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"Chancen der Tourismusbranche noch lange nicht ausgeschöpft"
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Ernst Hinsken |
ernst.hinsken@bundestag.de
Interview mit dem Ausschussvorsitzenden Ernst Hinsken
Blickpunkt Bundestag: Obwohl die wirtschaftliche Bedeutung des deutschen Tourismus ständig zunimmt, ist die Existenz eines eigenen Tourismusausschusses des Bundestages in der Vergangenheit häufig eher skeptisch gesehen worden. Die Frage war, was ein solcher Ausschuss bewirken könnte. Ist es nach Ihrer Auffassung gelungen, diese Zweifel zu zerstreuen?
Ernst Hinsken: Auf jeden Fall. Mehr und mehr wird erkannt, dass die Tourismusbranche ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor ist, dessen Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft sind. In der nach wie vor wachsenden Branche sind schon heute 2,8 Millionen Menschen beschäftigt, sie stellt 91.000 Ausbildungsplätze. Der Tourismus trägt 8 Prozent zum Bruttosozialprodukt bei, das entspricht immerhin einem Volumen von 275 Milliarden Mark. Die Tourismuswirtschaft liegt damit auf Platz zwei hinter der Automobilindustrie, aber noch vor der Elektro- und Maschinenbauindustrie. Die Tourismusbranche hat ein enormes Wachstumspotenzial. Die Welttourismusorganisation geht davon aus, dass sich die Zahl der Reisenden von gegenwärtig rund 650 Millionen in den nächsten 20 Jahren verdreifachen wird. Die EU-Kommission schätzt, dass der Tourismus in den nächsten 10 Jahren ein Potenzial von 2,2 bis 3,3 Millionen Arbeitsplätzen in sich birgt. Die Prognose für Deutschland beläuft sich auf ein Potenzial von 300.000 bis 450.000 neuen Arbeitsplätzen. Ich gehe davon aus, dass die Tourismusindustrie die "Leitökonomie des 21. Jahrhunderts" sein wird.
Ein Top-Thema für den Ausschuss war in den letzten Wochen die Expo 2000. Wie hat der Ausschuss auf die Vorbereitungen Einfluss genommen, um das Ereignis zu einem Erfolg werden zu lassen?
Die Expo 2000 ist für mich aus tourismuspolitischer Sicht das Top-Ereignis des Jahres 2000. Um so mehr bedauere ich den Fehlstart. In insgesamt vier Treffen haben wir versucht, auf die Geschäftsführung der Expo Einfluss zu nehmen – und haben auch einiges erreicht. So hat sich der Ausschuss insbesondere dafür eingesetzt, durch güns-tige Tarifgestaltung vermehrt Schulklassen nach Hannover zu holen. Leider ist die Geschäftsführung unseren Warnungen, was die Familientarife angeht, nicht gefolgt. Das Ergebnis kennen Sie ja. Aber da uns der Erfolg der Expo am Herzen liegt, haben viele andere Politiker und auch ich das Expo-Management und die Deutsche Bahn AG nachhaltig aufgefordert, die Preise – insbesondere für Familien – zu senken. Dass Expo und Bahn auf uns gehört haben, erfüllt mich mit Stolz und Genugtuung. Bedeutend mehr verkaufte Tickets zu etwas niedrigeren Preisen bringen sicher mehr Geld in den Staatssäckel als wenige mit hohem Preis.
Welche Themen werden die Arbeit des Ausschusses nach der parlamentarischen Sommerpause bestimmen? Was werden weitere Schwerpunkte in dieser Legislaturperiode sein?
Damit die Jobmaschine Tourismus so richtig unter Dampf kommt, müssen natürlich die Rahmenbedingungen stimmen. Viele Themen werden auf der Tagesordnung sein. Zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU ist zum Beispiel eine europaweite Harmonisierung der Steuergesetze – insbesondere der Mehrwertsteuersätze im Gastgewerbe – anzustreben. Auch was die steuerliche Entlastung der mittelständischen Betriebe und die Trinkgeldbesteuerung angeht, ist im Ausschuss für Diskussionsstoff gesorgt. Ebenso wird uns der Bürokratieabbau und die damit verbundene Deregulierung besonders fordern. Zugleich wird uns zum Beispiel auch der Kur- und Bädertourismus, der Camping- und Fahrradtourismus sowie das Tarifgebaren der Bahn beschäftigen. Besonders freut mich, dass die Bundesregierung meinen Vorschlag, das Jahr 2001 zum Jahr des Tourismus zu erklären, aufgegriffen hat. Mit einer solchen Initiative kann der sich in den letzten Jahren abzeichnende Trend zum Deutschlandtourismus – auch als Nachklang zur Expo – noch einmal nachhaltig gestärkt werden.