Rund 77.000 Tonnen Uran in Spezialcontainern verpackt, geschützt vor radioaktivem Fallout und Nuklearterroristen. Yucca Mountain Project lautet die offizielle Bezeichnung. Energieminister Abraham Spencer hat den zerklüfteten Bergkamm aus Vulkangestein als Standort empfohlen. Präsident Bush hat entschieden, das 58 Milliarden Dollar teure Endlager für die Ewigkeit bauen zu lassen. Denn die Abklingbecken für abgebrannte Brennstäbe aus den Atomkraftwerken werden in wenigen Jahren gefüllt sein. Ein Endlager müsse her, das sei ökonomischer und sicherer als die aufwendige Zwischenlagerung, sagt Patrick Rowe vom Department of Energy (DoE), jener Behörde, die verantwortlich für das Projekt ist.
Am Horizont erkennt man die Umrisse eines geborstenen Vulkans. Es ist still hier, eine trügerische Idylle, denn der Yucca Mountain liegt in der Nevada Test Site, dem Atomversuchsgelände der USA. Zur Zeit des Kalten Krieges wurden in dieser Einöde die ersten Atombomben der USA erprobt. Ansonsten deutet nichts auf die Besonderheit des Berges hin. Nirgendwo gibt es ein Schild, eine Markierung, weder am Highway noch auf den Umgebungskarten. Dafür werden die Zufahrtsstraßen zum Yucca Mountain streng bewacht. Gatter und Panzersperren blockieren die Einfahrt. Hinein darf nur, wer eine Sondergenehmigung des Energieministeriums vorweisen kann.
Die Bush-Regierung setzt auf Atomenergie und muss gleichzeitig der Altlasten Herr werden. Derzeit gibt es 103 Atomkraftwerke. 50 neue Reaktoren sollen bis zum Jahre 2020 dazukommen. Der Etat für die nukleare Müllgruft beträgt jährlich 300 Millionen Dollar. Wenn die eigentlich Bauphase ab 2008 richtig los-gehe, sollen es 3.000 sein. Gut bezahlte Jobs vor allem für Bauarbeiter, so das Argument der Befürworter. Im Augenblick sind etwa 1.500 Menschen mit den Vorarbeiten betraut: Ingenieure, Minenarbeiter, Wissenschaftler und Public Relationsleute, die Werbung für die Endlagerstätte machen sollen. Und die ist umstritten. "Für die Entsorgung wurden überhaupt keine anderen Orte und Methoden in Betracht gezogen", kritisiert Judy Treichel. 1987 gründete sie die Nevada Nuclear Waste Task Force, seitdem arbeitet Treichel für die Organisation. Der Name ist Programm. Die Bürgerinitiative engagiert sich dafür, die Öffentlichkeit über die Gefahren eines Atommülllagers aufzuklären.
Am zentralen Eingang des Yucca Mountain schlägt dem Besucher kühle, trockene Luft entgegen. Ein dunkler Schacht führt acht Kilometer tief in den Berg. Nacktes Tuffgestein reflektiert kaltes Neonlicht von den Wänden, an denen Kabel und Kompressoren, Frischluftleitungen und Generatoren hängen. Es ist laut im Yucca Mountain, aus dem Schlund des Berges dröhnt der Bohrlärm. "Ich werde alles in meiner Macht Stehende unternehmen, um das Projekt zu stoppen!" Oscar Goodman ist Bürgermeister der Spie-ler- und Wüstenmetropole Las Vegas: "Diejenigen, die aus dem Yucca Mountain ein atomares Endlager ma-chen wollen, haben nicht die Sicherheitsstandards eingehalten, die im Kongress beschlossen wurden. Wenn der Atommüll eine sichere Angelegenheit ist, dann kann er ja dort bleiben, wo er ist." Niemand in Nevada und niemand in Las Vegas wolle das Atomklo haben, sagt der 64-jährige Demokrat, Bürgerrechtler und ehemalige Strafrechtsverteidiger. Goodman steht nicht allein, in ganz Nevada regt sich Protest gegen das geplante Endlager. Eine große Koalition aus Bürgerinitiativen, Politikern, Wirtschaftsverbänden und Umweltgruppen hat sich zusammengefunden.
Zu den Gegnern des Projektes gehört auch Steve Frishman. Als unabhängiger Sachverständiger berät er den Gouverneur von Nevada. Der Geologe kennt den Berg in- und auswendig, hat ihn selbst miterforscht. Sein Befund: Der Yucca Mountain ist eine Zeitbombe, denn hin und wieder bebt hier die Erde. Im Umkreis von 80 Kilometern wurden in den letzten 20 Jahren über 600 Beben mit einer Stärke von mehr als 2,5 auf der Richter-Skala registriert. Dass dabei ausgerechnet die Außenstelle des US-Energieministeriums mit ei-nem Laborgebäude in Trümmer gelegt wurde, entbehre nicht der Ironie, kommentiert Frishman süffisant. Selbst das General Accounting Office, eine Prüfbehörde des Kongresses, ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Regierung "noch nicht über alle technischen Informationen für eine Empfehlung verfügt".
Das Energieministerium habe diese Fakten aber nicht zum Anlass genommen, den Standort aufzugeben, so Frishman, sondern die Kriterien für den Yucca Mountain kurzerhand gelockert. Obergrenzen für frei werdende Strahlung gelten seitdem nicht mehr innerhalb, wie ursprünglich vorgesehen, sondern erst außerhalb einer 20-Kilometerzone. Das Gestein muss nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen eine natürliche geologische Langzeitbarriere gegen eine Verseuchung des Grundwassers bilden. Stattdessen reiche es, wenn die zur Einlagerung benutzten Castoren den erforderlichen Schutz böten, kritisiert Frishman. Trotz dieser Warnungen stimmte der US-Senat parteiübergreifend für den Standort in Nevada. Für Frishman hatte das vor allem einen Grund: Jeder Senator, der sich gegen Yucca Mountain ausgesprochen hätte, musste fürchten, sein Bundesstaat könne als potentieller Standort ausgewählt werden.
Fast alle Reaktoren der USA befinden sich an der Ostküste - mit der Konsequenz, dass die Transportwege von den Atomkraftwerken zum Yucca Mountain äußerst lang sind. Noch ist geplant, den Atommüll aus den 39 Bundesstaaten per Truck oder Zug zu transportieren. Die durchschnittliche Entfernung beträgt 3.200 Kilometer. Aber mit der Zahl der Transporte steige nach Meinung der Gegner das Risiko von Pannen, Unglücksfällen oder Terroranschlägen. Die Bush-Regierung hält die Risiken eher für gering und verteidigt die Transporte mit dem Hinweis auf andere Gefahren: Zum Beispiel, wenn man den Atommüll in den Zwi-schenlagern der Kernkraftwerke lassen würde, wo sie derzeit unter freiem Himmel aufbewahrt werden. Gerade vor dem Hintergrund des 11. Septembers ließe sich das Material an einer zentralen Stelle besser schützen als an den Kraftwerksstandorten: "Ohne Yucca Mountain bleibt der Atommüll dort, wo die Lagerung weniger sicher und das Risiko eines Terroranschlags viel grösser ist", argumentiert Energieminister Spencer und verweist auf die bisherige Bilanz: In den vergangenen 30 Jahren auf zusammengerechnet über 2,6 Millionen Kilometern Transportstrecke habe es keinen nennenswerten Atomunfall gegeben.
Dass die Atommülltransporte erst in einigen Jahren beginnen werden, ist für Bürgermeister Goodman nur ein schwacher Trost: "Die Leute werden die Transporte nicht tolerieren. Im ganzen Land gibt es Transporte ohne Feuerwehrbegleitung, Polizei, Ärzte. Was ist, wenn es zu einem Unfall kommt?" Las Vegas ist mit monatlich 6.000 Zuzüglern noch immer die am schnellsten wachsende Stadt der USA. 40 Millionen Besucher kommen jährlich hierher. Die Kasinobesitzer fürchten vor allem: Mit Atommüll beladene Castoren rollen über dem Strip in Richtung Yucca Mountain - zum Schrecken der Touristen, Hochzeitspaare und Zerstreuungssüchtigen, die dann wegblieben. Das würde Arbeitslosigkeit und einen sinkenden Staatshaushalt bedeuten. Andererseits sind in das Endlagervorhaben bereits Milliarden Dollar geflossen. Schon deshalb können Regierung und Atomindustrie keinen Rückzieher mehr machen, analysiert Goodman.
Seit langem demonstrieren die Western Shoshone Indianer gegen das geplante Endlager. Die Frage des rechtmäßigen Eigentums am Yucca Mountain ist von den Gerichten stets zu ihren Ungunsten behandelt worden. Es geht um Landraub, denn große Teile des nuklearen Zyklus, von der Urangewinnung über die Atombombenexperimente bis zur Endlagerung, finden auf indianischem Gebiet statt. "Zeigt mir die Dokumente, die belegen, dass wir unser Land weggeben haben!", fordert Corbin Harney, der spirituelle Führer der Western Shoshone. Seit Jahrhunderten haben seine Vorfahren in diesen Wüsten- und Steppengebieten überlebt. Die Shoshonen haben es nie verkauft.
Heute leben die letzten 6.000 Mitglieder des Stammes in Reservaten, verteilt auf sechs Bundesstaaten. Viele wie Corbin Harney haben nicht einmal Geld für eine Klimaanlage in ihren bescheidenen Häusern. Bei 50 Grad im Schatten eine Tortur. Über eine Schulbildung verfügen die wenigsten, sie hausen in Wohnwagen, verkaufen Benzin und Süßigkeiten, eine Krankenversicherung kann sich kaum jemand leisten.