Trenin behauptet, dass das Zeitalter, in dem Eurasien und Russland Synonyme waren, zu Ende ist und führt geopolitische Argumente für die Integration Russlands in den Westen an. Russland unter der Führung Putins scheint sich langsam aber sicher in dieselbe Richtung zu bewegen, die vom Autor vorgeschlagen wird. "Wie Deutschland ist Russland traditionell ebenfalls ein geographischer Begriff. Seine äußeren Grenzen haben seine kulturelle und internationale Identität bestimmt", so Trenin.
Anfangs beschreibt er das sogenannte "Sammeln der russischen Lande", den Prozess, in dem mehrere Zaren die Länder im Westen, Süden und Osten absorbierten. Sie schufen das russische Reich, das - wie später die Sowjetunion - mit mehr als 100 verschiedenen ethnischen Gruppen das größte Land auf der Erde war. Dass Trenin russische Eroberungskriege als "Sammeln der russischen Lande" bezeichnet, den Molotov-Ribbentrop-Pakt inklusive, ist für russische Geopolitikanhänger nicht untypisch.
Im weiteren Teil setzt sich Trenin mit Problemen an den russischen Grenzen auseinander, indem er sie als drei "Fronten" bezeichnet - die "westliche", die "südliche" und die "fernöstliche". Ein Überbleibsel seiner Militärkarriere? Er sieht Europa als Russlands stabilsten Nachbarn. Doch es gibt viel Neues im russischen Westen. Die Zukunft von Kaliningrad, das nach der Erweiterung von NATO und EU eine Exklave geworden ist, benötigt schwierige Kompromisse sowohl von Russland als auch von seinen Nachbarn, wenn sie Konfrontation vermeiden wollen.
Dennoch, mit Ausnahme von einigen ausstehenden Grenzproblemen entwickeln sich Russlands Beziehungen zu seinen westlichen Nachbarn eher positiv. Trenin glaubt, dass sich Russland modernisieren und in einer globalisierten Welt erfolgreich sein kann, wenn es eine europäische Identität und eine allmähliche Integration ins größere Europa wählt.
Die Instabilität im Süden gefährdet Russland am meisten. Trenin zeigt sich besorgt wegen des Mangels an einer konsequenten Politik für die Region als Ganzes, in der Fundamentalismus, fehlende Rechtsstaatlichkeit und ethnischer Konflikt in drei Staaten des Transkaukasus (Armenien, Aserbaidschan und Georgien) das Gebiet verunsichern. Zentralasien ist stabiler, bleibt aber eine Quelle des islamischen Terrorismus, der Russlands Sicherheit gefährden könnte.
Russlands entscheidendstes geopolitisches Problem gemäß Trenin ist Sibirien und der russische Ferne Osten. Der schnelle Zerfall der Infrastruktur der Region seit 1992 und die Auswanderung von Russen in der Zeit, in der die gesamtrussische Geburtenrate drastisch fällt, hat den Niedergang des Fernen Ostens beschleunigt. Die Zuwanderung von chinesischen Schwarzarbeitern in die fernöstlichen Regionen hat eine Diskussion ausgelöst, ob Russland an diesem Gebiet festhalten kann. Beim ewigen Streit mit Japan über die Kurilen zweifelt Trenin, ob irgendeine Lösung in Sicht ist.
Trenin rekonstruiert das bekannte Argument von den 300 Jahren der russischen Expansion und des Imperialismus und vom unvermeidlichen Untergang des Imperiums und seine spätere Desintegration. In seiner Reflektion über die Zukunft Russlands verlässt sich der Autor auf Konzepte von "Imperium" und "Nationalstaat", indem er die Ideen von Francis Fukuyama und Zbigniew Brzezinski wiederholt. Statt politische, wirtschaftliche und kulturelle Faktoren mit einzubeziehen, behauptet er, dass Russland sich seiner Fixierung auf Territorien entledigen und auf die territoriale Rekonstruierung als wesentlichem Ziel der Außenpolitik verzichten müsse.
Die Lösung der komplexen russischen geopolitischen Dilemmas sieht Trenin im Verzicht auf den zu häufig gebrauchten Begriff der Großmacht und den Anspruch auf die imperiale Rolle außerhalb der Grenzen. Politik als permanente Konkurrenz zwischen verschiedenen Alternativen fehlt in der zu deterministischen Perspektive des Autors.
Dmitrij Trenin
Russland: Die gestrandete Weltmacht.
Neue Strategien und die Wende zum Westen.
Murmann Verlag, Hamburg 2005; 350 S., 24, 90 Euro