Zum 25. Mal ist das "Jahrbuch der Europäischen Integration" erschienen und zu einem unverzichtbaren Begleiter in der Forschung geworden. In mehr als 70 Beiträgen werden von 85 Autoren die wichtigsten europapolitischen Ereignisse des Berichtszeitraums 2004/2005 sachgerecht und verlässlich dargestellt. Schwerpunkt des Jahrbuchs bilden die beiden großen Themen des Jahres: die Zukunft des Verfassungsvertrags und die Notwendigkeit einer Strategiedebatte.
Das Jahrbuch hält an seiner bewährten Aufteilung fest. Zunächst stellen die Herausgeber eine Bilanz sowohl des politischen Prozesses 2005 als auch der wissenschaftlichen Debatte vor, die in jenem Jahr über den Integrationsprozess geführt worden ist. Ein zweiter großer Bereich widmet sich den Institutionen: Europäischer Rat, Rat, Parlament, Kommission, Gerichtshof, Rechnungshof, Ausschuss der Regionen, Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie Europäische Zent- ralbank. Der dritte Abschnitt befasst sich mit den Politiken der Union, angefangen von der Agrar-, über die Haushalts- bis hin zur Wirtschaftspolitik. Der Außenpolitik der EU wird ein eigener Bereich gewidmet, beinhaltet sie doch neben den Außenwirtschaftsbeziehungen, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber auch das Verhältnis zu verschiedenen Regionen wie auch die transatlantischen Beziehungen. Systematisch hätte hier ein eigenes Kapitel über die Entwicklungspolitik hinein gepasst.
Relativ knapp wird die politische Infrastruktur - Parteien, Lobbying und Interessenvertretung sowie öffentliche Meinung - abgehandelt. Die darauf folgenden Europapolitiken der 25 Mitgliedstaaten nehmen einen großen Teil im Jahrbuch ein. Die Erweiterung der EU, die Europapolitik in andern Organisationen wie Europarat, OSZE und Vereinten Nationen sowie ein Anhang, der eine Chronologie, Europa im Internet und eine Bibliografie enthält, runden das Jahrbuch ab.
In seiner Bilanz über das Jahr 2005 erkennt Herausgeber Werner Weidenfeld eine wachsende Bedeutung des EU-Parlaments, als es sich bei der Installierung der Barroso-Kommission besonders engagierte. Des Weiteren setzt er sich mit der Lissabon-Strategie, dem Stabilitätspakt, der differenzierten Kooperation einer EU-30+, den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, aber natürlich auch mit der Verfassungskrise auseinander. Zu Recht konstatiert er, dass es den politischen Eliten an Überzeugungskraft mangelt. Mahnend weist der Autor darauf hin, dass die innenpolitische Schwäche der europäischen Akteure sich als Achillesferse des europäischen Kontinents erweist.
Weidenfeld gibt sich jedoch optimistisch, wenn er erklärt, dass aus dem vorläufigen Scheitern der Verfassung vielleicht eine neue dynamische Vitalität im Integrationsprozess entstehen könnte. Der Münchener Wissenschaftler stellt fest, dass keine der Kontroversen in den EU-Mitgliedstaaten sich am wirklichen Kern der Verfassung festgemacht hat, sondern dass es - wenn überhaupt - "eher die relativ spät in den Verfassungstext geratenen Details der Wirtschafts- und Sozialpolitik" waren. Für Weidenfeld wurde der wesentliche Fortschritt, den die Verfassung in Bezug auf die Handlungsfähigkeit und Effektivität Europas bringen sollte, in keinem Mitgliedsland in Frage gestellt. Er rät zur Entdramatisierung.
Für die wissenschaftliche Debatte konstatiert der Co-Herausgeber Wolfgang Wessels eine neue und überraschende Unübersichtlichkeit. Gerade die negativen Ergebnisse in den Volksabstimmungen zur Verfassung hätten auch bei Wissenschaftlern ein Nachdenken ausgelöst, das einige Grundannahmen zur Vertiefung und Erweiterung in Frage stellen lässt. Der Kölner Politikwissenschaftler erkennt in der Debatte um die Integrationskonstruktion, die in der Diskussion um den Verfassungsvertrag einen Höhepunkt erfuhr, eine Konstante, die in der Frage nach der rechtlich-politischen Natur der EU mündet.
Wer sich verlässlich über die jüngere Entwicklung der EU informieren will, findet im Jahrbuch einen ersten sachgerechten Zugang, wobei die Literaturhinweise die weitere Vertiefung eines Problems ermöglichen.
Werner Weidenfeld/Wolfgang Wessels (Hrsg.)
Jahrbuch der Europäischen Integration.
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2006; 540 S., 49,- Euro