Der Begriff ist aus der Mode gekommen. Aber es ist offenbar die so genannte Realpolitik, die Gernot Erler als Richtschnur dient. Mit "Wandel durch Annäherung" umschrieb man einst den Sinn dieser während des Kalten Kriegs entworfenen Entspannungspolitik. Mit Wladimir Putin eng kooperieren und vertrauensvolle Kontakte nutzen, um etwas für demokratische Fortschritte in dem Riesenreich zu tun: Das ist der Kern der vom Autor propagierten Politik, in der man auch die von Gerhard Schröder verfolgte Linie gegenüber seinem Freund in Moskau erkennen kann. Allerdings drängt sich die Frage auf, ob ein in der Ära der Blockkonfrontation sinnvolles Konzept heute unter völlig anderen Bedingungen funktionieren kann.
Erler, Vize-Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, darf als ausgewiesener Russland-Experte gelten. Kenntnisreich analysiert er die Bedeutung des Tschetschenien-Kriegs und besonders des Terroranschlags von Beslan sowie des Prozesses gegen den Ölmagnaten Michail Chodorkowski für die zusehends autokratischen Tendenzen unter Putin. Er bewertet diese Entwicklung durchaus kritisch, benennt die rechtsstaatlichen Probleme des Vorgehens gegen Chodorkowski oder die Instrumentalisierung des tschetschenischen Terrors durch Putin für den Ausbau seiner Machtposition.
Erler zeigt Verständnis für jene, die in Russland demokratische Standards verletzt sehen. Doch er versucht auch zu erklären, dass die Machtfülle Putins und dessen "gelenkte" Demokratie dem Wunsch vieler Bürger nach stabilen Verhältnissen entsprächen - eine Folge des Chaos unter Boris Jelzin.
Der SPD-Politiker warnt davor, durch einen frontalen Gegenkurs Putin aus den Armen westlicher Einbindung zu treiben und in Russland einen Trend zur Isolation zu fördern - wobei auch massive wirtschaftliche Interessen Deutschlands in Gefahr gerieten. Als Beispiele für den Erfolg der eher diskreten Diplomatie führt Erler die letztlich doch noch vollzogene Unterschrift Moskaus unter das Kyoto-Protokoll und den deutsch-russischen Jugendaustausch an.
Freilich konnte Putin bislang nicht zu einer neuen Kaukasus-Politik bewegt werden; auch seinen autoritären Kurs im Innern verfolgt der Präsident unbeirrt weiter. Die von Erler entworfene Politik gegenüber Moskau bleibt vor allem ein Wechsel auf die Zukunft, dessen Einlösung ungewiss ist. Wandel wurzelt auch im Aufbegehren demokratischer Kräfte im Land selbst, und die bedürfen internationaler politischer Unterstützung.
Gernot Erler
Russland kommt.
Herder Verlag, Freiburg 2005; 190 S., 8,90 Euro