Der Terror fängt schon an, bevor das Kind überhaupt auf der Welt ist. Mit dem ersten Ultraschall-Foto werden Frauen ein Zentner Ratgeber und Bücher in die Hand gedrückt, die nicht nur über Schwangerschaft und Geburt aufklären, sondern auch darüber, was der Nachwuchs unter allen Umständen in seinen ersten Lebensmonaten braucht. Spätestens, wenn der Nestbautrieb der Schwangeren befriedigt werden muss, haben die Ratgeber-Autoren und Babyausstatter gewonnen. Atemlos stürmen werdende Mütter Möbelhäuser und Fachgeschäfte auf der Suche nach Wickelkommoden, Kinderbetten, Stubenwagen (eins von beiden reicht auf keinen Fall), Badeeimern, Flaschendesinfizierern und Stillkissen. Was all diese Dinge gemeinsam haben, ist nicht nur ihre angeblich unverzichtbare Rolle bei der zeitgemäßen Entwicklung der Kleinen - sie sind außerdem oft erstaunlich teuer. Eine vollständige Erstausstattung ist unter 1.500 Euro kaum zu haben.
Dafür bieten sich folgende Erklärungen an: Zu vielen Produkten gibt es anscheinend keine Alternative, Babys brauchen nun einmal Schnuller und Kinderwagen. Aber selbst verzichtbare Utensilien hat die Babybedarfsindustrie ihren Kundinnen und Kunden inzwischen erfolgreich als absolutes Muss verkauft. Dass unbedingt ein Flaschenwärmer Babys Milch auf Temperatur bringen muss, wo es das gewöhnliche Wasserbad auch tun würde, oder dass ein Badeeimer jeder Wanne haushoch überlegen ist, sind Botschaften, die ankommen. Junge Mütter sind Abhängige. Und von denen kann man bekanntlich fast jeden Preis verlangen. Die rekordverdächtig niedrige Geburtenrate in Deutschland verstärkt den Effekt. Bei weniger als
1,4 Kindern pro Frau lassen sich nur wenige Badeeimer verkaufen - und jedes Baby wird immer mehr Badeeimer wert. Die Aufmerksamkeit und die finanziellen Möglichkeiten einer Familie werden nicht mehr unter vielen Kindern aufgeteilt, sondern sind auf eines oder wenige konzentriert.
Es scheint, dass Kinderhaben für viele Deutsche keinen bedeutenden Wert mehr darstellt. Wichtiger ist der eigene Lebensstandard. Denn Kinder kosten. Sie kosten Geld, sie kosten Zeit, sie kosten Nerven. Man kann anfangs nur schwer mit ihnen verreisen. Sie schlafen nicht, wenn sie sollen. Man kann sie weder abschalten noch umtauschen. Sie schränken die Möglichkeiten für persönlichen Konsum ein - statt Lippenstift für Mama muss nun Wundschutzcreme für Babys Windelpo gekauft werden. Dass sich Kind und Konsum gut miteinander vereinbaren lassen, ist die Hoffnung aller Babyausstatter. Und sie wird erfüllt.
"Der Kinderwagen wird für die erste Zeit eines Ihrer wichtigsten Hilfsmittel sein. Einerseits sollte sein Aussehen zu Ihrem persönlichen Outfit passen, andererseits müssen zum Wohle Ihres Babys etliche technische und praktische Dinge beachtet werden", heißt es in der Anzeige eines Herstellers. Moderne Eltern müssen sich also nicht nur zwischen Kinderwagen, Kombiwagen, Sportwagen, Jogger oder Buggy in jeweils drei- oder vierrädriger Variante entscheiden, sondern auch berücksichtigen, ob das Gefährt zu den Schuhen passt. Es klingt grotesk, aber es gibt tatsächlich Mütter, die je nach Anlass zwischen zwei verschiedenen Kinderwagen, einem Buggy und dem neuen "Maxi Taxi" wählen. Selbst wer den Mode-Schnickschnack nicht mitmacht, will schließlich sein Gewissen nicht mit der Verantwortung dafür beladen, dass das eigene Kind einen bleibenden Rückenschaden davonträgt, weil es in einem schlecht gefederten Kinderwagen gelegen hat - wie es manche Herstellerinformationen suggerieren. Solche Probleme werden in Krabbelgruppen von den Müttern heiß diskutiert, während die Kleinen vor sich hinturnen. Dabei geht es nicht nur um das Weitergeben von Tipps. Viele Mütter pflegen einen knallharten Wettkampf. "Mein Kinderwagen lässt sich in acht verschiedene Liegepositionen verstellen. Aber er war so teuer...", erzählt eine Mutter beim Babyschwimmen. Der Neid der anderen ist ihr sicher. Einige plagt insgeheim sogar das schlechte Gewissen: "Bin ich eine Rabenmutter, weil mein Kind in seinem billigeren Kinderwagen nur fünf Liegepositionen zur Auswahl hat?"
Babys sind offenbar eine so relevante Zielgruppe, dass es sich der Fachmarkt "Happy Baby" leisten kann, die Wettervorhersage eines Berliner Radiosenders zu präsentieren. Der Sender wiederum verloste ein Valentins-Wochenende samt Hotelsuite "zum Kindermachen". Auch bekannte Modedesigner haben den Baby- Markt entdeckt und verlangen entsprechende Preise. Kenzo verkauft seine Röckchen mit passendem T-Shirt für umgerechnet 225 Euro, ein Polohemd von Dolce & Gabbana in Größe 74 ist ab 80 Euro zu haben und Donna Karans Strickjäckchen immerhin 50 Euro wert. Aber wer seine eigenen Kinder aussehen lassen will, wie die von David Beckham oder Madonna, dem sollte es diese Investition schon wert sein.
Wenn aus der Kinderschuhabteilung eine Frauenstimme "Sind die süüüüüß!" kreischt, kann man davon ausgehen, dass hier gerade eine Mutter zum ersten Mal gesehen hat, wie niedlich ein Marken-Turnschuh in Größe 19 an einem kleinen, speckigen Babyfuß aussieht. Wetten, sie erliegt der Versuchung, den eigenen Schuhtick auf das Baby zu übertragen? Babysandale statt Pumps - Mama lebt den Konsumrausch am Nachwuchs aus. Eine meist harmlose Spinnerei. Manche Eltern bereuen sie allerdings innerhalb kürzester Zeit. "Kein Kind wird mit dem Schrei nach Pampers, Playmobil oder Pokémon geboren", schreibt der Bielefelder Professor für Verhaltensforschung und Sozialpolitik, Klaus Hurrelmann. Mit anderen Worten: Solche Wünsche haben zuerst die Eltern. Denn auf Playmobil und Pokémon folgen bekanntlich Handys, Computer und Pferde. Und wie soll Mama dem fordernden Kind den Wunsch ausreden, wenn sie selbst gerade das dritte Paar Babyschühchen für das kleine Schwesterchen gekauft hat, das noch nicht einmal stehen kann?
Sandra Kaufmann ist freie Journalistin in Berlin und hat eine elf Monate alte Tochter.