Eröffnungsrede des Vorsitzenden Eduard Oswald
Guten Morgen liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen hier im Europa-Sitzungssaal im Deutschen Bundestag. Leider können wir mit den Jalousien nicht so stark nach oben gehen, sodass Sie nur eingeschränkten Blick nach draußen haben. Aber ich glaube, wir werden dann auch in der Pause Möglichkeit zum Sehen haben. Herzlich willkommen. Wir hatten ja gestern Abend einen wunderbaren Konferenzabend, mit einem Kulturprogramm, wo jeder Einzelne auch zur Stunde noch schwärmt. Die Konferenz der Vorsitzenden der Finanzausschüsse der Parlamente der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, des Europäischen Parlaments und der Parlamente der Beitrittskandidaten widmet sich heute dem Thema "Herausforderungen des demographischen Wandels in der EU annehmen - Tragfähigkeit öffentlicher Finanzen und Stabilität der Finanzmärkte zukunftsfest gestalten".
Nach einigen Vorbemerkungen von mir und dem sich anschließenden Grußwort des Vorsitzenden des Finanzausschusses unseres Bundesrates, Herrn Minister Dr. Helmut Linssen - den ich herzlich neben mir begrüße - werden wir einen weiteren Impuls für unsere Diskussion vom Chef des Bundeskanzleramtes, Herrn Bundesminister Dr. Thomas de Maizière, erhalten, der wahrscheinlich noch mit Angela Merkel telefoniert, die sich ja in Amerika aufhält. Sodann wird unsere Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium der Finanzen einen weiteren Input geben, der uns deutlich machen wird, was auf uns Finanzpolitiker durch die demographischen Veränderungen zukommt, was schon auf dem Weg ist und womit wir uns auch in Zukunft eingehender auseinandersetzen müssen.
Meine sehr verehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen: Erstmals in der Geschichte der EU bildet die amtierende deutsche Ratspräsidentschaft mit den beiden nachfolgenden Präsidentschaften Portugal und Slowenien eine so genannte Trio-Präsidentschaft. Und für unsere drei Länder genauso wie für andere Länder bedeutet das vor allem eine große Verantwortung in einer größeren Europäischen Union. Mit der Erweiterung um Bulgarien und Rumänien und nunmehr fast 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern ist die EU der größte Binnenmarkt der Welt.
"Europa gelingt gemeinsam", so ist das Motto der amtierenden Präsidentschaft. Und ich freue mich deshalb ganz besonders, dass die Kolleginnen und Kollegen aus Portugal, aus Bulgarien und Rumänien heute unter uns sind. Ebenso wie ich mich darüber freue, dass an diesem Montag auch die Kolleginnen und Kollegen aus Dänemark, aus Estland, aus Frankreich, aus Griechenland, aus Italien, aus Litauen, aus Luxemburg, aus den Niederlanden, aus Österreich, aus Polen, aus Spanien, aus Schweden, aus der Tschechischen Republik, aus dem Vereinigten Königreich, aus Zypern und aus der ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien den Weg zu uns gefunden haben.
An dieser Stelle nicht vergessen möchte ich natürlich auch meine teilnehmenden Kollegen aus dem Deutschen Bundestages, aus dem Finanzausschuss. Sie hatten ja auch schon Gelegenheit, sie am gestrigen Abend kennen zu lernen, die Stellvertretende Vorsitzende des Finanzausschusses, Frau Kollegin Gabriele Frechen, den finanzpolitischen Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion Jörg-Otto Spiller, die Kollegen, ja jetzt sehe ich auch den Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Finanzausschuss, Dr. Gerhard Schick, und den Kollegen Manfred Kolbe aus der Unionsfraktion. Natürlich haben wir bei einigen heute das eine oder andere Terminproblem, weil wir ja einen Brückentag haben. Aber das soll uns nicht hindern, gute Beratungen zu haben. Wir haben diesen Termin auch gewählt, weil viele andere Ausschüsse des Parlaments auch Termine gesucht haben. Aber ich glaube, dass es schön ist, dass trotz dieses morgigen Feiertages viele bei uns sind.
Auch bei unseren polnischen Freunden möchte ich mich bedanken. Es schließt sich ja am kommenden Donnerstag zusätzlich noch der Nationalfeiertag aus Anlass der Begründung der Verfassung von Polen an. Dass Sie trotzdem hier sind, ehrt uns und zeigt das gemeinsame Interesse für und an Europa.
Aber vielleicht nutzen Sie auch die Gelegenheit, um unsere Bundeshauptstadt in ihren vielfältigen kulturellen Angeboten noch etwas kennen zu lernen. Und ich sage Ihnen, es lohnt sich, Berlin anzuschauen. Und ich sage das auch als einer, der aus dem Süden Deutschlands, aus dem Freistaat Bayern, kommt. Herr Minister Linssen ist ja Minister in Nordrhein-Westfalen. Ich komme aus Bayern. Insofern schließen wir Deutschland ein.
Ich darf Sie auch herzlich von Kommissar Almunia grüßen, der auch für das heutige Thema zuständig ist. Er war leider nicht in der Lage, heute bei uns zu sein. Sein Gruß ist uns aber herzlich willkommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen heute die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und auf die Stabilität der internationalen Finanzmärkte in den Blick. Der demographische Wandel wird in den Gesellschaften der EU-Mitgliedstaaten in den kommenden Jahrzehnten komplexe Herausforderungen stellen. Auf der einen Seite beinhaltet die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung Potenziale für Staat, Gesellschaft und Familie. Auf der anderen Seite wird der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung sinken. Weniger Kinder und junge Menschen können weniger Wohlstand, weniger Dynamik, weniger Innovation und weniger Lebensqualität bedeuten.
Ich sage bewusst "können", nicht "müssen".
Vor diesem Hintergrund ist die Gestaltung des demographischen Wandels ein zentrales Thema für unsere Gesellschaften. Wenn es uns also heute gelingt, auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten, der Parlamente, den Erfahrungsaustausch hierzu zu intensivieren, zu fragen, wie zum Beispiel die Potenziale und das Erfahrungswissen der älteren Generation für Wirtschaft und Gesellschaft besser genutzt werden können, wie wir die Beschäftigung, insbesondere die von qualifizierten jungen Frauen, ermöglichen können, so diskutieren wir vor allem über Chancen des demographischen Wandels, wohl wissend um seine Herausforderungen. Und die Änderungen in der Altersstruktur unserer Gesellschaften haben sich langfristig angekündigt und erreichen uns nicht über Nacht - was einen Vorteil dafür bietet, sich auf diese Veränderungen einstellen zu können, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Wir alle werden uns zunehmend fragen - der eine mehr, der andere vielleicht weniger, je nach der Ausgangssituation, der Altersstruktur in unseren Heimatländern -, wie sozialer Friede, Wohlstand und die eigene Kultur erhalten bleiben können, wenn jede Kindergeneration um etwa ein Drittel kleiner ist als die Generation ihrer Eltern. Dies ist zum Beispiel in unserem Land, in Deutschland, zurzeit der Fall.
Wir haben es hier mit einem doppelten Prozess zu tun: Parallel zum Rückgang der Bevölkerungszahlen werden die Menschen in einem bisher nicht da gewesenen Maße älter, was nur positiv zu bewerten ist. Auf uns als Finanzpolitiker kommen dabei schwierige und komplexe Fragestellungen zu.
Die größte Herausforderung wird die soziale Sicherung der Bevölkerungen im Rentenalter sein. Was können wir als Finanzpolitiker dazu beitragen?
Was müssen wir jetzt schon tun, um auch in Zukunft die Finanzierung öffentlicher Aufgaben zu sichern?
Der Rückgang der Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter vermindert die Zahl der Menschen, die den Aufwand der öffentlichen Haushalte erwirtschaften können, Steuern und Sozialabgaben zahlen können.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es handelt sich hierbei sicher um Fragen, auf die wir Europäer Antworten finden müssen. Aber: Alle Länder, auch die so genannten Schwellenländer wie China oder auch Indien, die gerade rasante wirtschaftliche Entwicklungen durchlaufen, werden in bereits jetzt absehbarer Zeit von demographischen Veränderungen betroffen sein.
Dass wir Europäer mit diesen Veränderungen wesentlich früher konfrontiert sind, muss kein Nachteil sein, und vielleicht können auch nicht-europäische Länder von unseren Erfahrungen und Lösungswegen profitieren.
Sicher scheint mir dabei, dass in einer Zeit fortschreitender Globalisierung die Folgen demographischer Verschiebungen internationaler und erst recht europäischer Beachtung bedürfen.
Unser heutiges Thema ist hoch aktuell und wird es auch lange bleiben: Bereits die G 20 hatte dieses Thema im Jahr 2004 unter dem Vorsitz Deutschlands auf die internationale Tagesordnung gesetzt. Im Rahmen der deutschen G-20-Präsidentschaft fand auf französische Einladung in Paris ein G-20-Seminar zu Demographie und Wachstum statt.
Die Europäische Kommission hat sich in mehreren Mitteilungen eingehend zur demographischen Zukunft Europas geäußert. Ich erinnere nur an die Mitteilung der Kommission aus Anlass der Tagung der Staats- und Regierungschefs im Oktober 2005 unter dem Titel "Europäische Werte in der globalisierten Welt" und die weiteren Mitteilungen vom Ende des vergangenen Jahres zur "Demographischen Zukunft Europas - von der Herausforderung zur Chance" und "Die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen in der EU". Auch die Europäische Zentralbank ist hierzu aktiv, wie ich zuletzt dem Monatsbericht vom Februar 2007 entnehmen konnte. Und bis in diese Tage ist auch der ECOFIN-Rat mit den Herausforderungen der demographischen Veränderungen für die Finanzpolitik befasst. Es ist in diesen Tagen - vielleicht gibt es ihn schon - mit einem neuen Bericht der Kommission zu rechnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen: Der demographische Übergang ist ein universaler Vorgang, auch wenn hinsichtlich seines zeitlichen Rahmens große Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern, in unserer Europäischen Union und den Regionen der Welt bestehen.
Unsere Regierungen und wir als die Vertreter des Volkes tragen die Verantwortung für einen gerechten Ausgleich zwischen den Generationen und sollten keine finanzpolitischen Maßnahmen ergreifen, die künftigen Generationen eine übermäßig hohe Belastung auferlegen. Einen derartigen Wandel der politischen Meinung zu erreichen, ist ehrgeizig, jedoch lassen uns die immer deutlicher werdenden Auswirkungen der demographischen Veränderungen keine andere Möglichkeit. Ein sicherlich großer Teil der erforderlichen Maßnahmen wird auf den nationalen Ebenen umzusetzen sein. Jedoch wird die Notwendigkeit eines mehr und mehr globalen Herangehens an diese Herausforderungen angesichts der unterschiedlichen Stadien des demographischen Übergangs nicht geringer. Hier sind vor allem Aspekte wie nicht zuletzt die Stabilität des internationalen Finanzsystems betroffen. Demographische Verschiebungen verändern nicht die Notwendigkeit verantwortlicher und tragfähiger Politik; vielmehr muss die Politik, müssen wir in den Parlamenten diese Herausforderung für die Zukunft unserer Länder annehmen und den Auswirkungen positiv und handlungsstark begegnen. Womit ich meine Vorbemerkungen schließen möchte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein organisatorischer Hinweis: Nichts von dem, was hier heute gesprochen und diskutiert wird, geht verloren. Sie alle werden eine Dokumentation mit den Beiträgen zu unserer Konferenz erhalten. Dies ist auch der Grund, warum hier auch ein Fotograf immer wieder Bilder machen wird. Dies wird alles dann schön auch festgehalten.
Ich würde nun meinen Kollegen, unseren Vorsitzenden des Finanzausschusses des Bundesrates Dr. Helmut Linssen bitten, ein Grußwort an uns zu sprechen. Ich will aber auch formell sagen, wenn wir dann später diskutieren, dass Sie ganz einfach nur durch ein Handzeichen sich melden, und wir versuchen dann, auch dies schlicht und einfach aufzugreifen und dann zu den einzelnen Positionen - ich gehe davon aus - zu den entsprechenden Referaten dann die Wortmeldungen abwickeln. Jetzt übergebe ich das Wort an Minister Dr. Helmut Linssen und bitte ihn um seine Ausführungen.