Wenn Margot Wallström, die für Kommunikation zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission, über ihre Arbeit spricht, wählt sie gern einen drastischen Vergleich: "Für die Europäische Union zu werben, das ist, als würde man Frankensteins Monster als Pamela Anderson verkleiden." Das Zitat stammt ursprünglich vom ehemaligen Außenhandelskommissar Pascal Lamy, der inzwischen Chef der Welthandelsorganisation geworden ist.
Wallström jedenfalls, die in der vorigen Kommission als Umweltkommissarin und Streiterin für eine strenge Chemiegesetzgebung keinen leichten Stand hatte, tourt seit Monaten lächelnd und mit scheinbar unver-wüstlichem Enthusiasmus durch Europa. Nur die tiefer sich eingrabenden Kerben um ihre Mundwinkel und das Frankenstein-Zitat lassen vermuten, dass EU-Umweltpolitik eine unproblematische Aufgabe war im Vergleich zum neuen Job.
Umfrageergebnisse vermitteln eine Ahnung davon, wie widersprüchlich die Erwartungen der Bürger sind. Während das Image der Europäischen Union ständig schlechter wird, steigt gleichzeitig die Zahl derer, die Europa mehr Verantwortung übertragen wollen, vor allem in der Außenpolitik.
Für Margot Wallström wäre die Sache einfacher, wenn sich nachweisen ließe, dass Ablehnung aus mangelndem Wissens darüber resultiert, was die EU eigentlich tut. Doch genau den umgekehrten Schluss legen Untersuchungen nahe: In den Ländern, in denen der Informationsstand über Arbeitsweise und politische Ziele der EU am höchsten ist, ist auch der Prozentsatz der Euroskeptiker an der Bevölkerung besonders hoch. Eine Informationskampagne würde also wenig helfen. Der Politikstil und die Inhalte müssten sich ändern. Beides kann Wallström nicht beeinflussen. Deshalb versucht sie, die emotionale Einstellung gegenüber der EU zu verbessern. In Schulen, vor nationalen Parlamentariern oder auf Diskussionsveranstaltungen hat die sympathische Politikerin aus Schweden ihr Arbeitsziel und die Methode schon dutzendfach wiederholt. Das Ziel: Die Lücke zwischen Europa und seinen Bürgern zu schließen. Die Methode: Den Menschen besser zuhören.
Oft gelingt es Wallström, die Stimmung im Saal umzudrehen und damit die Sympathiewerte für die Europäische Union zu steigern - zumindest kurzfristig. Die Menschen nehmen es ihr ab, wenn sie versichert, die Sorgen und Anliegen aus dem Saal bis ganz nach oben in die Chefetagen europäischer Politik zu tragen. Margot Wallströms Besuche wirken wie ein warmes Bad, das beruhigt und Geborgenheit vermittelt. Auf der Website mit ihren persönlichen Tagebucheintragungen ist der Ton deutlich schärfer als in den Diskussionsveranstaltungen. Wallström wird vorgeworfen, sie drücke sich um heikle politische Themen wie die Verurteilung der ehemaligen französischen EU-Kommissarin Edith Cresson. "Sie sind das Sprachrohr des europäischen Turms zu Babel. Genau wie die EU sind Sie völlig unfähig, die Probleme beim Namen zu nennen. Stattdessen geben Sie schwammige, ausweichende Antworten, die Ihren Chefs gefallen."
Auch Journalisten kritisieren, Wallström rede meist über die Verpackung, nur selten über den Inhalt. Ihr kürzlich veröffentlichtes Weißbuch zur Kommunikationspolitik veranlasste die Internationale Journalistenvereinigung zu einer scharfen Reaktion. Der Plan, Nachrichten durch Kommissionsdienste journalistisch aufbereiten zu lassen, gefährde die unabhängige Berichterstattung, kritisierte API-Präsident Michael Stabenow. Die Kommission dürfe "keine Interpretationshoheit über ihre eigene Politik erhalten".
Frankensteins Monster bleibt eben ein furchterregendes Kunstwesen, auch im Outfit von Pamela Anderson. Überzeugungsarbeit für Europa wird unglaubwürdig, wenn sie die Kritikpunkte und die Kritiker ignoriert. So wurde Wallström in einer Diskussionsrunde gefragt, warum die Menschen der EU-Kommission vertrauen sollten, wenn zum Beispiel zum Auftakt der österreichischen Ratspräsidentschaft bei der großen Salzburger Debatte "Sounds of Europe" unter 23 Podiumsteilnehmern aus Kunst, Wissenschaft und Politik kein einziger EU-Kritiker oder Verfassungsgegner war. Der Amsterdamer Kommunikationsforscher Claes de Vreese glaubt, dass es genau diese Harmoniesucht ist, die zur Folge hat, dass sich die Menschen nicht für die EU interessieren. Er hat herausgefunden, dass bei der Kampagne zur Europawahl 1999, die ohne umstrittene Themen geführt wurde, nur zwei Prozent aller Nachrichten europäischen Themen gewidmet waren. 2004 hingegen, als die Euroskeptiker überall in Europa auf die Wahllisten drängten und an europäischen Grundüberzeugungen rüttelten, beschäftigte sich jede zehnte Meldung mit Europa.
So fragwürdig derartige Messungen sind - das mangelnde Konfliktpotenzial und der mangelnde Unterhaltungswert sind sicher ein Grund dafür, dass die Medien so wenig über Europa berichten. Noch immer verlaufen die Konfliktlinien nach Wahrnehmung der Bürger eher zwischen Nationen als zwischen europäischen Parteien. Dazu trägt bei, dass viele Europaabgeordnete eine engere Loyalitätsbindung an ihre Regierung zuhause zu spüren scheinen als an die politische Fraktion, der sie im Europaparlament angehören. Einen Schlagabtausch auf europäischer Ebene mit EU-weitem Pro und Contra gibt es bislang nicht.
Claes de Vreese glaubt, dass die häufig eingeforderte "europäische Öffentlichkeit" eine "Wunschvorstellung der Elite" bleiben wird. Die Forschung der vergangenen zwanzig Jahre habe gezeigt, "dass die Europäische Öffentlichkeit eine äußerst ambitionierte Idee ist, für die es kaum praktische Beispiele gibt". De Vreese plädiert dafür, den hohen Anspruch aufzugeben und stattdessen daran zu arbeiten, dass die nationalen Debatten auf europäischer Ebene besser verknüpft werden. So sollten sich zum Beispiel nationale Parlamente zur gleichen Zeit mit den gleichen Themen befassen.
Wie mühsam dieser Prozess ist, zeigt die vom Europäischen Rat im Juni angeregte und von der Kommission organisierte Reflexionsphase, genannt Plan D wie Demokratie, Dialog und Diskussion. Die Idee ist bis-lang in den Mitgliedstaaten auf wenig Gegenliebe gestoßen. Es herrscht Ratlosigkeit, worüber denn diskutiert werden soll und zu welchem Zweck. Anfang Mai wollen die nationalen Parlamente in einem zweitägigen Treffen gemeinsam mit dem Europaparlament zu klären versuchen, wie es mit dem Plan D weitergehen soll.
Diese Debattenmüdigkeit ist nicht verwunderlich, denn die letzte große Debattenkampagne liegt gerade einmal zwei Jahre zurück und führte zu ernüchternden Ergebnissen. Parallel zum Konvent für eine Verfassung Europas waren in allen Mitgliedstaaten und auf allen gesellschaftlichen Ebenen Gesprächsforen gebildet worden. Angesichts der Fülle der Anliegen und der stark divergierenden Interessen hatte sich davon kaum etwas in der Arbeit des Konvents niedergeschlagen. Und auch diese zaghaften Spuren zivilgesellschaftlichen Engagements sind mittlerweile angesichts der negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden Makulatur.
Plan D soll den Verfassungsprozess wiederbeleben. Doch es sind ja genau die in der Verfassung vorgesehenen Neuerungen, die das Gespräch in Europa und über Europa wieder in Gang bringen könnten. Wäre die Reform wie geplant vor der Europawahl 2009 verwirklicht worden, hätten sich viele Probleme gelöst, mit denen die EU-Frontfrau Wallström im Bürgergespräch konfrontiert wird. So hätte zum Beispiel die Mehrheit im EU-Parlament den Kommissionspräsidenten wählen sollen. Das hätte das Bürgerinteresse an der Europawahl erhöht und die Entwicklung europäischer Parteien beschleunigt.
"Europa braucht ein Gesicht", verlangt der konservative EU-Abgeordnete Ingo Friedrich in seiner Reaktion auf Wallströms Weißbuch zur Kommunikation. In einer jährlich europaweit ausgestrahlten Fernsehansprache solle der Kommissionspräsident die Arbeitsschwerpunkte des kommenden Jahres vorstellen können. Ein gewählter Präsident könnte den Aufmerksamkeitswert für sein Programm deutlich steigern. Da der Kommissionspräsident derzeit von den Regierungschefs eingesetzt wird, sieht er seine Aufgabe da- rin, deren Zielvorgaben umzusetzen. Auf die Wünsche der Bevölkerungsmehrheit muss er dabei keine Rück- sicht nehmen. Umfragen zeigen, dass die Menschen derzeit von Europa vor allem mehr sozialen Schutz und mehr Beschäftigung erwarten. Neoliberale Marktöffnung im Stil von Manuel Barroso lehnen sie ab. Ein vom Europaparlament eingesetzter Kommissionspräsident wäre viel enger an den Wählerwillen gebunden als es heute der Fall ist.
Daran erinnert der französische Journalist Jean Quatremer, wenn er Margot Wallström vorhält, dass "die Kommission über viele Themen kommuniziert, außer über diejenigen, die die Menschen am meisten betreffen - ihre neoliberale Wirtschaftspolitik, die weder in Frankreich noch anderswo populär ist. Das galt auch für die Dienstleistungsrichtlinie, die in Frankreich in die Kampagne zum Verfassungsreferendum hinein platzte, ohne dass darüber zuvor eine Debatte oder Rücksprache stattgefunden hätte."
Bis heute bleibt für viele Beobachter unerklärbar, warum die neue EU-Kommission darauf beharrte, das als Bolkestein-Richtlinie verschrieene Gesetz zur Dienstleistungsfreizügigkeit unverändert von der Vorgänger-Kommission zu übernehmen. In der Referendumskampagne in Frankreich wurde es zum Symbol für Brüsseler Sozialabbau und Lohndumping. Viele glauben, dass die Ablehnung der EU-Verfassung durch mehr diplomatisches Geschick der Kommission hätte verhindert werden können.
Beliebt war die EU auch schon früher nicht und Margot Wallström hat alle Hände voll zu tun, die von ihr als Problem erkannte "Lücke zwischen Brüssel und den Bürgern" zu schließen. In der nun entstanden Sackgasse aber scheint das Unterfangen noch auswegloser. Frankensteins Monster bleibt ein Ungetüm - da mag Margot Wallström auch lächeln wie Pamela Anderson.
Daniela Weingärtner ist Korrespondentin der Wochenzeitung "Das Parlament" in Brüssel.