Für ein 2.200 Jahre altes antikes Meisterwerk ist eine Dekade eigentlich keine Zeit. Vielen Kunstinteressierten und Touristen mag sie wie eine Ewigkeit vorgekommen sein. Seit 1994 arbeitete ein Restauratorenteam unter Federführung des Münchners Silvano Bertolin an dem weltbekannten, 113 Meter langen und 2,30 Meter hohen Pergamon-Altar im gleichnamigen Berliner Museum; sie befreiten die 116 bis zu zwei Tonnen schweren Reliefplatten von Jahrhunderte alten Staub- und Sandablagerungen; sie kämpften gegen dunkelgraue Betonergänzungen aus DDR-Zeit auf den Kriegern, Göttern und Königen; sie entfernten mit Ultraschall und viel Geduld die verrosteten Eisendübel, mit denen man einst die Platten und Figuren fixiert hatte und die nun den Marmor zu verflecken und zu sprengen drohten. Die Rettungsaktion für das neben der Nofretete-Büste wichtigste Kunstwerk der Berliner Museumslandschaft war wirklich fällig.
Und sie hat sich gelohnt. Seit vergangener Woche kann der Pergamon-Altar mit seiner Darstellung der gegen Giganten kämpfenden marmornen Götter wieder ganz, vollständiger und plastischer als bisher bewundert werden. Statt auf Beton wurden die Friese nun vor einem Hintergrund aus hellgrauem italienischen Kalkstein gesetzt, der den Reliefcharakter deutlicher betont. Noch beeindruckender sind allerdings die im Zuge der Restaurierung vorgenommenen Ergänzungen: Viele der bei der Ausgrabung vor über 100 Jahren gefundenen, oft winzigen Bruchstücke, die bisher in Depots der Berliner Antikensammlung lagerten, konnten erst jetzt wie in einem gigantischen
Puzzlespiel zugeordnet und eingefügt werden. Dabei wurden ganze Frieslücken gefüllt.
Der Altar hat eine höchst wechselvolle Geschichte hinter sich. Von Eumenes II. zwischen 180 und 160 v. Chr. in Pergamon (in der Nähe des heutigen Bergama in der Türkei) errichtet, wurde der Altar noch in der Antike geschleift. In den letzten Jahrzehnten des
19. Jahrhunderts grub eine Expedition unter der Leitung des Ingenieurs Carl Humann die Überreste aus. Sie wurden offiziell den Berliner Museen übergeben, die für die Funde 1898 ein eigenes kleines Museum errichteten. Das heutige Pergamonmuseum mit der Rekonstruktion der Schauseite des Altars mit ihrer beeindruckenden Freitreppe und den dreiseitigen Säulenhallen wurde erst 1930 nach 20-jähriger Bauzeit eröffnet.
Nur gute zehn Jahre später, während des Zweiten Weltkrieges, wurden die Reliefs in einen Bunker ausgelagert. 1945 kassierten sowjetische Truppen die Meisterwerke und brachten sie in die Sowjetunion, die sie schließlich 1958 an die DDR zurückgab. Bereits zu diesem Zeitpunkt wäre eine Restaurierung eigentlich notwendig gewesen; sie wurde aber nicht in die Tat umgesetzt. Jetzt wurden Materialien verwandt, die keine Schäden mehr an den Originalen anrichten sollen und auch wieder problemlos entfernt werden können, falls sich durch neue Forschungen eventuell eine andere Zusammensetzung des Frieses ergibt.
Mit dem Abschluss der Restaurierung des Altars sei die Sanierung des UNESCO-Weltkulturerbes Museumsinsel einen bedeutenden Schritt vorange-
kommen, sagte der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Klaus-Peter Schuster, Mitte vergangener Woche. Insgesamt haben die zehnjährigen Restaurationsarbeiten 2,3 Millionen Euro gekostet. Ein Klacks, wenn man die jetzt anstehenden Sanierungen betrachtet. Denn ebenso notwendig wie die Rettung des Altars ist die Renovierung des ihn umgebenden, inzwischen reichlich maroden Museums, das mit jährlich über 800.000 Besuchern seit eh und je einer der großen Publikumsmagneten der Hauptstadt ist. Derzeit gehen Experten von Kosten in Höhe von über 500 Millionen Euro aus. Das gesamte Ensemble der Museumsinsel soll endgültig bis zum Jahr 2020 in neuem Glanz erstrahlen. Nach Schätzungen wird der Bund dafür wohl insgesamt 1,5 Milliarden Euro berappen müssen.