Dass Habermas eine derart weit verbreitete nationale, aber auch internationale Anerkennung genießt, liegt nicht allein an seinem immensen Werk, das vornehmlich sozialphilosophische, politische und ethische Motive vereinigt und die aktuellsten philosophischen Themen reflektiert. Es liegt auch nicht nur daran, weil er praktisch an allen wichtigen intellektuellen Debatten der letzten Jahrzehnte an exponierter Stelle teilgenommen hat. Die Stichworte heißen Positivismusstreit und 68er Studentenbewegung, Historikerstreit und Postmoderne-Debatte oder Embryonenforschung und Menschenrechte.
Zum bedeutendsten deutschen Philosophen am Ende des 20. Jahrhunderts avancierte Habermas auch deshalb, weil sein Leben wie sein Wirken eng mit den Wandlungen der zweiten deutschen Republik verflochten sind - ein Zusammenhang, den die Biographie von Rolf Wiggershaus mit manchen überraschenden Erinnerungen vergegenwärtigt.
Als junger Assistent bei Theodor Adorno am Frankfurter Institut für Sozialforschung fiel Habermas 1958 dem Institutsleiter Max Horkheimer als zu linksradikal auf. Habermas musste daraufhin beim Marxisten Wolfgang Abendroth in Marburg habilitieren. Doch im Gegensatz zu den beiden Gründervätern der Frankfurter Schule eines kritischen Neomarxismus, die angesichts von Faschismus und Stalinismus alle Hoffnung auf sozialen Fortschritt aufgegeben hatten, knüpfte Habermas an die Anfänge der kritischen Theorie in den 20er-Jahren an. Damals ging es noch darum, wie eine kritische Sozialwissenschaft eine gesellschaftsverändernde Praxis stützen könnte. Dementsprechend war Habermas dann bereits den 68er-Studenten bald nicht mehr links genug.
Aber diese Bemühung spiegelt vor allem sein bisheriges Hauptwerk, die zweibändige "Theorie des kommunikativen Handelns" aus dem Jahr 1981. Gerade gegenüber einer sich tendenziell entsolidarisierenden Umwelt insistiert Habermas auf der Notwendigkeit universeller ethischer Prinzipien, die er in einer verständigungsorientierten und nicht bloß technischen Vernunft beheimatet sieht.
Die Strukturen der Sprache zielen auf Verständigung zwischen den Menschen und bergen daher ein ethisches Ideal von herrschaftsfreier Kommunikation - Strukturen, die aber in der heutigen sozialen Realität zunehmend von ökonomischen, politischen oder technischen Systemen unterwandert werden. Indem diese eine freie Kommunikation verhindern, verfestigen sie die undemokratischen Verhältnisse. In diesem Zusammenhang fällt das berühmt gewordene Wort von der Kolonialisierung der Lebenswelt.
Diesen verständigungsorientierten Strukturen der Sprache gilt es philosophische zu entnehmen, um dadurch der Lebenswelt, also der Alltagswelt der Menschen, zu Hilfe eilen zu können. Derart, so hofft Habermas, lasse sich das vielfältig geschmähte Projekt der Moderne doch noch vollenden. Solche theoretischen Zusammenhänge für den Laien verständlich zu erklären, fällt Wiggershaus indes auf seinem knappen Raum eher schwer.
Habermas jedenfalls verteidigt in diesem Sinne bis heute eine seit der Ära von Brandt und Scheel demokratischer werdende Bundesrepublik vornehmlich in der Linie eines rationalen Verfassungskonsenses vor allem gegen nationalstaatliche Reminiszenzen, die gerade nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im konservativen Spektrum von Ernst Nolte und Michael Stürmer keimten. Insofern spiegelt Wirken und Werk den Wandel der zweiten deutschen Demokratie aus den autoritären Strukturen einer untergegangenen Kriegergesellschaft zu den libertären Lebensformen einer zweiten Moderne.
Gleichzeitig trug Habermas damit zur Versöhnung der westdeutschen Linken mit dem Staat bei - eine Entwicklung, die sich heute weniger in Gerhard Schröder, einem ehemaligen Juso-Vorsitzenden, als eher in Joschka Fischer, einem früheren Frankfurter Sponti, personifiziert hat.
Rolf Wiggershaus
Jürgen Habermas.
Rowohlt Monographie, Reinbek 2004; 157 S., 8,50 Euro