Diese Botschaft lässt aufhorchen. Seine Gratulation an die Adresse Kurt Becks nach dessen Wahl zum SPD-Vorsitzenden verbindet Guido Westerwelle mit dem Wunsch nach "konstruktiver und kritischer" Zusammenarbeit. Ausdrücklich verweist der FDP-Chef darauf, dass Beck als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz "über lange Jahre sehr erfolgreich" mit den Liberalen kooperiert habe. Nicht nur Westerwelle zeigt sich zufrieden mit dem Aufstieg des Südpfälzers zur Nummer eins der Sozialdemokraten. Nach Becks Kür ruft CDU-Kanzlerin Angela Merkel an und darf die Versicherung des neuen Partners entgegennehmen, man wolle weiterhin gut und verlässlich zusammenwirken. Selbst SPD-Linke äußern sich wohlwollend.
Ottmar Schreiner hofft auf einen "demokratischen Führungsstil" in der Partei, der "autoritäre Führungsstil" früherer Jahre werde nun abgelegt. Andrea Nahles lobt Becks Dialogbereitschaft gegenüber den Gewerkschaften.
Positive Reaktionen aus so verschiedenen Lagern sind nach Parteitagen eher unüblich. Der Verlauf des Konvents in Berlin liefert die Begründung für dieses erstaunliche Phänomen: Politisch Markantes, an dem sich die Zuhörer reiben könnten, ist kaum zu hören.
Ob Unternehmenssteuern, Gesundheitsreform, Reichensteuer, Kündigungsschutz, Mindestlohn: Der neue Hoffnungsträger beschreibt zur Freude der Delegierten bei diesen Reizthemen allgemeine sozialdemokratische Grundsätze wie die Berücksichtigung der Interessen kleiner Leute, legt sich aber nirgends konkret fest. So provoziert Beck keinen Streit mit der Union und bewahrt sich selbst wie der SPD-Ministerriege alle Spielräume. Einerseits, andererseits, niemanden verprellen, viele einbeziehen: So will es Beck auch generell mit der Großen Koalition halten.
Seiner Partei verspricht er, die SPD werde in der Regierung "erkennbar bleiben" und "nicht an die Seite gedrängt", er unterstreicht den Charakter der SPD als "linker Volkspartei". Allerdings betont Beck die Notwendigkeit, in der Koalition ein verlässlicher Partner zu sein. Wie sich das in der konkreten Politik niederschlagen soll? Mal sehen. Beck ist halt in erster Linie ein Pragmatiker.
Der neue Kapitän spricht durchaus von der Erfordernis, "über den Tag hinaus Orientierung zu geben". Doch das bleibt eher vage. Nach großen Zukunftsentwürfen scheint der SPD momentan gar nicht zumute zu sein, das wird offenbar von Beck auch nicht erwartet. Einschnitte in die Rente, Agenda 2010, Hartz IV, finanzielle Belastungen von Kranken und manches mehr, verfügt in der Zeit Gerhard Schröders: All das hat die SPD getroffen und zieht weiter Spuren. Die zutiefst verunsicherte Partei, die binnen kurzer Zeit mehrmals ihren Vorsitzenden wechselte, unter massivem Mitgliederschwund leidet, viele Wahlen verlor und in Umfragen schwächelt, will sich nun vor allem einmal berappeln und zu sich selbst finden.
Diese Integrationsaufgabe obliegt fortan Beck, den derzeit noch die Aura des Siegers von Mainz umweht. Die satten 95 Prozent bei seiner Wahl sind ein dicker Vertrauensvorschuss für den Pfälzer. Zu den irreal überhöhten 99 Prozent wie bei Vorgänger Matthias Platzeck, der aus gesundheitlichen Gründen das Handtuch warf, kommt es nicht, was Beck wohl nicht unrecht sein dürfte. An dessen Stelle rückt in Berlin ohne viel Aufhebens der Magdeburger Finanzminister Jens Bullerjahn in die Riege der Stellvertreter nach, ausgestattet mit einem 85-Prozent-Votum.
Dieser Konvent sendet in erster Linie eine Botschaft ins Innenleben der Partei. Viel ist die Rede von Bodenständigkeit, von Augenmaß, von Verlässlichkeit, alles Dinge, die der neuen Galionsfigur auch persönlich zugeschrieben werden. "Kurt Beck wird ein hervorragender Vorsitzender sein, er bringt die Eigenschaften mit, die die Partei jetzt braucht", ruft Platzeck in seiner Rede aus. Solide geht es auch beim Kongress zu: Eine pulsierende, vibrierende Stimmung ist in der nüchternen Halle nicht zu spüren. Beck reißt den Saal nicht zu Beifallsstürmen hin, der Applaus ist ordentlich bemessen.
In gewisser Weise steht Platzecks Nachfolger unter Erfolgszwang: Es gibt niemanden sonst, der es jetzt in der SPD richten könnte. Zum Start seiner Amtszeit wird Beck den Erwartungen der Delegierten durchaus gerecht. Er zeigt Verständnis für die Nöte der Partei, lässt geschickt seinen alten Vater mit den Worten sprechen, die SPD sei eine "große Baustelle", und zitiert aus der E-Mail eines bedrückten Mitglieds: Die Basis sei mehr und mehr ins Abseits gedrängt worden, "wir wussten nicht mehr, was hinten und vorn ist". Solche Vorwürfe sind auf die Ära Schröders gemünzt, als der Basta-Kanzler die Partei zur Gefolgschaft zwang - auf einen Kurs, der wegen des Sozialabbaus vielen gegen den Strich ging. Schröder, bis vor kurzem Regierungschef, scheint schon ganz weit weg zu sein: Auf dem Parteitag erscheint der Ex-Kanzler nicht einmal mehr. Beck erwähnt Schröder gerade einmal, mit einem Lob für dessen Nein zum Irak-Krieg.
Die SPD nicht vor den Kopf stoßen, sondern mitnehmen: So lässt sich die Linie des neuen Vorsitzenden beschreiben. "Wir alle sind die Partei", kommt er den Delegierten entgegen. Beck verspricht Teamarbeit, dem Parteirat, dem Präsidium, dem Vorstand, der Fraktion, den Minis-tern. Die SPD müsse sich "wieder stärker auf ihre Wurzeln besinnen". An dieser Stelle darf dann der Hinweis auf die eigene Biografie nicht fehlen: Kurt Beck, der Mann aus dem Volk, der als Elektrikerlehrling anfängt und dann seinen Weg über die katholische Arbeiterjugend und die Gewerkschaft in die SPD bis in die hohe Politik findet. Als "einen von euch" bezeichnet er sich auf einer DGB-Kundgebung vor dem Kongresshotel, auch der Auftritt vor den Streikenden des Öffentlichen Dienst soll ein Signal setzen.
Kein Zweifel: In Tonfall und Stil setzt sich Beck von Schröder und Müntefering ab, das Väterliche markiert auch einen Unterschied zu Platzeck. Aber macht der Pfälzer auch eine andere Politik, weg vom Agenda-2010-Kurs? Dafür sind keine Anzeichen zu erkennen, im Gegenteil. Es gebe "keinen Grund, mit unserer bisherigen Politik zu brechen", betont er auf dem Parteitag. Beck beschwört den Kündigungsschutz, geht aber nicht darauf ein, dass der laut Koalitionsvertrag in den ersten beiden Jahren nach einer Jobaufnahme abgeschafft werden soll. Mit Verve in der Stimme verteidigt er die Reichensteuer; deren kräftiges Zusammenschrumpfen und deren Erhebung bei einem nur kleinen Personenkreis wird indes nicht erwähnt. Auch Peer Steinbrück legt sich für die nun gefundene Lösung ins Zeug. Der Finanzminister räumt aber immerhin ein, dass das jetzige Modell dieser Steuer nicht der erhoffte "Urknall" und das recht kleine Aufkommen für manche gewiss "enttäuschend" sei.
Auf den ersten Blick versprüht Matthias Platzeck ("Das ist keine Abschiedsrede") beim Parteitag mehr Power als Kurt Beck. Der Potsdamer Ministerpräsident redet an gegen "Mutlosigkeit und Verzagtheit" in der SPD, gegen ein "Gefühl vermeintlicher Ohnmacht" und fordert von der Partei eine "zupackende Einstellung". Befördert werden müsse die "innere Dynamik der Gesellschaft". Solchen Parolen applaudieren die Delegierten, doch auch Platzeck konkretisiert nichts, er verweist nur auf das so genannte skandinavische Modell oder die Politik Tony Blairs. Platzeck belässt es beim allgemeinen Appell an die SPD, "sich selbst zu erneuern" - was übrigens nicht heißen solle, "dass wir immer neue Vorsitzende brauchen, da sei Gott vor".
Im Interesse eines guten Starts von Kurt Beck bleiben auch die Linken vorerst in der Deckung. Im Vorfeld des Treffens hat Ottmar Schreiner die Regelung zur Reichensteuer als "weiße Salbe" attackiert. Doch auf dem Parteitag ist kaum ein kritisches Wort zu hören, es schreiten ohnehin nur wenige Delegierte ans Mikrofon. Auch der Konflikt um die Unternehmenssteuerreform ist fürs erste entschärft: Einnahmeausfälle als Folge reduzierter Sätze sollen durch andere Bemessungsgrundlagen "weitgehend" ausgeglichen werden, so wie es Steinbrücks Linie entspricht.
Wie weit wird die momentane Harmonie tragen? Es bleibt Michael Sommer vorbehalten, in seinem Grußwort den glimmenden Zündstoff zu benennen. Gewiss, auch der DGB-Vorsitzende hofft auf eine bessere Zusammenarbeit mit der SPD unter Beck. Indes listet Sommer auch eine lange Liste von Streitpunkten auf: die Ablehnung der Rente mit 67, der Widerstand gegen den Abbau des Kündigungsschutzes und gegen die Mehrwertsteuererhöhung, das Nein zu Steuerentlastungen für Unternehmen, "die Reichensteuer darf nicht zur Karikatur werden". Der DGB-Chef: "So gewinnt man keine neuen Freunde, stößt aber die alten vor den Kop." Der Konvent nimmt diese Mahnungen zur Kenntnis, mehr nicht. Die Feuerprobe kommt erst noch, auch für Kurt Beck.