Einmal im Jahr heißt es "Fürst schauen". Immer am 15. August, dem Staatsfeiertag, pilgern tausende Untertanen samt vieler aus dem Ausland angereister Neugieriger hinauf zum Schloss Vaduz, wo geherrscht und gethront wird. Dann winken auf der Schlosswiese Fürst Hans Adam II. und sein Sohn Alois, der Erbprinz, huldvoll dem Publikum zu, die beiden Ehefrauen strahlen lächelnd um die Wette. Und die Leute sind glücklich - vor allem dann, wenn sie während des traditionellen Volksfests beim Genuss von Freibier vielleicht einem Mitglied der Herrscherfamilie die Hand schütteln dürfen. "Für Fürst, Volk und Vaterland": So lautet die Losung des konservativen Ländchens in den Alpen, und am Staatsfeiertag fühlen sich Ihro Gnaden und die Bürger in wunderbarer Eintracht. Eine Feldmesse in dem zu 75 Prozent katholischen Sprengel darf natürlich nicht fehlen, und die wird fast wie eine Art Hochamt für die Monarchie zelebriert. Abends erleuchten Feuerwerksraketen den Himmel über Vaduz.
Nicht nur am 15. August vermittelt der von der Schweiz und Österreich eingehegte Mini-Staat, der ohne einen einzigen Soldaten auskommt, auf den ersten Blick den Eindruck einer heilen Welt. Auf den Almwiesen posieren Kühe mit Glockengeläut und Murmeltiere für Touristenkameras. Ein Hit sind Ansichtskarten, auf denen die Konterfeis der Fürstenfamilie prangen. Hans-Adam-Medaillen und solcherart verzierte Bierkrüge gibt es ebenfalls zu kaufen. Ehrerbietungen sind ja auch geboten: Schließlich sorgt der Monarch, der jüngst den Erbprinzen zum "amtsausübenden Stellvertreter" fürs politische Tagesgeschäft berufen hat und nun mit Sohn Alois eine Art Doppelherrschaft ausübt, für das Wohlergehen des gemeinen Volks. Wem sonst sollte es zu verdanken sein, dass das Pro-Kopf-Einkommen in dem 34.000-Einwohner-Land, das mit den eidgenössischen Nachbarn eine Zoll- und Postunion praktiziert und dessen Währung der Franken ist, doppelt so hoch wie in der Schweiz und dreimal so hoch wie in Deutschland ist? Dass bei einer Erwerbslosenquote von wenig mehr als zwei Prozent praktisch Vollbeschäftigung zu konstatieren ist und von den 29.000 Arbeitsplätzen 13.000 von Einpendlern besetzt werden? Die fürstliche Kunstsammlung hat internationales Renommee.
Eine gewisse Berühmtheit mit leicht berüchtigtem Touch haben Niederlassungen mit dem schönen Namen "Sitzgesellschaften" erlangt: Zehntausende geheimnisumwitterter Briefkastenfirmen haben sich in dem 160-Quadratkilometer-Flecken angesiedelt, manche Mutmaßungen sprechen von bis zu 80.000 dieser der Geldvermehrung verpflichteten Einrichtungen - ein Land mit mehr Briefkästen als Einwohnern. Auf der offiziellen Internet-Seite Liechtensteins wird ausdrücklich betont, dass man internationale Konventionen zur Bekämpfung der Geldwäsche strikt anwende.
Nun sind mäkelnde Zungen zu vernehmen, die einen echten Monarchen irgendwie nicht mehr für zeitgemäß halten und sich an den Absolutismus erinnert fühlen. Indes kommt Hans Adam nicht unbedingt als verschnarchter Despot daher. Er agiert vielmehr überaus modern, nämlich finanziell erfolgreich. Der Fürst ist Besitzer ausgedehnter Ländereien und wurde nicht zuletzt mit profitablen Bankgeschäften reich, sein Privatvermögen wird auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Ein Bonmot spricht davon, dass Liechtenstein eigentlich ein Unternehmen mit Hans Adam als Aktionär, Geschäftsführer und Aufsichtsrat ist.
Mittlerweile haben sich dunkle Wolken über dem Monarchen zusammengezogen. Der Sonnenkönig könnte es nämlich mit der politischen Macht zu weit getrieben haben. Eine Expertise der Parlamentarischen Versammlung des Europarats kommt jedenfalls zu dem peinlichen Ergebnis, dass die Verhältnisse in dem Fürstentum "aus der Sicht eines demokratischen Rechtsstaats inakzeptabel" seien. Ins Visier des Staatenbunds geraten ist Liechtenstein, das als Mitglied im Straßburger Palais d'Europe demokratisch-rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung wahren muss, wegen einer Verfassungsänderung im vergangenen Jahr: Seither verfügt Hans Adam über Befugnisse von in der Tat absolutistischem Charakter. Das Land firmiert als "konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage" - eine Definition, die dem Fürsten viel Spielraum lässt.
Zwar ist der Monarch bei der Ernennung der Regierung, an deren Spitze momentan Otmar Hasler steht, an den Vorschlag des 25-köpfigen Parlaments gebunden. Doch Hans Adam kann nach Gutdünken das Kabinett absetzen, auch gegen den Willen der Volksvertretung. Im Landtag geben die Fortschrittliche Bürgerpartei und die Vaterländische Union den Ton an, beide Formationen sind politisch irgendwo im Spektrum von CDU und FDP zu verorten; die den Grünen vergleichbare Freie Liste hat einen Sitz. Der Fürst kann parlamentarisch beschlossene Gesetze außer Kraft zu setzen - wobei es genügt, dass er seine Unterschrift verweigert. Er kann per Notverordnung regieren und das Abgeordnetenhaus auflösen. Bei der Ernennung von Richtern hat Hans Adam das letzte Wort.
Wegen der neuen Machtfülle wird der Monarch politischen Ärger nicht mehr los. Gewiss, eine Zwei-Drittel-Mehrheit der 17.000 Stimmberechtigten (Ausländer stellen über 30 Prozent der Einwohner) hat die Verfassungsänderung gebilligt. Doch erstmals hat eine starke Minderheit offen gegen das Fürstenhaus opponiert. Bürgerrechtsvereinigungen geben nun keine Ruhe mehr. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats lehnte es mit knapper Mehrheit ab, gegen Liechtenstein ein formelles Überwachungsverfahren einzuleiten. Sie will aber bei einem "Dialog" mit dem Fürstentum, der nach den dortigen Wahlen im Februar 2005 beginnen soll, darauf dringen, dass die "Verfassungswirklichkeit" mit demokratisch-rechtsstaatlichen Standards in Einklang zu bringen ist.