Hand aufs Herz, welchem Ostdeutschen steigt nicht der Glanz in die Augen, wenn er an das gute alte Westpaket denkt? An die Kartons voller Nylonstrumpfhosen und gebrauchter Westklamotten, die nach Bohnenkaffee und Karamell-Bonbons dufteten, nach parfümierter Seife, Schokolade und fernen Welten voller Luxus und Exotik? Wer zu den Glücklichen gehörte und "drüben" Freunde oder Verwandte hatte, wird besonders an Weihnachten wehmütig zurückdenken an die generösen Gaben des Klassenfeindes.
Auch Wolfgang Tiefensee, geboren in Gera, hat offenbar noch lebhafte Erinnerungen an die kapitale Wirkung des Westpakets. Wie sonst wäre zu erklären, dass der Bundesverkehrsminister und Ost-Beauftragte der Bundesregierung der begehrten Pappschachtel jetzt ein Revival beschert? Immerhin hat sein Ministerium gerade Hunderte von Päckchen finanziert, die in den nächsten Tagen an Ostdeutsche verschickt werden sollen - diesmal allerdings in umgekehrte Richtung, von Ost nach West. An jene Menschen nämlich, die in den Westen gegangen sind und dafür ihre schöne Heimat, genauer gesagt die Stadt Magdeburg, verlassen haben. Und das sind nicht wenige: Man könnte auch sagen, Magdeburg rennen die Leute in Scharen davon, besonders die jungen. Schluss damit, dachten sich jetzt die Stadtoberen zusammen mit einer Magdeburger Professorin und packten den Exilanten ein ganz besonders feines West-Paket: die "Heimatschachtel". Darin befinden sich unter anderem ein Satz Skatkarten, ein blauer Stoffbeutel mit dem Logo der Hochschule Magdeburg-Stendal, ein Krimi-Bändchen, zwei Sesamknäcke und feinstes Absinth-Trüffel-Konfekt; lauter Dinge also, die dem echten Magdeburger vor lauter Heimweh Tränen in die Augen treiben werden, wenn er das Päckel öffnet. Oh schöne Heimat, werden viele denken - und mit ein paar Habseligkeiten im Koffer unverzüglich gen Osten aufbrechen.
Hoffen kann die Stadt bei so durchschlagender PR nur, dass nicht alle 60.000 Exil-Magdeburger auf einmal eintreffen. Die städtische Infrastruktur könnte mit dem zu erwartenden Ansturm überfordert sein: Verstopfte Ausfallstraßen, kilometerlange Staus und plötzliche Wohnungsnot wären die Folge, die Nahrungsvorräte wären rasch aufgebraucht. Am Ende bliebe nur eine Lösung: Der Westen müsste Päckchen schicken. Kartonagen voll mit warmer Kleidung, dicken Decken und etwas Schokolade für die Kinder. Wie damals. Vielleicht muss man dann aber auf eine historisch bewährte Zustellungsmethode zurückgreifen: Wenn die Straßen noch immer blockiert sind, wirft man die Pakete einfach wieder aus der Luft ab.