Ende vergangenen Jahres erlangte der Ingenieur Peter Randell aus der englischen Grafschaft Kent internationale Berühmtheit: Weil das staatliche Gesundheitssystem die teure Therapie seiner sechsjährigen Tochter Alice, die seit ihrer Geburt an zerebraler Kinderlähmung leidet, nicht übernehmen wollte, bot der verzweifelte Vater im Online-Aktionshaus Ebay eine seiner Nieren an. Mit dem erhofften Erlös von 150.000 Euro wollte er den dringend benötigten Therapieplatz für Alice finanzieren. Nachfrage gab es durchaus, doch bevor der Deal abgewickelt werden konnte, wurden Randalls illegale Organangebote sowohl in Großbritannien als auch in den USA entdeckt und strafrechtlich verfolgt. Daraufhin spendeten die Leser der britischen Zeitung "Sun", die den Fall bekannt machte, einen Teil des benötigten Geldes.
Eine Geschichte nach dem Geschmack der Boulevardpresse: Schwerkrankes Kind, opferbereite Eltern, die vor der staatlichen Mittellosigkeit und Ignoranz kapitulieren, und eine solidarische Lesergemeinde. Die Protagonisten sind keine skrupellosen Organhändler, die, wie vergangenes Jahr in der Ukraine, neugeborene Babys ausschlachten oder verdächtigt werden, Organe von Waisenkindern zu verhökern, wie im Fall eines südafrikanischen Ehepaars. Hier handeln verzweifelte Eltern, die keinen Ausweg mehr wissen und auf menschliches Verständnis hoffen dürfen.
Der sozialpolitische Aspekt der Story - die Tatsache, dass die europäischen Wohlfahrtsstaaten sich nicht mehr jede medizinische Leistung leisten können oder leisten wollen und dabei sind, implizit oder explizit eine Zweiklassenmedizin zu etablieren - ist dabei nur die eine Seite, die das Publikumsinteresse und die Spendenbereitschaft mobilisiert. Gravierender an der Geschichte ist die Frage, ob Peter Randell seinen Körper "besitzt" und über seine Teile verfügen kann, zumal, wenn er wie in diesem Fall ein ethisch einwandfreies Ziel verfolgt. Ist der Körper sein "Eigentum", ein Produkt, für das er - man denke nur an gesundheitspräventive Maßnahmen - einerseits "Haftung" übernimmt und dessen Teile andererseits auf dem Markt angeboten werden können? Oder ist der Körper ein unveräußerliches "Ding", das verwertbaren Maßstäben zu entziehen ist?
Die gesetzlichen Grundlagen der europäischen Länder sind weitgehend eindeutig: Organhandel ist - so auch im britischen Fall - verboten. Weder die eigenen Organe noch die eines Dritten sind eine "marktfähige" Ware und können also auch nicht gehandelt werden. In der Bundesrepublik regelt das Ende der 90er-Jahre kontrovers diskutierte Transplantationsgesetz (TPG) den Umgang mit Organspende und ihre Grenzen. Die postmortale Organspende ist zulässig, wenn das Einverständnis des Betroffenen vorliegt oder dessen Angehörige nach seinem vermuteten Willen entscheiden ("erweiterte Zustimmungslösung"), vorausgesetzt, zwei Ärzte haben den so genannten "Hirntod" festgestellt. Die Lebendspende (also beispielsweise die Spende einer Niere oder eines Teils der Leber) ist nur dann möglich, wenn ein enges Verwandtschafts- oder Beziehungsverhältnis vorliegt, das von einer Ethikkommission zu beurteilen ist. Es darf - von so genannten "Aufwandsentschädigungen" abgesehen - in keinem Fall ein auf das Organ bezogener finanzieller Ausgleich stattfinden. Soweit die Regelungen, die hinsichtlich der Lebendspende derzeit allerdings wieder zur Disposition stehen.
Denn das mit dem unveräußerlichen Körper und seinen Teilen ist eine schwierige Angelegenheit. Transparent ist die über Jahrzehnte hinweg bewährte Blutspendepraxis: Man erhält ein Taschengeld dafür, dass man Zeit investiert und gegebenenfalls auch die eine oder andere Unpässlichkeit in Kauf nimmt. Aber schon bei der Samenspende liegen die Dinge anders. Ein Samenspender wird - vergleichsweise gar nicht schlecht - für seine Dienste und sein Produkt bezahlt. Weibliche Eier dagegen sind in Deutschland unverkäuflich. Eine geschlechtsspefische Diskriminierung? In diesem Fall wohl eher nicht, denn die Begehrlichkeiten der Wissenschaft, beispielsweise in der Stammzellforschung, sind so groß, daß hier die Gefahr bestünde, dass sich gerade Frauen aus schwächeren Schichten zur "Eierernte" melden würden. Doch wie steht es mit den vielen menschlichen Präparaten, die überall im medizinischen Alltag gesammelt und in sogenannten Biobanken aufbewahrt und der Forschung und Industrie zur Verfügung gestellt werden? Mit welchem Recht werden sie privatisiert und beispielsweise von der Pharmaindustrie verwertet, ohne dass die einstigen Lieferanten je einen schlappen Euro von der Rendite sehen? Die derzeit auszuhandelnde Biopatent-Richtlinie ist ein heißes Eisen der Politik; Patente "auf Leben" sind höchst umstritten.
Das Argument, dass sich gerade einkommensschwache, finanziell bedrängte Menschen zum Verkauf ihres Körpers gezwungen sehen könnten, wird auch gegen die Kommerzialisierung der Organspende in Anschlag gebracht. Wer sozial abgesichert lebt, wird sich unter normalen Umständen kaum veranlasst sehen, eine Niere zu verkaufen. Doch wie sieht das für arme Menschen aus unterentwickelten Ländern aus? Auf einer Anhörung der Enquete-Kommission "Recht und Ethik in der modernen Medizin" des Deutschen Bundestages kolportierte kürzlich ein Sachverständiger die Meinung eines indischen Kollegen, der Verständnis für die bezahlten Lebendspenden aufbrachte, weil "dies in Indien die Ausbildung von Töchtern" sicherstelle. Aber rechtfertigt der - im Übrigen nur vermutete - Nutzen für benachteiligte Mädchen den Handel mit Körperteilen? Zumal in diesem Fall, wo die Industrienationen eindeutig Vorteilnehmer sind, während die übrigen Teile der Welt einmal mehr in die Rolle billiger Lieferanten für unsere "Ersatzteillager" gedrängt werden? Repräsentative Untersuchungen gerade aus Indien zeigen außerdem, dass die "Spender" durch den Verkauf ihrer Nieren keineswegs der Schuldenfalle entkommen. Im Gegenteil führen die gesundheitlichen Auswirkungen einer Organentnahme häufig zu zusätzlicher Verschuldung. Den Profit schöpfen ohnehin die Vermittler ab: In Südafrika wurde kürzlich ein Israeli zu 660 Euro Strafe verurteilt, der aufgrund falscher Annahmen eine Niere für 45.000 Dollar "bestellt" hatte; für den brasilianischen Spender fielen gerade einmal 6.000 Dollar ab.
In den Industrienationen ist der Bedarf an Organen offenbar, trotz aller Aufrufe an die Spendenbereitschaft der Bevölkerungen, nicht zu decken. Wenn die Deutsche Stiftung Organtransplantation alljährlich ihre Zahlen bekannt gibt, dann immer mit dem mehr oder minder dezenten Hinweis auf den vom Egoismus der Allgemeinheit zu verantwortenden "Tod auf der Warteliste", dem viele Patienten entgegensehen. Die Hightech-Medizin macht Angebote, die wahrgenommen werden wollen und sollen. Den betroffenen sterbenskranken Patienten ist daraus kein Vorwurf zu machen, auch wenn gelegentlich und nicht immer zu Unrecht über hybride Ansprüche und mangelnde "Compliance", also die Bereitschaft transplantierter Patienten, sorgsam mit dem Mangelgut umzugehen, lamentiert wird.
Aber auch diejenigen, die sich gegen eine Organspende entscheiden, sind keiner Unterlassungssünde zu zeihen: Der Alltag der Organspendepraxis, seine Voraussetzungen ("Hirntod") und psychologischen Folgen sind so problematisch und unabsehbar, dass keine "Bringschuld" eingeklagt werden kann. Dies gilt mehr noch für die Lebendspende. Wo endet die Freiwilligkeit und wann der (versteckte) Zwang? Die Gutachter von Ethik-Kommissionen sollen nicht nur beurteilen, wie eng die Beziehung zwischen Spender und Empfänger tatsächlich ist und ob sie die Bedingungen des TPG erfüllt, sondern auch, ob Druck ausgeübt, Geld fließen oder lebenslange Dankesschuld produziert wird. Die Tatsache, dass die Lebendspende in den letzten Jahren in Deutschland stark zunimmt, könnte auch daran liegen, so die vorsichtige Vermutung von Hans-Ludwig Schreiber von der Bundesärztekammer, dass dies "ein Weg für bestimmte Begünstigte" ist, die Warteschlange zu umgehen.
Im Falle der Familie Randell wäre die Selbstinstrumentalisierung des Körpers durch Peter tolerierbar gewesen, litte Alice unter Niereninsuffizienz und hätte der Vater mit seiner Niere das Leben der Tochter gerettet. Dass die Lebensqualität von Alice durch die beabsichtigte Therapie möglicherweise ganz ähnlich gesteigert würde, rechtfertigt jedoch nicht, dass der Vater seine Niere verkauft - selbst wenn er damit "nebenbei" auch noch das Leben eines weiteren Patienten rettet; allerdings eines Patienten, der diese "Ware" auch bezahlen kann.
Wir leisten uns heutzutage eine überaus teure Hightech-Medizin, die zwar in nicht geringem Umfang aus direkten Steuermitteln oder indirekten Transferleistungen (zum Beispiel überteuerten Medikamenten) finanziert und abgesichert wird, die aber, das ist bereits absehbar, bald nicht mehr für jedermann verfügbar sein wird. Wir leisten uns gesundheitliche Ansprüche, die wir selbst nicht bedienen können und für deren Befriedigung, das steht zu befürchten, die Ressourcen der ärmeren Ländern herangezogen werden. Wenn heutzutage kostengebeutelte deutsche Kliniken ihre Tore für Ölmilliardäre öffnen, die sich dort für ihre Petrodollars gesundflicken lassen, dann ist dies sozusagen nur die umgekehrte Richtung desselben Prozesses.
Aber mehr noch leisten wir uns den Abschied von einem Körper- und Menschenbild, das ganzheitlich geprägt und unteilbar ist. Es beruht auf der Vorstellung eines unverwechselbaren, unveräußerlichen Individuums, das mehr ist als seine (verwertbaren) Teile. Diese schleichende Materialisierung des Körpers, seine Umwertung in ein handelbares Warenlager, verantwortet gewiss nicht nur die medizinische Zunft; aber als Produzentin von Menschenbildern hat sie daran ihren Anteil, und es ist noch nicht abzusehen, was sie Tröstliches an diese Stelle setzen wird.
Ulrike Baureithel ist Redakteurin beim "Freitag".