Europäischer Gipfel in Brüssel
Wenn die europäischen Regierungschefs übers Geld reden, wird es meistens spät. Deshalb hatte Tony Blair vergangenes Wochenende die Konferenzräume in Brüssel vorsorglich bis Samstag reservieren lassen. Denn als erfahrener Gipfelteilnehmer weiß er, dass die Alphatiere der Politik erst zu Zugeständnissen bereit sind, wenn ihnen die Kondition ausgeht. Das war schon 1992 in Edinburgh so, als zum ersten Mal ein finanzieller Rahmen für sieben Jahre beschlossen wurde, um neue Mitgliedsländer durch mehrjährige Strukturförderprogramme zu fördern. So wurde das Ringen um die "finanzielle Vorausschau" oder die "Finanzagenda" erst in den 90er-Jahren zum festen Bestandteil des Gipfelrituals. Die lange Gipfelnacht von Berlin, als Gastgeber Schröder nach zähem Ringen die "Agenda 2000" präsentierte, ist manchem wohl noch im Gedächtnis.
Vor ständig erweiterter Kulisse vollzieht sich nun zum dritten Mal das gleiche Spektakel: Die Länder, die von den Agrarbeihilfen am meisten profitieren - allen voran Frankreich - wollen daran nicht rütteln. Dieses Fördersystem ist schon mehrfach reformiert, im Kern aber nicht angetastet worden. Es wurde von den Gründervätern der EU entwickelt, die Hunger am eigenen Leib erlebt hatten. Butterberge und Milchseen waren damals noch unvorstellbar. Obwohl Europa heute auf ein weltweites Nahrungsmittel-Angebot zurück greifen kann und Mitglied der Welthandelsorganisation ist, die Agrarsubventionen verbietet, macht der Agrarhaushalt noch immer 40 Prozent des EU-Budgets aus.
Diese Beihilfen werden vollständig aus dem Gemeinschaftsetat bezahlt, während alle anderen Subventionen von den jeweiligen Regierungen mitfinanziert werden müssen. Im Oktober 2002 haben die EU-Regierungen auf deutsch-französischen Druck hin einstimmig beschlossen, die Agrarförderung bis 2013 nicht anzutasten. Ähnlich unbeweglich wie die Franzosen bei der Agrarförderung zeigen sich die Briten bei ihrem 1984 von Margaret Thatcher ausgehandelten Rabatt. Er war als Entschädigung dafür gedacht, dass Großbritannien wegen eines fehlenden bäuerlichen Mittelstands deutlich weniger von landwirtschaftlichen Beihilfen profitiert und deshalb mehr in den Brüsseler Topf zahlte, als es herausbekam. Großbritanniens Wirtschaft geht es inzwischen deutlich besser als zu Thatchers Zeiten, doch der Britenrabatt wächst parallel zum EU-Haushalt. Mit anderen Worten: Die Kosten der Erweiterung lasten vor allem auf den anderen Nettozahlern Deutschland, Niederlande und Schweden. Ihnen hatte Großbritannien in seinem letzten Kompromissvorschlag finanzielle Zugeständnisse angeboten. So sollte Deutschland für den Planungszeitraum bis 2013 nur 0,15 Prozent seiner Mehrwertsteuereinnahmen an die EU abführen, Schweden und die Niederlande nur 0,1 Prozent. Alle anderen Mitgliedstaaten sollten wie bisher mit 0,3 Prozent zur Kasse gebeten werden. Den Niederlanden wurde zusätzlich ein Rabatt von 210 Millionen Euro jährlich in Aussicht gestellt, Schweden sollte 150 Millionen Euro erhalten. Beide Länder winkten allerdings ab, weil sie ihre Nettobelastung immer noch als zu hoch ansahen.
Der letzte Vorschlag der Luxemburger Präsidentschaft lag bei 871 Milliarden Euro, was 1,06 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) entspricht. Er scheiterte Ende Juni auf dem letzten Gipfel hauptsächlich am Widerstand der Briten. Sie legten einen Tag vor dem von ihnen organisierten Gipfel einen Vorschlag vor, der 849,3 Milliarden kosten sollte, also 1,03 Prozent des BIP. Die Einsparungen erreichten sie durch eigene finanzielle Zugeständnisse und durch eine Kürzung der Strukturhilfen für die neuen Mitgliedsländer Osteuropas um zehn Prozent. Das britische Angebot, für den gesamten Planungszeitraum zusätzlich 8 Milliarden Euro beizusteuern, die nur den neuen Mitgliedstaaten zu Gute kommen sollen, rief bei den anderen Regierungen wenig Begeisterung hervor. Die Kürzungsvorschläge bei den Strukturfonds lehnten nicht nur die betroffenen Länder ab. Es gehe schließlich darum, den Lebensstandard innerhalb der EU möglichst rasch anzugleichen Doch der Agrarhaushalt ist für die nächsten sieben Jahre bereits verplant. Bei ihrem Rabatt können die Briten aus innenpolitischen Gründen allenfalls kleine Zugeständnisse machen. Deshalb muss bei den anderen Posten gespart werden: Bei Forschung und Strukturförderung, bei der gemeinschaftlichen Terrorismusbekämpfung und der gemeinsamen Entwicklungs-, Nachbarschafts- und Außenpolitik. Also genau in den Bereichen, die den EU-Bürgern besonders am Herzen liegen.
Wie auch immer die Regierungschefs entscheiden - das EU-Parlament muss dem Paket ebenfalls zustimmen. Die Parlamentarier lehnen es aber ab, das Budget, wie von den Nettozahlern im Rat gefordert, auf ein Prozent des BIP zu begrenzen. Sie argumentieren, dass die EU sich nicht ständig für neue Politikfelder wie die gemeinschaftliche Grenzsicherung, eine Chemieagentur oder Konfliktschlichtung zuständig erklären kann, ohne dafür mehr Mittel bereit zu stellen.
Einen Finanzvorschlag, der noch hinter den im Juni nicht konsensfähigen 1,06 Prozent der Luxemburger Präsidentschaft zurückbleibt, will das Parlament nicht billigen. Im Haushaltsverfahren müssten Rat und Parlament dann jedes Jahr gemeinsam überlegen, wie viel Geld ausgegeben wird. Bedauerlich ist nur, dass der leidige Streit um die Finanzen von Medien und Politikern zu Europas Schicksalsfrage stilisiert worden ist. Dabei hat das Gezänk ums Geld auch in den Hochzeiten der EU nie aufgehört. Doch auch ein Finanzkompromiss auf sieben Jahre wäre keine Garantie dafür, dass es mit Europa wieder aufwärts geht.