streitgespräch
Streitgespräch über die Drogenpolitik
Keine Patentlösungen und kein Königsweg
Die Drogenpolitik gehört zu den heißen Themen der Parteien im Deutschen Bundestag. Der Streit eskalierte kürzlich an der Legalisierung so genannter Fixerstuben. Wie mit Süchtigen, wie mit Drogen umgehen? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit dem drogenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Hubert Hüppe (43) und der Bundestagsabgeordneten der Grünen Ekin Deligöz (28).
|
Hubert Hüppe im Gespräch mit ... |
Blickpunkt Bundestag: Nach dem jüngsten Drogenbericht der Bundesregierung ist die Zahl der Drogentoten im Jahr 1999 um 8,2 Prozent auf 1.812 angestiegen. Kann die Zahl der Drogentoten Maßstab für Erfolg oder Misserfolg einer Drogenpolitik sein?
Deligöz: Nein, sie kann höchstens ein Indikator von vielen sein. Viele andere wichtige Variablen müssen mit einbezogen werden: Die Art der Drogen, die Dosis, die Art der Einnahme, das Umfeld sowie Parallelkrankheiten wie Aids und Hepatitis. Mit nackten Zahlen allein ist nichts zu beurteilen.
"Mit nackten Zahlen allein ist nichts zu beurteilen"
Hüppe: Mir ist durchaus klar, dass hinter jeder Zahl ein persönliches, trauriges Schicksal steht. Und natürlich reagiert auch die Öffentlichkeit sensibel auf solche Zahlen. Die können Entwicklungen signalisieren, aber keinen wirklichen Aufschluss über Ursache und Maß von Drogensucht und -konsum geben. Sehr deutlich wird dies an den so genannten Methadon-Toten, bei denen immer eine Vielzahl von Gründen ursächlich sind.
|
... Ekin Deligöz über die Probleme in der Drogenpolitik. |
Sehen Sie überhaupt einen Königsweg zur Drogenbekämpfung oder kann ein höchst komplexes Problem eben auch nur höchst differenziert angegangen werden?
"Es gibt auch Menschen, die sich nicht helfen lassen wollen"
Hüppe: So ist es. Es gibt gerade in der Drogenpolitik nicht nur Schwarz und Weiß, sondern eine Menge Grautöne. Wenn jemand Patent-Antworten hätte, wäre er nobelpreisverdächtig. Es sind viele kleine Mosaiksteinchen, aus denen sich Analyse und Hilfe zusammensetzen. Bei den einen heißt der Ausweg Methadon, bei anderen der kalte Ausstieg oder der warme Entzug. Natürlich gibt es auch Menschen, die sich schlicht nicht helfen lassen wollen.
Deligöz: Auch ich sehe keinen Königsweg. Man muss problemadäquate Lösungen finden. Die sehen nun einmal bei Heroin-Abhängigen anders aus als bei Rauchern oder Haschisch-Konsumenten. Die Lösung liegt in einer Mischung, auf der ja auch unsere Drogenpolitik beruht: Prävention, Therapie, Schadensminimierung und - ich sage dies bewusst auch als grüne Politikerin - Repression. Nur: Auf die Dosierung kommt es an.
Lassen Sie uns konkret werden: Bundestag und Bundesrat haben mehrheitlich der Legalisierung von Fixerstuben zugestimmt. In ihnen können Schwerstabhängige unter medizinischer Aufsicht harte Drogen konsumieren. Ist das ein gangbarer Weg, Herr Hüppe?
"Spritzentausch geht auch ohne Fixerstuben"
Hüppe: Nein, deshalb hat meine Fraktion ja auch nicht zugestimmt. Ich finde es bestürzend, wie sich Rot-Grün auf zwei Lieblingsprojekte konzentriert: die Fixerstuben und die staatliche Heroin-Abgabe. Von der angeblichen Vier-Säulen-Praxis bleibt da nicht mehr viel übrig. Im Gegenteil: Bei der Prävention kürzt die Koalition den Haushalt, bei den Fixerstuben aber steckt sie Geld hinein. Und die sind teuer: Jeweils 600.000 bis 800.000 Mark.
Deligöz: Was kostet ein Aids-Kranker?
Hüppe: Dem wird dadurch nicht geholfen. Spritzentausch geht auch jetzt ohne Fixerstuben. Bei den Methadon-Programmen geht die ganze psycho-soziale Begleitung den Bach runter. Jetzt ist es nur noch eine reine Methadon-Abgabe-Politik. Hier aber könnte man Leben retten, hier wäre das Geld besser angelegt. Insofern setzt die Regierung falsche Schwerpunkte.
Deligöz: Ich finde, Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Man kann nicht die eine Form der Therapie gegen die andere ausspielen. Zum Beispiel argumentieren Großstädte wie München, Frankfurt oder Hamburg sehr deutlich in Richtung Fixerstuben. Weil dort die Probleme mit Schwerstabhängigen eben massiv auftreten. Die Augen davor zu verschließen nützt nichts. Fixerstuben können eine Antwort sein, wenn sicherlich auch nicht die einzige.
Was sind die Vorteile von Fixerstuben?
Deligöz: Einmal die Entkriminalisierung und der Schutz der Fixer selbst. In den Fixerstuben können sie mit sauberem Besteck Drogen konsumieren, müssen nicht mit HIV oder Hepatitis rechnen. Ärztliche Aufsicht ist vorhanden. Das bedeutet, dass Drogenabhängige dort überhaupt wieder für Hilfe erreichbar sind. Hinzu kommt der Schutz anderer Menschen. Wo es Fixerstuben gibt, liegen keine Spritzen auf Spielplätzen oder in U-Bahn-Schächten herum.
Ist ein staatlich geduldeter Drogenkonsum - dazu zählt ja auch die Abgabe der Ersatzdroge Methadon - ein Paradox?
Hüppe: Wichtig ist, welche Signale wir ausstrahlen. Und die sind mir mit der einseitigen Betonung von Duldung falsch gestellt. Die Prävention kommt zu kurz. Rot-Grün nimmt nicht zur Kenntnis, dass wir immer neuere und jüngere Generationen von Drogenabhängigen haben, die zu immer härteren Drogen greifen.
"All dies ist keineswegs eine paradoxe politik"
Deligöz: Es ist doch Unsinn, dass wir für Prävention und Therapie zu wenig tun. Wir verbessern zum Beispiel den Kinderschutz und die Lebensbedingungen in benachteiligten Wohngebieten - auch das ist Prävention. Wir fördern eine differenziertere Diagnostik. Dadurch werden die Hilfen klientengerechter und schneller wirksam. Wir kümmern uns intensiv um die gesellschaftliche Wiedereingliederung von Suchtkranken und darum, dass auch den Kindern von Suchtkranken geholfen wird. Hinzu kommen die Maßnahmen für die Überlebenshilfe. All dies ist keineswegs eine paradoxe Politik.
Einige Länder - etwa Bayern und Berlin - wollen bei den Fixerstuben nicht mitmachen. Wird Deutschland ein drogenpolitischer Flickerlteppich?
Hüppe: Ja, diese Gefahr sehe ich durchaus. Die Länder sind ja frei in ihrer Genehmigungspraxis: Sie können, müssen aber keine Fixerstuben zulassen. Wenn in Bremen erlaubt ist, was in Berlin verboten ist, finde ich das nicht besonders erfreulich.
Deligöz: Nicht nur Bund, Länder und Gemeinden müssen, um dies zu vermeiden, an einem Strang ziehen, sondern die ganze Gesellschaft. Wir alle müssen das Problem anerkennen und es nicht ausgrenzen.
Ist in der Drogenpolitik die einseitige Fixierung auf die klassischen Betäubungsmittel richtig? Müssten im Kampf gegen die Sucht nicht auch Tabak und vor allem Alkohol ins Visier genommen werden? Immerhin sterben in Deutschland jährlich etwa rund 100.000 Menschen an Alkoholmissbrauch.
Hüppe: Ich vermute, hier gibt es keinen Meinungsunterschied zwischen uns.
Deligöz: Richtig. Für mich ist Rauchen der Killer Nummer eins. Und auch der Alkohol richtet Hunderttausende zu Grunde.
Hüppe: Außerdem kommen jedes Jahr über 2.000 Kinder mit Alkoholembryopathie zur Welt, weil während der Schwangerschaft getrunken wurde. Deshalb keine Frage: Hier besteht erheblicher Handlungsbedarf.