Abschied vom Bundestag
Die Dienstältesten:
Über 30 Jahre im Bundestag
Neben ihren Fotos im Abgeordnetenverzeichnis prangen jeweils neun Sterne – für jede Legislaturperiode des Bundestages einer. "Neunender" werden sie im Parlamentsjargon respekt- und ehrfurchtsvoll genannt – wie ein Platzhirsch in der Natur. Die Auszeichnung tragen genau drei Bundestagsabgeordnete: der ehemalige Bundesinnen- und Kanzleramtsminister Rudolf Seiters, Helmut Kohls früherer Staatsminister im Kanzleramt Anton Pfeifer (beide CDU/CSU) und der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Eberhard Urbaniak. Nach über 30 Jahren Mitgliedschaft nehmen sie nun Abschied vom Parlament.
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So unterschiedlich ihre Karrieren sind, gemeinsam ist den drei parlamentarischen Rekordhaltern, dass sie ohne Wehmut aus dem Bundestag scheiden. Kein Wunder: Der Abschied vom Parlament geschieht freiwillig, war lange geplant und erfolgt aus der Erkenntnis, dass es Zeit ist, den Stab an die jüngere Generation weiterzugeben. Beim Blick zurück überwiegt bei allen dreien denn auch eher Genugtuung. Und Dankbarkeit für ein pralles Politikerleben.
"Ich habe Glück gehabt", bilanziert etwa Rudolf Seiters (64) seine 33 Jahre im Bundestag. Neun Mal wurde er seit 1969 direkt ins Parlament gewählt, darauf ist er besonders stolz. Vier Bundeskanzler – Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder – hat er erlebt und selbst als Kohls Kanzleramtsminister, Innenminister und zuletzt als Bundestagsvizepräsident eine wichtige Epoche deutscher Geschichte mitgestaltet. So war er letzter westdeutscher Verhandlungspartner der ehemaligen DDR-Größen Erich Honecker, Egon Krenz und Hans Modrow. Als "politisches Highlight" unvergessen bleibt Seiters die gemeinsame Reise mit Hans- Dietrich Genscher 1989 nach Prag zu den Flüchtlingen in der deutschen Botschaft: "Das waren bewegende Momente." Selbst Zeichen gesetzt hat er bei seinem schnellen Rücktritt als Innenminister 1993 im Zusammenhang mit den Schüssen von Bad Kleinen. "Es war ein Akt der Schadensbegrenzung für mich, aber auch für die Regierung", begründet er seinen Schritt, der ihm auch den Respekt der Opposition einbrachte. Auch wenn Seiters jetzt aus dem Bundestag und aus der aktiven Politik ausscheidet – ein politischer Mensch bleibt er auf jeden Fall. Schon deshalb, weil er als Mitglied des Bundestagspräsidiums noch vier Jahre lang ein Büro im Parlament behält.
Natürlich wird er auch – ähnlich wie die beiden anderen "Neun-Sterne-Träger" – mit Rat aushelfen, wenn er denn gefragt ist.
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Rudolf Seiters bei der Leitung einer Plenarsitzung.
Nur wenige Monate kürzer als seine beiden CDU-Kollegen Seiters und Pfeifer sitzt der SPD-Abgeordnete Hans-Eberhard Urbaniak (73) im Bundestag. Mit seinen 32 Jahren Parlamentszugehörigkeit und seiner beruflichen Herkunft als Knappe und Hauer wird der engagierte Gewerkschafter aus Dortmund gerne als sozialdemokratisches "Urgestein" bezeichnet. Ein Titel, den er humorvoll und gelassen erträgt: "Lieber Urgestein als Nierensteine." Stolz ist Hans-Eberhard Urbaniak darauf, dass es ihm und seinen politischen Freunden bei der Stilllegung ganzer Industrieregionen gelungen ist, durch eine soziale Flankierung die Stahl- und Bergarbeiter vor dem sozialen Absturz zu bewahren. Gerade weil er vielen Menschen habe helfen können, fällt ihm nun das Loslassen von der Politik nicht schwer: "Ich kann frohen Herzens Abschied nehmen."
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Hans-Eberhard Urbaniak auf der Dachterrasse des Reichstagsgebäudes.
Als dritter "Neunender" verabschiedet sich Anton Pfeifer (65). Obwohl auch er 33 Jahre lang Bundestagsabgeordneter ist und als langjähriger Staatsminister beim Bundeskanzler ganz nahe an der Nahtstelle der Politik saß, siegt beim Rückzug auch bei ihm die Dankbarkeit über die Wehmut: "Besonders die acht Jahre enger Zusammenarbeit mit Helmut Kohl in Zeiten eines gewaltigen Umbruches waren eine reiche Zeit."
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Anton Pfeifer mit dem Kanzleramt im Hintergrund.
Als er 1969 in den Bundestag zog, hätte er es nie für möglich gehalten, selbst einmal an der deutschen Einheit und der Überwindung der Teilung Europas beteiligt zu sein. Auch wenn er weiterhin mit vollem Herzen der Politik verbunden bleibt und sich wünscht, dass der Bundestag gegenüber der Regierung mehr Selbstbewusstsein zeigt, gibt es Anton Pfeifer ein Gefühl der Befriedigung, jetzt Jüngeren den Weg in die Politik freizumachen: "Verantwortung gegenüber der nachwachsenden Generation und deren Zukunftschancen", nennt er das. Und spricht damit auch den beiden anderen "Neunendern" aus dem Herzen, die loslassen können, weil sie etwas geschaffen und geleistet haben.
Text: Sönke Petersen/Fotos: Phalanx/studio kohlmeier