Keine Verdammung der Globalisierung, kein Nein zur EU, sondern deren Domestizierung und Indienststellung für eine sozialverträgliche, ökologische und partizipative Politik: Diese Richtschnur zieht sich als roter Faden durch die von Wissenschaftlern, Publizisten und Aktivisten aus dem internationalen Attac-Umfeld verfassten 24 Beiträge. Ja, es findet sich sogar Lob für die EU, "die es geschafft hat, Krieg zwischen den Mitgliedsstaaten undenkbar zu machen", so Susan George. Die französische Attac-Prominente hat im Prinzip auch keine Einwände gegen den Binnenmarkt. Christian Felber attestiert sogar dem ansonsten befehdeten freien Kapitalverkehr gewisse Vorzüge. Für Bernhard Obermayr steht ein "Zurück zum Nationalstaat" nicht zur Debatte - komme der EU doch das historische Verdienst der "Reduktion des Nationalismus im Innern" zu.
In erster Linie wird jedoch zur Attacke auf die EU geblasen, die alles dem kapitalfixierten Wettbewerb und der Standortkonkurrenz unterordne: "Wir erleben das Paradox, dass wir Wohlstand und Sicherheit zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit aufgeben, damit diese uns mehr Wohlstand und Sicherheit bringe", heißt es in einem Resumée. Die Autoren konzentrieren sich keineswegs allein auf das Ökonomische: Auch die Wandlung der EU zu einer inneren und äußeren Festung mit Rasterfahndung und Datenspeicherung, Brüssel als Militärmacht oder die Demokratiedefizite der Union wie die vom Scheitern bedrohte Verfassung werden seziert. Nun verwundern globalisierungskritische Töne in einem Attac-Buch nicht. Was indes den Reiz dieses Bands ausmacht: Ins Visier genommen wird die innereuropäische wie weltweite Rolle der EU als eines zentralen Players im Prozess der Wildwest-Internationalisierung. Erst vor dem Hintergrund dieser Einordnung der Brüsseler Union gewinnen die einzelnen Kapitel ihre Kontur.
Viel Wert legen die Autoren auf die Präsentation von Alternativen zum kapital- und marktorientierten Kurs der EU. Allerdings werfen diese Antworten auch manche Frage auf. Da findet sich Plausibles wie der Hinweis auf Dänemark, wo die Staatsquote hoch und die Armut niedrig ist und trotzdem - oder deswegen? - die Wirtschaft floriert. Oder es wird verlangt, den freien Kapitalverkehr und Warenhandel nicht als Ziel der EU zu definieren, sondern als Instrumente einer auf soziale Wohlfahrt, Vollbeschäftigung und Umweltschutz gerichteten Politik einzusetzen. Und die These, dass Vermögen und Kapitaleinkommen im Interesse des Gemeinwohls gerecht besteuert werden können, muss erst einmal widerlegt werden.
Freilich werden auch problematisch und manchmal naiv anmutende Vorschläge unterbreitet. So macht sich das Buch dafür stark, in der Dritten Welt die für den Lebensmittelexport in die EU genutzten Agrarflächen für die Deckung des Eigenbedarfs zu bewirtschaften: Was von dieser Idee wohl Bauern und Landarbeiter in Afrika halten, die von der Ausfuhr ihrer Produkte in den reichen Norden leben? Sollen die EU-Staaten tatsächlich ärmeren Ländern "bedingungslos" alle Schulden erlassen?
Attac (Hrsg)
Das kritische EU-Buch.
Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006; 320 S., 20,50 Euro