Als Ombudsmann ist der Grieche Nikiforos Diamandouros die instituionalisierte Klagemauer der europäischen Bürger
Europas Kummerkastentante ist ein 63-jähriger Politikprofessor aus Griechenland, der in seiner Freizeit historische Romane liest und derzeit aneinem neuen Buch über Demokratisierung arbeitet. Seit April 2003 leert P. Nikiforos Diamandouros die "Beschwerdebox" der 25 EU-Staaten. Als Ombudsmann der Europäischen Union hat er ein offenes Ohr und wird aktiv, wenn sich Europas Bürger über schlechte Verwaltungsarbeit der Brüsseler Institutionen beklagen: Anfragen, die nicht beantwortet werden. Dokumente, die die Behörde nicht herausgegeben will oder Rechnungen, die Monate später immer noch nicht beglichen sind. Die Liste der Ärgernisse ist lang. Ein deutscher Kleinunternehmer etwa wartete fast ein Jahr lang vergeblich darauf, dass die EU-Kommission eine Rechnung für geliefertes Computerzubehör bezahlte. Auch nach der siebten Mahnung war von den ausstehenden 17.437 Euro keine Spur. Der verzweifelte Mann wandte sich kurzerhand an Diamandouros und wenig später überwies die Brüsseler Behörde das Geld. Gerade kleine und mittlere Unternehmen leiden unter säumigen Zahlern, so der Grieche. Sein Vorschlag an die Kommission: Sie solle darüber nachdenken, künftig Verzugszinsen zu zahlen.
Nicht alles kann Diamandouros beeinflussen, aber vieles: Bohrt er nach, geraten die EU-Institutionen schneller in Bewegung als bei anderen Nachfragen: "Sie wollen ihre Bereitschaft zeigen, mit mir zum Wohl der Bürger zusammenzuarbeiten", sagt Diamandorous. Allein Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs fallen nicht unter seine Zuständigkeit. Auch schlechte Arbeit der lokalen, regionalen oder nationalen Verwaltungen liegt außerhalb seines Mandats. Doch welche Regierungsebene bei einer Verletzung des EU-Rechts zur Rechenschaft gezogen werden kann, darüber sind sich auch gut informierte EU-Bürger vielfach nicht im Klaren. Sicherheitshalber landet alles, was irgendwo nach Europa aussieht, daher erstmal auf Diamandouros Schreibtisch. "Für etwa 70 Prozent der einlaufenden Beschwerden bin ich nicht zuständig", sagt er. Solche Fälle werfe er jedoch nicht in den Papierkorb, sondern leite sie an seine Kollegen in den Ländern weiter. Und während die meisten Brüsseler Institutionen noch die Wunden der beiden Neins zur EU-Verfassung lecken, arbeitet Diamandouros daran, eine gemeinsame europäische Ombudsmann-Telefonnummer auf den Weg zu bringen. Diese Nummer für EU-Kummer soll von allen 25 EU-Staaten aus wählbar sein und Beratung in allen Amtssprachen der Union bieten. Bis auf Italien und Deutschland beschäftigt jeder EU-Staat einen nationalen Beschwerdemanager, sagt Diamandouros. Noch in diesem Jahr will er daher durch Deutschland touren, um für seine Aufgaben bei der EU als Ombudsmann in anderen EU-Ländern zu werben.
Ob Bürger, Unternehmen oder Verband - wer offiziell in der EU registriert ist, kann seinen Ärger über Fehler der EU-Bürokratie bei Diamandouros ablassen. Auf der Internetseite des Ombudsmanns, per E-Mail, Fax oder Brief und in jeder der 20 offiziellen Sprachen der Gemeinschaft. "Zuvor muss es jedoch einen Kontakt zu der betroffenen EU-Behörde gegeben haben", schränkt Diamandouros ein. Rund 70 Prozent der Beschwerden im Jahr 2004 drehten sich um vermeintliche Missstände in der EU-Kommission. Was angesichts des schrumpfenden Vertrauens der Bürger in die Behörde und ihres Rufs eines unberechenbaren Bürokratiemonsters nicht überrascht.
Bisher steht ein einheitlicher Kodex für Verwaltungshandeln auf Ebene der EU-Institutionen noch aus. Insgesamt wandten sich 2004 mehr als 3.400 Bürger an den EU-Ombudsmann - 53 Prozent mehr als im Vorjahr. 113 Fälle schloss Diamandouros ab, ohne einen Fehler der betreffenden EU-Behörde zu finden. Auf die Einwohnerzahl hochgerechnet sind die Spitzenreiter der Nörgler die Malteser. Die wenigsten Klagen kommen aus Großbritannien. Auch Deutschland liegt mit 464 Briefen im unteren Drittel der Beschwerden. Im September feierte die EU-Beschwerdestelle ihren zehnten Geburtstag. Kurz zuvor war der 20.000 Brief im Kummerkasten gelandet.
Als der Finne Jacob Söderman 1995 das neue Amt des EU-Beschwerdemanagers antrat, gab es in dem Straßburger Büro nur ihn und eine Sekretärin. Heute kümmern sich mehr als 60 Mitarbeiter um die Anliegen der Bürger. Als Chef der Behörde profitiert Diamandouros von seiner Erfahrung als Ombudsmann in Griechenland. Dort baute er das Amt seit 1998 auf und stürzte mit seinen Nachforschungen sogar einen korrupten Regierungsminister.
Auf europäischer Ebene fallen die Erfolge des Griechen bisher weniger spektakulär aus: So konnte er beispielsweise durchsetzten, dass die Kommission bestimmte Dokumente zur Verfügung stellt oder ein Bewerber nachträglich doch zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Ehrgeizig ist Diamandouros dennoch. "Ich versuche stets zu einer Lösung zu kommen, mit der beide Seiten zufrieden sind", sagt er. "Ich bin ein Vermittler, im Idealfall sollen alle gewinnen." Klappt es nicht mit dem Vermitteln, und weist die betroffene Behörde die Empfehlungen des Ombudsmannes zurück, kann er zu seiner schärfsten Waffe greifen: einen im Ton freundlichen aber in der Sache harten Brief an das EU-Parlament, der den Fall öffentlich macht. Derzeit beschäftigen sich die Parlamentarier mit Diamandouros Forderung an den Europäischen Rat, nicht länger hinter verschlossenen Türen zu tagen. Kritiker bemängeln, dass viele Vertreter der Nationalregierungen kein Interesse daran hätten, unpopopuläre Verordnungen im Angesicht der Öffentlichkeit zu beschließen. Diamandouros ist überzeugt, dass der Rat keine triftigen Gründe hat, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu arbeiten. Auf gesetzliche Regelungen kann der streibare Grieche Diamandouros nicht hoffen, denn ein Ombudsmann hat keine Rechtsmacht. Der Grieche sieht dies jedoch nicht als Schwäche seines Jobs, sondern als Stärke. Vor Gericht ziehen, viel bezahlen und lange auf ein Urteil warten oder lieber einen Vermittler einschalten, der schnell und kostengünstig handelt - der Bürger in der EU müsse wählen können, wo er sich beschwert, sagt Diamandouros. "Das verbessert die Qualität einer Demokratie."