In Bukarest und Sofia wächst die Nervosität. Mitte Mai will die EU-Kommission einen weiteren Bericht über den Stand der Reformen vorlegen. Er wird ausschlaggebend dafür sein, ob am Beitrittstermin 1. Januar 2007 festgehalten werden kann. Fällt die Beurteilung negativ aus, kann der Beitritt für einen der Kandidaten oder für beide um ein Jahr verscho-ben werden. Es können auch bestimmte Mitgliedsrechte für ein weiteres Jahr ausgesetzt werden. Im Rat genügt dafür die qualifizierte Mehrheit. Das Europaparlament, das den Beitritt bereits vor einem Jahr im Prinzip gebilligt hatte, wird Ende April seine Stellungnahme abgeben. Sorgen macht den beiden Kandidaten aber nicht nur eine mögliche schlechte Benotung aus Brüssel. Auch die öffentliche Meinung wendet sich zunehmend gegen sie. Die Bürger der Mitgliedstaaten drehen Europa enttäuscht den Rücken zu. Die Politiker haben deshalb versprochen, künftig mehr auf die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Wähler zu achten. Die Botschaft, die sie in Meinungsumfragen zu hören bekommen, ist eindeutig: Schluss mit der Osterweiterung.
Zusätzlich starteten bulgarische Politiker eine Charmeoffensive in den europäischen Hauptstädten. Nach mehreren Ministern machte Bulgariens Staatschef Georgi Parwanow in Berlin seine Aufwartung. Die deutschen Gesprächspartner wollten von allen dasselbe wissen: Wie steht es um Justiz und Polizei, zeigt der Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität Wirkung? Erweiterungskommissar Olli Rehn sagte dazu in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Korruption ist auch ein Kulturphänomen. Es wird dauern, bis sie ausgemerzt ist und ganz wird es wohl nie gelingen."
Weil niemand das Thema Erweiterung derzeit gern anfasst, ist auch der Ratifizierungsprozess in den nationalen Parlamenten ins Stocken geraten. 13 EU-Länder haben die Beitrittsverträge bereits unterzeichnet. Mehrere Volksvertretungen, darunter die französische, die deutsche, die österreichische und die dänische, haben die Ratifizierung der Beitrittsverträge vertagt. Sie wollen zunächst abwarten, was die Kommission in wenigen Wochen in den fälligen Fortschrittsbericht hinein schreibt.
Bukarest betrachtet Paris traditionell als seinen engsten Verbündeten in Westeuropa. Bis vor kurzem konnten die Rumänen, wenn es in den Beitrittsverhandlungen eng wurde, immer auf die Fürsprache der Franzosen zählen. Seit aber die Regierung das Verfassungsreferendum verlor, ist alles anders. In der Kampagne der Verfassungsgegner und in Meinungsumfragen zeigte sich, dass die Angst vor Billigkonkurrenz aus dem Osten und der Schock einer zu rasch voran getriebenen Erweiterung für viele ausschlaggebende Motive waren, die Verfassung abzulehnen.
Zunächst aber wird mit Spannung erwartet, ob die EU-Kommission tatsächlich eine konkrete Empfehlung für ein Beitrittsdatum für Rumänien und Bulgarien abgibt. Bisher hat sie Schlussfolgerungen aus den Erkenntnissen stets den Regierungen überlassen. Auch der Türkeibericht vom vergangenen Oktober, der die Grundlage für den Beginn der Beitrittsverhandlungen bilden sollte, verzichtete auf Empfehlungen. Bezogen auf Rumänien und Bulgarien sagte die Kommission im Oktober, beide erfüllten die politischen Beitrittskriterien. Erweiterungskommissar Olli Rehn stellte fest: "Lange war Bulgarien bei der Anpassung an den rechtlichen Besitzstand der Gemeinschaft deutlich voraus. Inzwischen gibt es in Rumänien aber sehr ernsthafte Reformbemühungen." Rumänien habe das Justizsystem reformiert, die Unabhängigkeit der Richter gestärkt, die Medienfreiheit, die Lage von Minderheiten und den Kinderschutz verbessert. Der grüne EU-Abgeordnete Cem Özdemir glaubt deshalb, eine Verschiebung um ein Jahr sei das falsche Signal an die neue Regierung in Bukarest. "Der Kurswechsel ist glaubwürdig und nachprüfbar. Die Politiker der neuen Regierung sind offen und räumen die Probleme ein."
Noch im März 2005 äußerten sich in einer Anhörung im Europaparlament Fachleute pessimistisch zu der Frage, ob Rumänien schon 2007 die Kopenhagener Kriterien erfüllen könne und als voll funktionierende Demokratie und Marktwirtschaft der Europäischen Union beitreten werde. Korruption, Wahlfälschung und Staatsdirigismus seien weiterhin an der Tagesordnung. Man müsse davon ausgehen, dass in der letzten Parlamentswahl im November 2004 bis zu zehn Prozent der Stimmen unkorrekt verbucht worden seien. Unverständlich sei, dass die EU keine Wahlbeobachter geschickt habe.
Auch im Wirtschaftsbereich fiel die Kritik damals harsch aus. Staatssubventionen für Privatfirmen würden im Tausch für politische Unterstützung gewährt. "Es ist schwer zu erkennen, welche Kriterien die EU-Kommission zugrunde gelegt hat, als sie im Oktober 2004 entschied, Rumänen sei nun eine funktionierende Marktwirtschaft." Ein britischer Wissenschaftler forderte, die EU müsse ihre Beitrittskriterien und den Verhandlungsprozess für künftige Erweiterungsrunden völlig überarbeiten.
Im Oktober 2005 war es Bulgarien, das im Fortschrittsbericht der Kommission harte Kritik einstecken musste. Vor allem die staatsanwaltichen Ermittlungen, Strafverfahren, die Bekämpfung organisierter Kriminalität und der Korruption erforderten nach Meinung der Experten zusätzliche Anstrengungen. Die Minderheitenrechte der Roma seien nicht ausreichend geschützt. In Rumänien hingegen fehlt es noch an Strukturen und Mechanismen, um die Strukturfonds-Mittel ordnungsgemäß zu verteilen. Sorge bereitet die Verschmutzung der Umwelt durch Industrieanlagen, die Korruptionsbekämpfung und ebenfalls der Grad der Lebensmittelsicherheit.
Vermutlich wird die EU-Kommission wohlwollende Umschreibungen dafür finden, beide Länder bereits im kommenden Jahr aufzunehmen. Sie könnte vorschlagen, in bestimmten Bereichen die vertraglich garantierte Freizügigkeit um ein Jahr zu verschieben. Dann könnten nur die nationalen Parlamente noch die Not-bremse ziehen, wenn sie sich weigern würden, die Beitrittsverträge zu ratifizieren. Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Matthias Wissmann (CDU), hält das für ein unwahrscheinliches Szenario. "Wenn die Kommission grünes Licht gibt, wird kein Mitgliedsland sich querstellen", glaubt er. "Der Zug Bulgariens und Rumäniens nach Europa ist längst abgefahren."
Daniela Weingärtner ist Korrespondentin der Wochenzeitung "Das Parlament" in Brüssel.