Der Berichterstatter will die europäischen Parteien stärken, damit sie ihre Rolle als Vermittler zwischen den Bürgern und den EU-Institutionen besser ausfüllen und die Interessen grenzüberschreitend bündeln können. Nur so könne eine europäische Öffentlichkeit entstehen, die die Bürger ermutige, sich mit Europa zu befassen. "Politische Kommunikation über Grenzen hinweg ist wichtig. Deshalb sollten europäische politische Stiftungen geschaffen werden", sagte Leinen. Sein liberaler Kollege Jules Maaten ergänzte: "Das deutsche Stiftungswesen ist das zivilisierteste der Welt. Wenn wir es auf die europäische Ebene übertragen könnten, würden wir alle in Europa davon profitieren." Bislang hat nur die konservative Partei eine derartige Einrichtung, die in Paris ansässige Robert Schuman Stiftung.
Die für das Thema europäische Öffentlichkeit zuständige EU-Kommissarin Margot Wallström lobte Leinens Bericht. Auf Details wie die Forderung, die Parteienfinanzierung flexibler zu gestalten, ging sie aber nicht ein. Vieles davon könne bereits intern umgesetzt werden, wenn das Europaparlament seine Geschäftsordnung anpasse und die europäischen Parteien ihre Statuten entsprechend änderten. Die Kommission dürfe Parteien nicht besser stellen als Nichtregierungsorganisationen oder andere europäische Zusammenschlüsse.
Jo Leinen schlägt vor, dass sich europäische Parteien künftig nach einheitlichen europäischen Regeln registrieren lassen. Bislang gilt das Recht des Mitgliedstaates, in dem die Parteizentrale ihren Sitz hat. Das neue Statut sollte bis zu den Europawahlen 2009 in Kraft sein, verlangt der Berichterstatter. Außerdem sollen die Vorschriften darüber, wie die Parteien ihr Geld ausgeben müssen, gelockert werden. Bis zu einem Viertel der Eigenmittel sollten angespart werden können. Ferner solle es möglich sein, Zuschüsse bis zu drei Monate ins neue Haushaltsjahr hinein zu übertragen. Der belgische Konservative Jean-Luc Dehaene unterstützt diese Idee. "Die starre Bindung der Finanzmittel an das Rechnungsjahr wurde wohl von irgendwelchen Buchhaltern erfunden. Ich habe den Sinn noch nie verstanden. Man sollte auch anderen Organisationen mehr finanziellen Spielraum zugestehen. Das jetzige System führt dazu, dass im Dezember alles hektisch und unüberlegt ausgegeben werden muss."
Bis 2003 gab es in der EU keine eigenständige Finanzierung für die Parteizusammenschlüsse auf europäischer Ebene. Sie wurden aus Fraktionsgeldern des EU-Parlaments mitgetragen. Als der Europäische Rech-nungshof diese Praxis bei einer Überprüfung der grünen Fraktion kritisierte, wurde nach einer transparenteren Finanzierungsmöglichkeit gesucht. Für eine Übergangszeit durften die Fraktionen maximal fünf Prozent ihres Etats in die Kasse ihrer europäischen Dachorganisation werfen. Seit das Parteienstatut in Kraft ist, erfolgen die Zahlungen direkt aus dem EU-Haushalt. Die Zuschüsse berechnen sich aus den Eigenmitteln der Partei und dem Stimmenanteil bei der letzten Europawahl.
Der Leinen-Bericht macht auch Vorschläge, wie das Interesse an Europawahlen erhöht werden könnte. Künftig solle jeder Wähler zwei Stimmen haben - eine für die nationalen Listen und eine für die europäischen Wahllisten der Parteien. Dem widersprach der konservative Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne. Man werde es nicht schaffen, die gleichen Politiker überall in Europa bekannt und dadurch wählbar zu machen. "Viel wichtiger ist es, dass jede der großen europäischen Parteien einen Spitzenkandidaten aufstellt, mit dem Ziel, ihn oder sie zum Kommissionspräsidenten zu machen. Allein dadurch würden wir die Wahlbeteiligung erheblich erhöhen." Innerhalb der Fraktionen ist das Bild weniger geschlossen, als es oftmals erscheint: Unter dem Dach der Konservativen versammeln sich britische Tories, die mehr Integration ebenso kategorisch ablehnen wie eine Verfassung für Europa. Daneben sitzen Berlusconis Getreue von der Forza Italia, die eher paneuropäische Bündnisträume zu pflegen scheinen. Der neue Vorsitzende der britischen Konservativen David Cameron hat angekündigt, die Torries würden demnächst die EVP-Fraktion verlassen und eine eigene euroskeptische Fraktion gründen. Der Europäischen Volkspartei EVP, die 1976 gegründet wurde, haben sie ohnehin nie angehört.
Bei den Sozialisten sieht es etwas einheitlicher aus. Sie haben mit der Sozialistischen Internationale auch deutlich mehr Erfahrung, über nationale Grenzen hinweg gemeinsame politische Ziele zu formulieren. 1992 wurde die Sozialistische Partei Europas SPE Nachfolgerin des Bundes der sozialdemokratischen Parteien. Spannungen gibt es aber zwischen New Labour und den französischen Traditionssozialisten sowie den skandinavischen Ablegern der Partei.
Ähnlich problematisch sieht es bei den Grünen aus. Die 1980 gebildete "Koordination grüner und radikaler Parteien in Europa" wurde zwei Jahre später wegen unüberbrückbarer Differenzen zwischen Linken und Realos wieder aufgelöst. Seit Februar 2004 gibt es eine Europäische Grüne Partei. Einige nordische Mitglieder haben den Austritt aus der EU im Programm und bereiten damit den proeuropäischen deutschen und französischen Grünen einiges Kopfzerbrechen. Angesichts der Lage scheint der Leinen-Bericht etwas voreilig. Doch der Berichterstatter setzt auf die faktische Kraft des Normativen. Immerhin in seine eigene Partei scheint er damit Bewegung zu bringen. Deren Sprecher versichert, auf der Grundlage des Leinen-Berichts würde nun das Projekt einer europäischen sozialdemokratischen Stiftung energisch vorangebracht.