Die Reaktion kommt prompt, die Worte klingen markig. Kaum sind die Wahlen in Weißrussland mit ihren Verstößen gegen demokratische Standards vorbei, äußert EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner scharfe Kritik an der autokratischen Herrschaft des angeblich mit über 80 Prozent der Stimmen bestätigten Präsidenten Alexander Lukaschenko und kündigt Sanktionen an: Es sei an der Zeit, "dass wir handeln". Brüssel wolle die seit 1997 existierende Liste von Minsker Funktionären aus Lukaschenkos Umfeld ausweiten, die nicht in die EU einreisen dürfen. In Berlin signalisiert Außenamts-Staatsminister Gernot Erler, Berlin werde solche Restriktionen mittragen. Im April wollen die Außenminister der Union zudem entscheiden, ob bestimmte weißrussische Auslandskonten eingefroren werden.
Nicht allein Brüssel macht Front gegen Lukaschenko, der die Chancen des Gegenkandidaten Alexander Milinkiewitsch und anderer Bewerber nicht nur mit Hilfe undurchsichtiger Stimmenauszählungen beeinträchtigt hat: Wahlhelfer der Opposition wurden vor dem Urnengang und auch nach den Protestaktionen gegen die Wahl in Minsk in großer Zahl verhaftet, Lukaschenkos Kontrahenten kamen in den staatlich dominierten Medien kaum vor. Die OSZE, mit 400 Wahlbeobachtern präsent, beklagt "den willkürlichen Einsatz der staatlichen Macht". Terry Davis, Generalsekretär des Europarats, prangert den Urnengang als "Farce" an. René van der Linden, Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Straßburger Staatenbunds, fordert die internationale Gemeinschaft auf, gegenüber Minsk "mit Härte und Geschlossenheit" zu reagieren.
Mehrere Bundestagsabgeordnete, die am Wahltag in Weißrussland waren, appellierten an Bundesregierung und EU, die Opposition stärker zu unterstützen. All das mutet wie eine gewaltige Drohkulisse gegenüber dem Autokraten in Minsk an. Bei näherem Hinsehen offenbart sich indes, dass Brüssel, Europarat, OSZE und nationale Regierungen gegenüber Lukaschenko nicht allzu viel in der Hand haben: Ein paar Einreiseverbote mehr, einige gesperrte Konten - das ist es schon. Der FDP-Außenpolitiker Werner Hoyer meint denn auch, dass "der Instrumentenkasten begrenzt ist". Wirtschaftssanktionen will niemand: Solche Maßnahmen würden die Zivilbevölkerung treffen und dürften Minsk noch weiter in die Arme Russlands treiben, dessen Präsident Wladimir Putin mit billigen Energielieferungen und Handelsvorteilen die ökonomische Lage im Nachbarland stabilisiert. Lukaschenko hätte wohl auch Wahlen nach demokratischem Standard gewonnen, wenn auch nicht so hoch: Das System bietet mit pünktlichen Gehalts- und Rentenzahlungen den Bürgern auf bescheidenem Niveau eine gewisse soziale Sicherheit. Die seit Jahren praktizierte Mischung aus internationaler Isolierung, politischem Druck auf Lukaschenko und Hilfe für die weißrussische Opposition haben nicht verhindert, dass der Präsident in Minsk nach wie vor fest im Sattel sitzt.
Der Europarat verweigert Weißrussland sogar einen Gaststatus bei seiner Parlamentarischen Versammlung. Deren Resolutionen, die Lukaschenkos Repressionspolitik geißeln, sind schon nicht mehr zu zählen. Vor dem jetzigen Urnengang konnte Herausforderer Milinkiewitsch bei Auftritten bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats sowie in mehreren Hauptstädten Solidaritätsbekundungen einsammeln. Auch Bürgerrechtsgruppen wie "Reporter ohne Grenzen" machen sich für Freiheitsrechte in Weißrussland stark. Nur: All das hat eben nicht viel genutzt. René van der Linden fordert deshalb die internationale Gemeinschaft zu einer "kritischen Reflexion" ihrer Strategie auf. Auch der Bundestag mahnt in einer Resolution, auf europäischer Ebene "eine abgestimmte Strategie zu entwickeln. Ins Blickfeld gerät dabei zusehends Wladimir Putin: Parteiübergreifend appellieren deutsche Parlamentarier an ihre Regierung und an die EU, vom russischen Präsidenten mehr Einsatz für Reformen im befreundeten Nachbarland zu verlangen. Eine gute Gelegenheit für einen solchen Vorstoß biete der G8-Gipfel im Juli in St. Petersburg, meint der SPD-Außenpolitiker Gert Weisskirchen. Günter Nooke (CDU), Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung: "Putin muss sich klar vom Vorgehen Lukaschenkos distanzieren und auf einen Kurswechsel hin zur Demokratie drängen." Unter Druck steht Moskau auch im Europarat, wo Russland im Mai für ein halbes Jahr die Präsidentschaft übernimmt. Van der Linden erwartet von Moskau Unterstützung für seinen Vorschlag, in Minsk ein Informationszentrum des Staatenbunds zu eröffnen: Dieses Büro soll direkte Kontakte zur demokratischen Opposition und zu zivilgesellschaftlichen Gruppen ermöglichen. Denn Van der Linden sieht zur Unterstützung der Oppositon vor allem ein Mittel: "Wir müssen die Isolation der Bevölkerung durchbrechen."