Menschen im Bundestag
MfG - Mit freundlichen Grüßen
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Alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages erhalten Post von Markus Lehmann. Fast jeden Tag schickt er ihnen Briefe, die aus der Ferne kommen. Vielleicht nennt er sich deshalb Fernschreiber.
Markus Lehmann mag skurrile Dinge und skurrile Geschichten. Die Dinge sammeln sich in seinem Büro im Jakob-Kaiser-Haus, wo sie alle einen Platz bekommen und die Besucher wahlweise zum Lächeln oder zum Wundern bringen. Ein kleiner Basketballkorb über der Tür, eine Plastikfledermaus an der Decke, eine Uhr, die aussieht wie ein Parkhaus aus dem Legoland.
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Markus Lehmann ist verspielt. Dazu steht er. Das Spielerische gehört genauso zu ihm, wie die Ernsthaftigkeit, mit der er seine Arbeit tut. Beides zusammen macht ihn zu einem angenehmen Menschen, der mit seinen langen Haaren, der runden Nickelbrille, den schweren silbernen Ketten um Handgelenk und Hals und dem bunten Hemd fröhliche Gelassenheit ausstrahlt.
Die skurrilen Geschichten kommen nebenher und haben manchmal ganz aberwitzige Pointen. Zum Beispiel die von dem Kugelfisch, der einst im Aquarium von Markus Lehmann schwamm. Eine Kämpfernatur war das, die es drei Jahre lang am Ort aushielt. Bis dahin waren die Konstellationen im Wasserbecken immer so, dass die Fische relativ schnell das Zeitliche segneten. Markus Lehmann konnte nicht rauskriegen, wer mit wem gut zusammenpasst. Der Kugelfisch aber nahm sich erst nach drei Jahren das Leben. Sprang einfach aus dem Becken und wurde erst Tage später gefunden. Inzwischen liegen die Dinge besser, das Fischvolk verträgt sich.
Auf den ersten Blick scheint es sonderbar, dass der Bundestag eine Fernschreibstelle hat. Sie ist angesiedelt bei den Zentralen Technischen Diensten, zu denen auch der Plenarassistenzdienst, Reinigungsdienst, Fahrdienst, Etagendienst, das Tagungsbüro gehören. Und dann gibt es den Teilbereich Telekommunikation, der aus Fernsprechvermittlung und der Fernschreibstelle besteht.
Fernschreiber, so glaubt man, gehören der Vergangenheit an. Dass sie heute im Bundestag noch zu finden sind, hat zwei Gründe. Der erste ist, dass es einfach keinen guten neuen Namen gibt. Man hat es schon mal mit Telekommunikationsdienste versucht, aber das klingt ja nicht gerade schön. Der zweite Grund: In der Fernschreibstelle stehen wirklich zwei Fernschreiber, und die werden auch benutzt. Vor allem die Kommunikation mit dem Auswärtigen Amt läuft auf diesem Wege. Die Softwareindustrie hört es nicht gern, aber was die Sicherheit der übertragenen Informationen anbelangt, sind Fernschreiber noch immer unschlagbar.
"E-Mail ist wie öffentlicher Rundfunk", sagt Markus Lehmann. Post dauert zu lange. So kommt es, dass Markus Lehmann und seine beiden Kollegen Telexe verschicken und Telegramme. Einladungen zu Sondersitzungen beispielsweise laufen auf diesem Weg. Per Telex werden Reisedaten von Abgeordneten an das Auswärtige Amt übermittelt. Bei einem Telex kann jedes Zeichen durch fünf Mal Strom oder Nicht-Strom übermittelt werden. Am Ende gibt es diesen geheimnisvollen Lochstreifen, den nur noch wenige lesen können und der sich deshalb wunderbar als Geheimsprache eignet. Aber Geheimsprachen braucht man in der Fernschreibstelle nicht.
Dieser Teil der Arbeit hat zugleich ganz viel mit dem erlernten Beruf von Markus Lehmann zu tun. Er ist ein Fernschreiber, hat es bei der Bundeswehr gelernt, nachdem er vorher eine Lehre als Groß- und Außenhandelskaufmann absolviert hatte. Später arbeitete er als Zivilist bei der Luftwaffe und wurde vom Schreibfunker zum Fernsprecher umgeschult. Allerdings lag ihm dieser Job nicht so sehr. Die vom Bundestag ausgeschriebene Stelle eines Fernschreibers schien ihm da verlockender. Eine Entscheidung, die er nicht bereut.
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Der größte Teil der elektronischen Post kommt von Menschen, die die Möglichkeit nutzen, ihre Meinung allen Bundestagsabgeordneten mitzuteilen. Das ist fast wie Rederecht im Plenarsaal.
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Die meisten Ein- und Ausgänge, die Markus Lehmann im Bundestag weiterzuleiten hat, kommen und gehen per Fax und E-Mail. Alles was an die Adresse mail@bundestag.de geschickt wird, landet erst einmal bei ihm. Das sind im Monat zwischen 700 und 1.900 Eingänge. Faxeingänge verdoppeln diese Anzahl. Jeder Eingang wird in eine Kladde geschrieben und für längere Zeit aufgehoben und gespeichert. Das klingt ja noch einfach. Das Schwierigere und zugleich Spannendere ist: Markus Lehmann muss die Eingänge lesen und entscheiden, was er an alle Abgeordneten oder an einzelne Abgeordnete weiterschickt. Er prüft die Dinge nicht auf Tauglichkeit, wohl aber darauf, ob sie sich beispielsweise in Obszönitäten oder Bedrohungen erschöpfen.
Der größte Teil der elektronischen Post aber kommt von Menschen, die die Möglichkeit nutzen, ihre Meinung allen Bundestagsabgeordneten mitzuteilen. Das ist fast wie Rederecht im Plenarsaal. Natürlich liegt es bei den Abgeordneten, ob und auf welche Zuschriften sie reagieren. Aber auch das ist nur eine Seite. Die andere und nicht weniger wichtige hat etwas mit dem zu tun, was man aus all den Zuschriften erfährt. Sie sind die fast unmittelbarste Reaktion auf politische Entwicklungen oder Entscheidungen, die im Bundestag fallen. Jede Meinungsumfrage braucht länger. Die Tage nach den Ereignissen in Erfurt beispielsweise waren davon geprägt, dass zahlreiche Beileidsbekundungen kamen. Viele Menschen schrieben lange Briefe, in denen sie sich Gedanken über die Ursachen und Folgen des Geschehens machten, viele schrieben ihre Meinung zum geltenden Waffenrecht, zur Situation an Schulen, oder zu den ganz eigenen Ängsten.
Es kommt vor, dass Markus Lehmann Briefe liest und gern selbst eine Antwort schriebe. Manchmal schreibt jemand seine ganz persönliche Geschichte auf, sein privates Leid, sein großes Unglück. Was soll man damit machen? Andere wiederum laden den Bundeskanzler zu ihrer Hochzeit ein, schicken Familienfotos. Da denkt Markus Lehmann: "Auch wenn der Kanzler keine Zeit für die Hochzeit haben wird, freut ihn vielleicht die Einladung." Und schickt den Brief weiter.
Markus Lehmann sagt, die Arbeit sei ihm auf den Leib geschnitten. Er habe die Möglichkeit, die Angelegenheiten so zu organisieren, dass alles gut funktioniert und Spaß macht. Das ist wichtig: die Lust und den Spaß nicht zu verlieren. Wenn er alles zusammen nähme, was sein Leben ausmachte, sagt Markus Lehmann noch dazu, sei er ein glücklicher Mensch. Seine beiden Kinder sorgten für ausreichend aufregende Zeiten, das kleine Dorf, in dem er mit seiner Familie gelandet ist, wird von freundlichen und zugewandten Menschen bewohnt. Er kann in seinem Haus, wenn ihm danach ist, laut Heavy Metal hören, was er gern tut, und am Sonntag trifft man sich mit Freunden, um über das Leben zu reden. So hat er es zu Hause – das Leben – und es flattert ihm im Bundestag täglich in Form von elektronischer Post ins Büro. Er liest und schickt es weiter an die Abgeordneten.