Kambodschas Hauptstadt boomt - doch das Geld bleibt nicht in der Stadt
Entschuldigung" - so begrüßt Kambodscha den Gast auf dem Flughafen Pochentong. Das Computersystem sei, sorry, noch nicht ausgereift; daher könne es zu Verzögerungen kommen, entnimmt der Besucher einem Hinweis gleich neben der Passkontrolle. Mit Ungelegenheiten muss der Reisende nunmehr seit drei Jahren rechnen - seit das Flughafengebäude in Betrieb ist.
Kambodschas Leidensweg aus Völkermord, Bürgerkrieg und terroristischen Attacken der Roten Khmer ist bis ins Ende der 90er-Jahre hinein unfassbar beschwerlich. Und dennoch sind dem südostasiatischen Land Zeitsprünge gelungen, an die vor wenigen Jahren noch niemand zu glauben wagte. Die Roten Khmer hatten Kambodscha nahezu ausgelöscht, Pol Pots Mörderregime das Land verwüstet, die Bevölkerung zur Zwangsarbeit gezwungen und die Intellektuellen ausgerottet. 1,7 Millionen Menschen wurden Opfer des Genozids. So grenzt es an ein Wunder, dass heute in Geschäften und Restaurants die Handys klingeln, Internet-Cafes in Phnom Penh an jeder Straßenecke ihre Dienste anbieten und wissensdurstige Jugendliche Computerkurse besuchen.
Geht es in diesem Tempo weiter, wird auch bald das Computersystem am Flughafen funktionieren. Wäre der atemberaubende Verkehr in den Straßen der Hauptstadt ein verlässlicher Gradmesser für wirt-schaftliches Wachstum, Kambodscha müsste boomen. Einkaufszentren wetteifern mit neuen Hotels, Restaurants mit mehrstöckigen Bürogebäuden. Das Geld aber bleibt nicht in der Millionenstadt, die Investitionen in Glas und Beton kommen aus Malaysia, aus Thailand, Singapur und vor allem aus China. Und dorthin fließen die Geldströme wieder zurück. Die Kambodschaner müssen sich mit unterbezahlten Dienstleistungen begnügen, mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von etwa 300 Dollar.
Kun Vuthy stammt aus der Provinz Kompong Speu und arbeitet in der Textilfabrik Thai-Pore am Rande von Phnom Penh. Sie ist eine von fast 1.000 jungen Frauen, die sechs Tage in der Woche das Material für Sweater, Damenwesten und Hemden zuschneiden, die überwiegend in die USA und nach Europa exportiert werden. Die 21-Jährige hat in der Nähe ein kleines Zimmer für acht Dollar im Monat gefunden. Sie verdient 45 Dollar, Überstunden werden extra bezahlt, so dass die junge Frau ihre sechsköpfige Familie auf dem Land damit über Wasser halten kann.
Roger Tan, Manager aus Singapur, hat 1994 - ein Jahr nach den ersten demokratischen Wahlen - die Aufbruchstimmung genutzt und mit einigen hundert Arbeiterinnen die Produktion aufgenommen. Ging es in den ersten Jahren rasant nach oben, "so machen uns heute vor allem die Chinesen zu schaffen", ist Tan besorgt. "Sie sind unser größter Wettbewerber. Da hat Kambodscha mit seinem Mangel an Rohstoffen keine Chance." Auch andere für die Fertigung notwendigen Produkte müssen für teures Geld eingeführt werden.
240 Textilfabriken umgeben Phnom Penh, erheblich weniger sind es in der Hafenstadt Sihanoukville. Hinzu kommen einige Schuhfabriken. Die meisten Betriebe werden von Ausländern geleitet. Außer aus China kommen sie aus Taiwan, Malaysia und Singapur. "Es gibt nicht genügend kambodschanische Unternehmer, die das können", sagt Van Sou Ieng vom Branchenverband GMAC. Dem Land fehlen die geschulten 40- und 50-Jährigen, die Pol Pots Mörder-Regime auslöschte. Auch in den Ministerien und in den Stadtverwaltungen fehlt es an Personal, das sachkundig beim Aufbau mittlerer Industrieunternehmen helfen könnte. Als Folge bleiben die Investitionen nicht im Land, sondern fließen als vervielfachte Gewinne wieder in die Nachbarländer. Roger Tan nennt ein weiteres Problem: 1996 hätten die USA ihre Grenzen für Hemden, T-Shirts und Hosen aus Kambodscha geöffnet, "in diesem Jahr aber hat uns der Wegfall des Quotensystems schwer getroffen". Als unmittelbare Folge schließt der Chef von Thai-Pore erneut steigende Arbeitslosigkeit nicht aus, an der auch die einflussreichen Gewerkschaften wenig ändern könnten. Für Kun Vuthy wäre dies eine Katastrophe - und für ihre Familie in der Provinz erst recht.
"Kambodscha wird dadurch deutlich benachteiligt, da seine Kostenstruktur deutlich höher ist als etwa diejenige des Konkurrenten China und sein großer Vorteil darin lag, dass die Chinesen ihre Quoten aufgebraucht hatten", heißt es bei den Analysten von Mekong Capital. Eine weitere schwere Hypothek der kambodschanischen Wirtschaft besteht darin, dass sie mit dem Tourismus nur ein zweites Standbein hat. Dieser wuchs zwar in den letzten Jahren erheblich - 2004 waren es bereits eine Million Besucher - und trägt mit rund 300 Millionen Dollar zum Staatshaushalt bei. Wo jedoch Expertise gefragt ist, machen wieder ausländische Investoren, wie aus Thailand, das Rennen.
Dabei ist es ein Glück für Kambodscha, dass die UNESCO mittlerweile nicht weniger als vier Stätten zum Weltkulturerbe erklärt hat: Außer der 800 Jahre alten Tempelstadt Angkor Wat, die als eine Art achtes Weltwunder gilt, gehören der Preah-Vihear-Tempel im Norden des Landes dazu, ferner ein noch nicht näher definiertes Naturdenkmal in den Kardamom-Bergen in Westkambodscha sowie neuerdings auch der Zentralmarkt (Psar Thmei) in Phnom Penh, eine Art Wahrzeichen der Hauptstadt.
Es ist einer der großen und für das Land teuren Widersprüche, dass Früchte und Gemüse aus Nachbarländern wie vor allem aus Vietnam gekauft werden - Produkte also, mit denen die Kambodschaner selbst Geld verdienen könnten. Kambodscha könnte sogar bei nur einer Ernte im Jahr zehn Prozent der Jahresproduktion exportieren, doch ist die Verteilung so unzureichend, dass Menschen in einigen Provinzen hungern müssen. Viele haben auch kein Geld, um Lebensmittel zu kaufen. Vietnam hingegen mit seinen vergleichbaren klimatischen Bedingungen erntet den Reis dreimal im Jahr.
Thomas Engelhardt, Leiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Phnom Penh, ist verhalten optimistisch. "Für 2005 wird ein Wirt-schaftswachstum von 6,1 Prozent erwartet, nachdem im vergangenen Jahr das Wachstum sogar bei 7,7 Prozent gelegen hat." Das erinnert an den Boom der asiatischen Tigerstaaten. Allerdings geben die Zahlen ein verzerrtes Bild wieder, weil die kambodschanische Ausgangsposition viel schwächer war. Auch Engelhardt sieht zwar die starke Abhängigkeit von den Investitionen der Nachbarländer. Darin liege aber auch eine große Chance, "weil sich Kambodscha einem wachsenden Markt gegenübersieht, für den es produzieren könnte".
Paul Thomas, Sprecher des Arbeitskreises der deutschen Wirtschaft in Phnom Penh meint ebenfalls, Kambodscha sei "auf einem guten Weg, Terrain gutzumachen und in zehn Jahren einen annehmbaren Standard erreicht zu haben". Hier gebe es für Unternehmer allerdings keine eingefahrenen Gleise wie in Singapur oder Hongkong. "Ein Investor, der hier Geld verdienen will, muss seine Hände auch mal in den Dreck stecken", betont Thomas, der vor Jahren aus Singapur kommend inzwischen in Phnom Penh mehrere Firmen gegründet hat. Sein Fazit: "Hier ist noch echter Pioniergeist gefragt."