streitgespräch
Was bewirkt die Verteuerung der Energie?
Am 1.Januar 2000 trat die zweite Stufe der ökologischen Steuerreform in Kraft. Durch sie wurde die Mineralölsteuer um sechs Pfennig (inkl. Mehrwertsteuer sind das sieben Pfennig) angehoben. Die Steuer für die Kilowattstunde Strom stieg um 0,5 Pfennig (0,58 Pfennig inkl. Mehrwertsteuer). Die steuerliche Belastung von Heizöl und Gas blieb unverändert, für Nachtspeicherheizungen gilt die halbe Stromsteuer. In den kommenden drei Jahren wird die Ökosteuer jeweils im selben Ausmaß weiter steigen. Die erste Stufe der Ökosteuer trat im April 1999 in Kraft.
Die Einnahmen sollen nach dem Willen der Regierungskoalition in die Rentenkasse fließen, damit die Beitragssätze und damit die Lohnnebenkosten gesenkt werden können. Außerdem verspricht sich die Koalition von einer Erhöhung der Energiesteuern eine Verringerung der Umweltverschmutzung. Diese Wirkung bezweifelt die Opposition: Sie hält die ökologische Steuerreform insgesamt für unsozial gestaltet und bezweifelt ihre Lenkungsfunktion.
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Beim Streitgespräch von Blickpunkt Bundestag mit den Finanz- und Steuerexperten Dietrich Austermann (CDU/CSU) und Klaus Müller (Bündnis 90/Die Grünen) wurden erneut die unterschiedlichen Positionen deutlich.
Blickpunkt Bundestag: Herr Austermann, die Aufregung über die Ökosteuer ist groß: Autofahrer klagen über den steigenden Benzinpreis, die Bahn über höhere Belastung durch Stromkosten, Bauern und Unternehmen kündigen Verfassungsklagen an. Was sind Ihre Hauptkritikpunkte?
Austermann: Diese Steuer wird auch zum Schließen von Haushaltslöchern benutzt – und eben nicht wie versprochen aus-schließlich zur Senkung des Rentenbeitragssatzes und damit der Lohnnebenkosten. Denn dann könnte der Beitragssatz fast doppelt so stark sinken wie jetzt vorgesehen. Das Geld geht zwar in die Rentenkasse, aber muss dort unter anderem die Lü-cken schließen, die durch die Kürzung der Rentenbeiträge für Arbeitslosenhilfebezieher und die geplante Grundsicherung entstehen. Unternehmen, die sich besonders umweltfreundlich verhalten, werden zudem durch die Ökosteuer bestraft – etwa Bahn, Landwirtschaft und Produzenten erneuerbarer Energien. Die Industrie mit hohem Energieverbrauch erhält dagegen besonders hohe Ökosteuernachlässe. Das kann man niemandem mehr unter ökologischen Aspekten verständlich machen. Hinzu kommt: Erst versprach Kanzler Schröder, die Mineralölsteuer nur um sechs Pfennige zu erhöhen. Inzwischen sind es jährlich sechs Pfennige – und Ähnliches gilt für den Strom. Wenn nun Wirtschaft und Verbraucher deswegen tatsächlich massiv Energie sparen sollten, dann verfehlt die rot-grüne Regierung auch ihr Ziel, den Rentenbeitrag langfristig bei 19 Prozent zu halten. Denn dann gingen die Ökosteuereinnahmen drastisch zurück. Bei fünf Mark für einen Liter Benzin fahren nur noch Millionäre Auto – und dann kommt eben nichts mehr in die Kasse. Das Ganze ist reine Ökozockerei, die weder Arbeitskosten noch Umwelt entlastet.
"Mehreinnahmensollen bloss die Lücken schliessen"
Müller: Die CDU kann offenbar weder mit Geld umgehen noch die Schöpfung angemessen bewahren. Wenn wir alle Schritte der Ökosteuer umsetzen, sind wir noch nicht einmal bei einem Preis von 2,30 DM pro Liter Benzin, geschweige denn höher, es sei denn, die Opec treibt den Ölpreis dramatisch in die Höhe. 1994/95 hat doch die Union selber eine nationale Ökosteuer gefordert – bis die Koalition sich auf kleins-tem Nenner einigte, nämlich auf eine eu-ropäische Lösung, die immer noch nicht da ist. Wenn das Rot-Grün jetzt umsetzt, wird das nicht deswegen falsch. Die Menschen wissen, dass Umweltverbrauch teurer werden muss. Gerade Eltern haben das erkannt, weil sie ihren Kindern eine lebenswerte Umwelt hinterlassen wollen. Auch die übrigen Vorwürfe sind neben der Sache. Vor allem betreiben wir keine Ökozockerei. Denn die Einnahmen gehen vollständig an die Rentenversicherung. Während ihrer Regierungszeiten hat die F.D.P. die Mineralölsteuer um 60 Pfennige angehoben, die CDU/CSU um 50 Pfennige. Das Geld wurde unter anderem für den Golfkrieg, die Bahnreform und zum direkten Stopfen von Haushaltslöchern verwandt. Dagegen sind wir geradezu umwelt- und arbeitsmarktpolitische Musterknaben. Bei Rot-Grün sinken auch wegen der Ökosteuer die Sozialabgaben, bei der Regierung Kohl sind sie dagegen stetig gestiegen. Ginge es nach den Grünen, hätten wir den Rentenbeitrag weiter reduziert, als es jetzt mit 1,8 Prozentpunkten angesetzt ist.
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Klaus Müller (B'90/Die Grünen), Finanz- und Steuerexperte seiner Fraktion. |
Setzen Sie jetzt darauf, dass das Bundesverfassungsgericht die Ökosteuer kassiert?
Austermann: Die CDU/CSU geht nicht nach Karlsruhe. Wir versuchen die Ökosteuer politisch zu bekämpfen, um ihre Lebensdauer zu verkürzen. Aber benachteiligte Unternehmen und auch Landwirte, die Klagen angekündigt haben, dürften gute Aussichten auf Erfolg haben. Denn sie verletzt meiner Meinung nach den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz. Das gilt zum Beispiel dafür, dass Unternehmen mit besonders starken Emissionen teilweise besonders entlastet werden. Das mag zwar wegen des internationalen Wettbewerbs wirtschaftspolitisch vernünftig sein. Es ist aber mit unserer Steuersystematik unvereinbar.
Fürchten Sie sich vor Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes zur Ökosteuer?
Müller: Alle Verfassungsklagen werden in Karlsruhe scheitern. Denn der Gesetzgeber ist frei, über die Verwendung von Steuereinnahmen zu verfügen. Die Ökosteuer fließt erst in den Bundeshaushalt und wird dann an die Rentenversicherung weiter überwiesen. Außerdem gibt es einen Gesetzesvorbehalt, der alle Subventionstatbestände, die es tatsächlich bei der Ökosteuer gibt, demnächst auf den Prüfstand stellt. Damit soll auch erreicht werden, dass die Ökosteuer in ihrer Endstufe EU-konform ausgestaltet wird. Im Übrigen möchte ich den Aufstand nicht erleben, den wir gehabt hätten, wenn wir keine Ausnahmen – etwa für die Bahn und die Landwirtschaft – geschaffen hätten. Dann stünde die Republik wahrscheinlich Kopf.
"Ohne Ausnahmen stünde die Republik wahrscheinlich Kopf"
Austermann: Ich möchte noch etwas zur sozialen Wirkung sagen. Die Ökosteuer belastet all jene, die selbst keine Rentenversicherungsbeiträge zahlen, weil sie im Gegenzug eben nicht entlastet werden. Das gilt für Rentner, Arbeitslose, Studenten, Sozialhilfeempfänger und Pensionäre. Unsozialer geht es kaum noch. Denn neue Drei-Liter-Autos zum Benzinsparen können die sich auch nicht leisten. Diese Empfehlung mancher Sozialdemokraten halte ich für zynisch. Aber selbst die Durchschnittsfamilie mit einem Verdiener und zwei Kindern wird durch die Ökosteuer unter dem Strich belastet. Gewaltige Belastungen treffen die Pendler. Deshalb wäre es besser gewesen, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Denn jeder kann selber bestimmen, wie viel er ausgibt. Wer wenig hat und wenig konsumiert, zahlt dann auch weniger Mehrwertsteuer.
"Erhöhung der Mehrwertsteuer wäre besser"
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Dietrich Austermann, Finanz- und Steuerexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. |
Müller: Nun lassen Sie mal die Tassen im Schrank. Wir haben bis heute – inklusive der Kindergelderhöhung – die von ihnen genannte Durchschnittsfamilie um monatlich 170 Mark entlastet. Richtig ist: Insgesamt belastet die Ökosteuer Verbraucher stärker als die Wirtschaft. Das liegt aber daran, dass zum Beispiel der Individualverkehr und die Hausheizungen einen besonders hohen Anteil zur Umweltverschmutzung beitragen. Natürlich kann man durch Konsumverzicht die Ökosteuerbelastung ebenso senken wie die Belastung durch Mehrwertsteuer. Der Unterschied ist doch überhaupt nicht vorhanden. Im Gegenteil: Die Mehrwertsteuer greift beim gesamten Verbrauch, die Ökosteuer nur bei der Energie, ist also sehr viel zielgerichteter. Insofern ist das eine sehr viel sozialere Lenkungssteuer als die Mehrwertsteuer, die alle und alles trifft. Und dass wir jetzt beim Benzinpreis die Schallgrenze von zwei Mark erreicht haben, liegt zu 75 Prozent an den gestiegen Rohölpreisen. Leider profitieren davon die Scheichs und nicht die deutsche Rentenversicherung. Das hat etwas mit Marktwirtschaft zu tun, das müssen wir akzeptieren.
Austermann: Richtig. Aber der Staat kassiert fünf- bis sieben Mal so viel an Mineralölsteuer, wie die Ölscheichs für ihren Rohstoff bekommen. Ähnliches gibt es nur bei Zigaretten oder alkoholischen Getränken. Dass Benzin und Diesel bei uns so teuer sind, hat also nichts mit den Scheichs zu tun. Die sehen doch nur, dass Deutschland und andere Länder über die Mineralölsteuer ihre Staatskassen sanieren wollen. An diesem Geschäft wollen sie beteiligt werden. Und deshalb versuchen die Ölförderländer immer wieder, den Rohölpreis in die Höhe zu treiben.
Müller: Wir führen die Ökosteuer doch ganz langsam, stufenweise und ohne Schocktherapie ein. Das befördert die Gewöhnung an die Ökosteuer und an das erhoffte Energiesparen. Eine tief greifende Lenkungswirkung benötigt sehr viele Jahre. Das ist – aus ökonomischen Gründen – leider das Ergebnis des Koalitionskompromisses.
Austermann: Und deshalb sagen wir: Weil der Lenkungseffekt nicht durchschlägt, ist das auch keine Ökosteuer. Da steht Öko drauf, aber Öko steckt nicht drin. Jetzt heißt das Motto eher: "Rasen für die Rente."
Wenn aber alle Energie sparen, fehlen die Ökosteuereinnahmen für die Stabilisierung des Rentenbeitrages – oder etwa nicht?
Müller: Das ist leider sehr unrealistisch. Und trotzdem wird die Rentenreform eine besonders spannende Veranstaltung. Wenn die Beiträge nicht wieder steigen sollen, brauchen wir einen sozial ausgestalteten demografischen Faktor. Insoweit sind sich zumindest die Grünen mit der schwarz-gelben Opposition einig. Und möglicherweise brauchen wir selbst dann weitere Erhöhungen der Ökosteuer, um die Sozialabgaben zu senken.
Austermann: Es wäre besser gewesen, die Bundesregierung hätte die Steuern kräftiger und schneller gesenkt. Das hätte Konjunktur und Arbeitsmarkt beflügelt. Mehr Arbeitsplätze bedeuten auch Mehreinnahmen der Sozialversicherungen. Dann hätten wir uns die ganze Ökosteuer zur Stabilisierung der Rentenfinanzen schenken können. Steuer-erhöhungen sind sowieso das völlig falsche Signal.
Herr Müller, wenn ich Sie richtig verstanden habe, setzen Sie auf die Einsicht der Bevölkerung?
Müller: Das haben doch sogar Union und F.D.P. zu ihrer Regierungszeit getan, als ihre führenden Vertreter noch für eine Ökosteuer kämpften. Deshalb kann ich nur hoffen, dass die Opposition in Sachen Ökosteuer nicht in einen billigen Populismus verfällt. Dann haben wir gute Chancen, die Köpfe der Menschen und die avisierten Ziele zu erreichen. Dafür brauchen wir mittelfristig auch Änderungen – etwa Erleichterungen für regenerative Energien und einen stärkeren Zugriff der Ökosteuer bei Dreckschleudern. Wenn alle Parteien dafür werben, die Umwelt zu bewahren, dann wären wir einen großen Schritt weiter.
"Opposition darf nicht in billigen Populismus verfallen"
Austermann: Umwelt bewahren – dafür haben wir zu unserer Regierungszeit wichtige Weichenstellungen vorgenommen, einschließlich der Bahnreform, der umweltfreundlichen Autos und der Förderung erneuerbarer Energien. Aber die Schmerzgrenze ist inzwischen erreicht, an der das Autofahren anfängt, zum Luxus zu werden. Es darf aber in einer mobilen Gesellschaft nicht passieren, dass der Staat selber die Mobilität einengt, dass die Zahl derer immer kleiner wird, die sich das Autofahren noch leisten können. Nach den bereits verabschiedeten Beschlüssen wird die Mineralölsteuer in dieser Legislaturperiode – samt Umsatzsteuer – um weitere rund 28 Pfennige ansteigen. Und deshalb sehe ich überhaupt nicht, dass die Bevölkerung das akzeptieren wird. Da die Opposition die Ökosteuer nicht bremsen kann, bleibt nur die berechtigte Hoffnung auf das Verfassungsgericht.