalen Pranger stellen würde.
UN-Generalsekretär Kofi Annan, der das Zustande-kommen des Tribunals eine Zeitlang forcierte, gilt inzwischen als prominentestes Opfer kambodschani-scher Hinhalte-Taktik. Er rechne, ließ er verlauten, nicht mehr vor Oktober 2006 mit Prozessbeginn. Erste kambodschanische Richter sollen bereits im Völkerrecht geschult worden sein, wobei nur zehn Prozent von ihnen einen Universitätsabschluss hat. Dass nicht nur Bürgermeister, sondern auch Richter mit einer ordentlichen Bestechungssumme zu Amt und Würden kommen, ist in Kambodscha ein offenes Geheimnis.
Für das Tribunal sind gemischt besetzte Kammern in zwei Instanzen vorgesehen, die in der ersten Instanz aus drei kambodschanischen und zwei internationalen Richtern und in der zweiten Instanz aus vier kambodschanischen und drei internationalen Richtern bestehen sollen. Die Entscheidungen müssen erstinstanzlich von vier, zweitinstanzlich von fünf Richtern getragen werden. Das heißt, dass für ein Urteil die Stimme mindestens eines internationalen Richters erforderlich sein wird. Mit mehr als zwölf Angeklagten wird nicht gerechnet.
Endet das Tribunal als Farce, so wie das "Peoples Revolutionary Tribunal (PRT), das vom 15. bis 19. August 1979 im Chaktomuk-Theater in Phnom Penh stattfand? Ein halbes Jahr nach der Schreckensherrschaft Pol Pots sollten innerhalb von fünf Tagen die Gräueltaten aufgearbeitet werden. Der Richter benannte zwei Pflichtverteidiger für Pol Pot und Ieng Sary, gegen die in absentia verhandelt wurde. Das Volksgericht befand die beiden des Völkermords schuldig und verurteilte sie zum Tode. Das Urteil wurde nie vollstreckt.
Pol Pot starb 1998, zwei Jahre zuvor kehrte Ieng Sary, unter Pol Pot Außenminister, den Roten Khmern den Rücken und wurde von König Sihanouk amnestiert. Ieng Sary lebt an der Grenze zu Thailand, gelegentlich wird er aber auch in seiner Villa in Phnom Penh gesehen.