Ivo Markov war gerade aus seinem Wagen gestiegen, als die Männer aus der Dunkelheit heraus das Feuer eröffneten. Gewehrsalven durchsiebten Markovs Kopf und Brust. Der 42-Jährige brach tödlich getroffen vor dem Appartementblock im Zentrum Sofias zusammen, wo er mit seiner Frau und dem 11-jährigen Sohn lebte. Markov war seit Jahren in Kokainhandel und Geldwäsche verwickelt und eine feste Größe in Bulgariens organisierter Kriminalität. Seine Mörder entkamen in die Kühle der Nacht des 11. Mai.
Die vergangenen Tage waren für Rumen Petkov alles andere als erfreulich, der Anschlag auf Markov erschwert seine Position noch zusätzlich. Denn auf Bulgariens Innenminister liegt die Hauptverantwortung dafür, dass Brüssel die Frist für eine endgültige Entscheidung über das Beitrittsdatum verlängert und sich nicht - wie geplant - mit der Empfehlung am 16. Mai festgelegt hat. In sechs Bereichen hinken die Bulgaren hinter der Erfüllung des europäischen Regelwerks her, vor allem aber im Kampf gegen das organisierte Verbrechen und bei einer strikteren Umsetzung der Gesetze gegen Betrug und Korruption sowie Geldwäsche. Der Bereich, den Innenminister Petkov zu verantworten hat, wiegt dabei für die Öffentlichkeit am schwersten, und so berichten die europäischen Medien dieser Tage ausführlich über Bulgariens Probleme mit organisierter Kriminalität, Mafia und Korruption: 173 Auftragsmorde zählt die Statistik seit 1992 in Bulgarien - in keinem Fall hat es bisher eine Verurteilung gegeben. Das ehemalige Zarenreich, das seinen Reformweg bis vergangenen Herbst im Windschatten des viel stärker in der Kritik stehenden Nachbarn Rumänien gegangen war, ist kurz vor Toresschluss in Europas öffentlicher Meinung abgestürzt. Vordergründig ist dies auf die Parlamentswahl vom August 2005 zurückzuführen. Mehr als zwei Monate benötigte der Sozialistenführer Sergej Stanichev, um eine Koalition mit der Partei des ehemaligen Königs, Simeon II., und der Partei der türkischen Minderheit zu bilden. Ein extrem heterogenes Bündnis, das allein aus dem gemeinsamen Ziel EU-Beitritt entstehen konnte. Wertvolle Wochen verstrichen, die Sofia dringend zur Implementierung weiterer Reformen gebraucht hätte.
Doch sind starke Zweifel angebracht, ob Bulgariens mangelnde EU-Tauglichkeit nur auf Versäumnisse der letzten Monate gründet. Vielmehr sind die Wurzeln schon im Transformationsprozess der 90er-Jahre zu suchen, der naturgemäß in allen Staaten des Warschauer Pakts anders ablief, Bulgarien aber mit besonders schweren, weil nachhaltigen Lasten konfrontierte. Und so ist der von Brüssel, aber auch von unabhängigen Experten wie etwa deutschen Kriminalbeamten als absolut unzureichend bemängelte Kampf gegen das organisierte Verbrechen in diesem Kontext nur die Spitze eines Eisbergs.
"Es ist egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist - Hauptsache, sie fängt Mäuse", lautet ein bulgarisches Sprichwort. Aber: "Die Katze fängt leider überhaupt keine Mäuse", sagt Krassen Stanchev, Direktor des Institute for Market Economics in Sofia. Alte Loyalitäten wirken Stanchev zufolge noch heute und machen den Strafverfolgern die Arbeit oftmals unmöglich. Politische Schirme, Loyalitäten, die in den Anfangsjahren nach dem Zusammenbruch des Kommunismus entstanden. Denn "Demokratie ist teuer", weiß Ruslan Stefanov, Experte des Center for the Study of Democracy, einem auch mit EU-Geldern finanzierten Forschungsinstitut. Die neuen politischen Eliten hätten sich nach 1989 von Finanzspritzen aus ehemaligen Geheimdienstkreisen abhängig gemacht. Letztere besaßen schon zu kommunistischer Zeit Kontrolle über Waffen-, Menschen- und Drogenhandel. Vielfach betrieben sie diese Geschäfte nach ihrem Sturz nicht nur weiter, sondern "wechselten" auch in die Wirtschaft und scheffelten auf diese Weise zusätzliche Millionengelder aus den massiven Privatisierungen. "Kein Land des Ostblocks war so stark verstaatlicht wie Bulgarien, fast 99 Prozent der Wirtschaft lagen in der Hand des Apparats", so Stefanov.
Einen zusätzlichen Schub erhielt das organisierte Verbrechen durch die Embargos des Westens gegen das Milosevic-Regime in den 90er-Jahren. Bulgarien, von jeher Transferland des internationalen Verbrechens, stieg zu einer Drehscheibe auf. Tatsächlich steht der EU-Kandidat laut einer UN-Studie an dritter Stelle der Länder mit der größten beschlagnahmten Menge an Drogen weltweit - kein Beweis für eine effiziente Strafverfolgung. Kürzlich versuchte die Regierung auf den letzten Drücker, mit aller Kraft ihren Reformeifer unter Beweis zu stellen. So hat Innenminister Petkov, der auf bohrende Fragen von Journalisten eher mürrisch und kleinlaut als kooperativ zu antworten pflegt, sein Ministerium umstrukturiert, um die Kontrolle auf die mit Verbrechensbekämpfung befassten Abteilungen zu verbessern. Sofia versucht zudem, durch eine Anfang Mai verabschiedete Justizreform, die überbordende Unabhängigkeit des korrumpierten Gerichtswesens aufzuheben. Eine Reform der Strafprozessordnung soll zudem Gerichtsverfahren endlich beschleunigen - viele Prozesse dauern fünf Jahre und mehr. Angeklagte nehmen sich mehrere Anwälte, die in schöner Regelmäßigkeit krank werden; entsprechend einer Verordnung werden die Verfahren dann für sechs Monate ausgesetzt.
Öffentlichkeitswirksam wurde auch ein hoher Beamter des Agrarministeriums angeklagt, zwei bekannte Mafia-Brüder stehen vor Gericht, sieben Parlamentarier verloren nach Ermittlungen die Immunität. Ein neuer Generalstaatsanwalt ist eingesetzt worden, auf dem nicht zuletzt auch die Hoffnungen der Bürger selbst ruhen. "In Bulgarien ist der Rechtsstaat noch nicht spürbar", beklagt Stefanov. "Das Gefühl ist sehr verbreitet, dass niemand da ist, der die Menschen wirklich schützen kann." Georgi Ganew ist gerade deshalb dagegen, Bulgarien nun etwa mit einer Aussetzung des Kapitels Justiz und Inneres zu bestrafen. "Nur wenn wir reingenommen werden, kann Brüssel uns ständig auf die Finger klopfen", sagt der Ökonom des Centre for Liberal Strategies in Sofia. Und nur so habe die EU auch Kontrolle über die international organisierten Kriminellen.