Interview mit dem Studenten Sebastian Scharch zum Selbstversuch an der Berliner Humboldt-Universität, einen Monat von Hartz IV zu leben
Das Parlament: Herr Scharch, die vier Wochen sind fast um - wie geht es Ihnen?
Sebastian Scharch: Ich bin heute bei einem Euro angekommen - das ist das Geld, das ich noch für morgen habe. Über körperliche Mängel oder Hunger kann ich nicht klagen. Auch Lebensmittel habe ich noch im Vorrat. Aber ich verspüre einen gewissen Nachholbedarf in Sachen Kultur und Unterhaltung, denn da musste ich auf einiges verzichten: Eintrittspreise bezahlen, Weggehen, Freunde einladen - das war nicht mehr möglich.
Das Parlament: Was war Ihr größter Verzicht?
Sebastian Scharch: Ich hatte ein Problem mit der Mobilität. Meine Familie wohnt nämlich in Thüringen. Normalerweise fahre ich ab und an zu Besuch dorthin. Eine Bahnkarte für 40 Euro war aber bei dem Budget nicht mehr drin.
Das Parlament: Was haben Sie getan?
Sebastian Scharch: Manchmal habe ich einfach offen gesagt, dass es wegen meiner finanziellen Lage momentan nicht geht. Aber für den Versuch ist das nicht besonders sinnvoll, weil man ja Alternativen finden muss. Deshalb habe ich teilweise die Mitfahrzentrale genutzt. Der Rabatt mit der Bahncard war in meinem Fall nicht groß genug, als dass er die Kosten kompensiert hätte.
Das Parlament: Gab es weitere Probleme?
Sebastian Scharch: Ja, man kann keine schönen Geburtstagsgeschenke mehr machen, obwohl man das gerne möchte. Man kann sich aber auf Gutscheine verlegen, etwas im An- und Verkauf besorgen oder jemanden zum Essen nach Hause einladen - das funktioniert.
Das Parlament: Bei guter Planung und mit ein wenig Erfindungsreichtum konnten Sie also einigermaßen gut mit Ihrem Geld wirtschaften?
Sebastian Scharch: Ja. Trotzdem gibt es immer Dinge, an die man nicht denkt, so wie die Praxisgebühr und die Zuzahlung bei Medikamenten. Oder wenn größere Neuanschaffungen anstehen: Mir ist beispielsweise der Kühlschrank kaputtgegangen. Eigentlich müsste man für solche Fälle zusätzlich jeden Monat Geld zurücklegen. Das ist schwer möglich, glaube ich.
Das Parlament: Während Ihres Versuchs haben Sie genau Buch darüber geführt, wie viel Geld Sie wofür ausgegeben haben. Was waren die größten Posten?
Sebastian Scharch: Wir haben die Ausgaben in sechs Bereiche unterteilt: Nahrung, Kleidung, Mobilität, größere Anschaffungen, Kultur und Sonstiges. Wenn man nicht auf sein Budget achtet, gibt man das meiste Geld für Kultur aus. Und für Dinge wie den Kaffee zwischendurch oder das Brötchen unterwegs. Das schränkt man komplett ein. Nahrung ist dem gegenüber ein erstaunlich kleiner Posten. Ich habe festgestellt, dass man Lebensmittel sehr günstig einkaufen kann.
Das Parlament: Würden Sie nach diesen fast vier Wochen den Versuch fortsetzen?
Sebastian Scharch: Ich würde es ungern auch nur noch um einen Monat verlängern wollen. Manche Einschränkungen würde ich nicht länger schaffen. Ich habe auch auf Dinge verzichtet, die ich eigentlich brauchte, beispielsweise einen Winterpullover und Winterschuhe.
Das Parlament: Das heißt, Sie müssten sich, wollten Sie weiter auf diesem Level leben, verschulden?
Sebastian Scharch: Realistischerweise ginge es vielleicht noch drei oder vier Monate. Ich habe ja ein paar Reserven und nicht alle Kleidungsstücke gehen sofort kaputt. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, ein Jahr so zu leben. Natürlich gibt es die Möglichkeit, sich Sachen günstig auf dem Flohmarkt oder im Second-Hand-Shop zu kaufen. Langfristig halte ich das aber nicht für die beste Lösung.
Das Parlament: Trotzdem: In Berlin gibt es in dieser Hinsicht mehr Möglichkeiten als in anderen Städten, oder nicht?
Sebastian Scharch: Ja, Berlin ist eine billige Großstadt. Es gibt viele kostenlose oder kostengünstige Angebote, auch bei Lebensmitteln. Es gibt ein Sozialti-cket für die Bahn und wegen der guten Infrastruktur benötigt man kein Auto. Auf dem Land wäre das viel schwerer, weil man möglicherweise auf einen PKW angewiesen ist.
Das Parlament: Wie haben Ihre Freunde auf Ihren Versuch reagiert?
Sebastian Scharch: Zum Teil waren sie verwundert, zum Teil fanden sie es interessant. Die meisten Leute haben ja ihre Ausgaben nicht unter Kontrolle. Wer schreibt schon auf, was er ausgibt oder hat? Aber da ich auch ansonsten wenig Geld fürs Ausgehen ausgebe, war das ein nicht so großer Einschnitt.
Das Parlament: Was hat der Versuch bei Ihnen bewirkt?
Sebastian Scharch: Zum einen gehe ich noch bewusster mit dem wenigen Geld um, das ich zur Verfügung habe. Das heißt, ich gebe jetzt noch weniger aus und versuche, etwas zurückzulegen. Zum anderen entwickelt man Respekt vor Leuten, die Hartz IV beziehen. Es ist wirklich eine Lebenskünstler-Angelegenheit, solch ein Leben zu managen. Man muss sich gut organisieren, Preise vergleichen und oft lange nach günstigen Angeboten suchen. Auch das soziale Leben leidet darunter, und das zu kompensieren, ist sicher schwer.
Das Parlament: In Ihrem Seminar werden Sie "echte" Hartz IV-Empfänger zu Besuch haben. Was werden Sie dann fragen?
Sebastian Scharch: Uns Studenten interessiert vor allem, wie so ein Leben auf lange Zeit aussieht. Wir wollen fragen, wie man sich fühlt, wenn man sich nicht durch das Studium oder die Arbeit ablenken kann. Wie es ist, so viel Zeit zu haben, aber kein Geld. Gehen da Freundschaften zu Bruch? Und wie fühlt man sich, wenn man ständig diese Amtsgänge vor sich hat? Das konnten wir in unserem Versuch nicht nachstellen.
Das Parlament: Nun haben Sie wieder etwas mehr Geld in der Tasche. Was machen Sie damit?
Sebastian Scharch: Wirklich viel mehr ist es nicht. Aber was ich in den letzten Wochen wegen des Versuchs nicht ausgeben durfte, gebe ich für Weih-nachtsgeschenke aus.
Das Interview führte Susanne Sitzler