Das Parlament: Ist die EU-Verfassung tot?
Jens-Peter Bonde: Solange die Regierungen in Frankreich und in den Niederlanden nicht formell beschließen, dass der Ratifizierungsprozess weiter gehen kann, ist es meiner Ansicht nach illegal, den in beiden Ländern abgelehnten Verfassungstext weiterhin anderswo zur Abstimmung zu stellen.
Das Parlament: Wie geht diese Abstimmungsrunde weiter?
Jens-Peter Bonde: Die Machthaber in den Brüsseler Schaltzentralen drängen die Europäischen Mitgliedstaaten dazu, die tote Verfassung zu unterzeichnen. Bis zum Frühjahr 2007 werden wohl 20 EU-Mitglieder ratifiziert haben. Dann werden Angela Merkel und der neue französische Präsident eine Wiederholungsrunde in Frankreich vorbereiten, indem sie die Verfassung in zwei Teile aufsplitten: Einen, der sich gut bei den europäischen Wählern verkaufen lässt, und einen lizenziert-bürokratischen Teil, den das französische Parlament, die Assemblée Nationale, annimmt.
Das Parlament: Was ist falsch an diesem Plan?
Jens-Peter Bonde: In diesem ersten Teil wird es eine nicht-verpflichtende Erklärung mit einer Menge schöner Worte zum europäischen Sozialmodell geben. Damit werden die Franzosen eingeladen, die Verfassung falsch zu verstehen und anzunehmen, was sie zuerst abgelehnt haben. Das ist der Schlachtplan, der die Distanz der Bürger zur europäischen Elite noch vergrößern wird.
Das Parlament: Was ist das Negative am derzeitigen Verfassungsentwurf?
Jens-Peter Bonde: Den Hauptteil der Verfassung in Teil II und Teil III hat man nie bis ins Detail diskutiert. Das Resultat: ein unverständlicher Text, den sogar Minister nicht erklären können. Die Macht wird von den Wählern, den regionalen und nationalen Parlamenten, nach Brüssel geleitet. Dort entscheiden Menschen, die wir uns nicht auswählen. Gut 85 Prozent der Gesetze werden von EU-Beamten in 300 geheimen Gruppen hinter verschlossenen Türen entschieden, der Rest von Ministern und Beamten gemeinsam - ein Demokratiedefizit. Das Europäische Parlament kann nur Änderungen vorschlagen oder Gesetze ablehnen.
Das Parlament: Braucht Europa überhaupt eine Verfassung?
Jens-Peter Bonde: Europa braucht entweder nur eine kurze, demokratische Verfassung oder - was ich bevorzuge - ein kurzes Kooperationsabkommen, 50 Abschnitte, weniger als zehn Seiten. Die EU sollte durch einen Vertrag über die Zusammenarbeit in Europa auf interparlamentarischer Grundlage organisiert sein - ein Europa der Demokratien.
Das Parlament: Was kann jetzt getan werden, um eine Verfassung auf den Weg zu bringen?
Jens-Peter Bonde: Mein Vorschlag ist es, dass Gegner und Befürworter der Verfassung sich an einen Tisch setzen und einen gemeinsamen Text erarbeiten, der in ganz Europa diskutiert wird. Letztendlich soll ein Text entstehen, der transparente und demokratische Entscheidungsprozesse bewirkt. Die EU sollte nur dort tätig werden, wo die nationalen Regierungen im Alleingang nicht effektiv handeln können. Darüber sollten die Bürger der Europäischen Union dann am gleichen Tag abstimmen.
Das Interview führte Daniela Schröder