Was einst für chaotische Zustände im Bundesrat sorgte, ist nun mit breitem Einverständnis über die Bühne gegangen. In ihrer Sitzung am 9. Juli 2004 hat die Länderkammer das lange Zeit umstrittene Zuwanderungsgesetz verabschiedet. Im März des Jahres 2002 hatten die Unions-Ministerpräsidenten unter Protest den Plenarsaal verlassen, nachdem der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), in seiner Funktion als Bundesratspräsident eine geteilte Stimmabgabe des Landes Brandenburg als Zustimmung gewertet und somit dem Gesetz zu einer Mehrheit verholfen hatte. Zu Unrecht, wie später das Bundesverfassungsgericht urteilte. Die Neueinbringung des Gesetzes im Juli 2003 führte zur Anrufung des Vermittlungsausschusses, dessen Kompromissvorschlag nun eine breite Mehrheit fand.
Das Gesetz soll den Zuzug von Ausländern nach Deutschland steuern und begrenzen. Für hoch qualifizierte Arbeitskräfte wird die Einwanderung ermöglicht. Der Anwerbestopp für normal und gering qualifizierte Menschen bleibt im Grundsatz allerdings bestehen. Die Regeln zur Ausweisung als gefährlich eingestufter Ausländer werden deutlich verschärft. Im Gegenzug wird der Flüchtlingsschutz verbessert, etwa für die Opfer nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung. Einwanderer sollen zudem künftig einen Anspruch auf einen Integrationskurs erhalten. Anfang 2005 soll das Gesetz in Kraft treten.
Für den saarländischen Ministerpräsident Peter Müller (CDU), der an der Kompromissfindung entscheidend beteiligt war, bedeutet das Gesetz eine deutliche Verbesserung des gegenwärtigen Status quo. Es regele die Zuwanderung, sichere den Asylanspruch und stelle einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Integration dar, sagte er und betonte, dass der gefundene Kompromiss von allen wesentlichen Gruppierungen in Deutschland getragen werde. Durch die großzügigen Regelungen für hochqualifizierte Arbeitnehmer habe Deutschland im "Wettbewerb um die besten Köpfe" nun bessere Chancen. Müller verteidigte gleichzeitig die prinzipielle Erhaltung des Anwerbestopps. Angesichts von fast fünf Millionen Arbeitslosen könne man den Arbeitsmarkt nicht vollständig öffnen. Fortschritte gebe es auch im Bereich der Integration. So übernehme der Bund die Kosten für Integrationskurse, was ein fairer Kompromiss sei - schließlich trügen die Länder die Hauptlast der Integration, erklärte der Ministerpräsident. Bei aller Zufriedenheit über die gefunden Lösung gäbe es dennoch ergänzenden Diskussionsbedarf - beispielsweise in Fragen der Sicherheitshaft, des Kindernachzuges und des Asylbewerberleistungsgesetzes. Auch der rheinland-pfälzische Innenminister Walter Zuber (SPD) gab sich mit dem gefunden Kompromiss zufrieden. Er trage der stärkeren Integration von Ausländern ebenso Rechung wie den Interessen von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung im Bezug auf hochqualifizierte Arbeitskräfte. Darüber hinaus würden die humanitären Standards sowie die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung der Bundesrepublik berücksichtigt und verbessert. Sehe man sich die Historie des Gesetzentwurfes an, so müsse man feststellen, dass die Politik gerade noch einmal die Kurve gekriegt habe, schätzt Zuber selbstkritisch ein. Zwischenzeitlich wurde in der Öffentlichkeit bezweifelt, ob die Politik überhaupt noch handlungsfähig sei. Letztlich habe jedoch die Vernunft über parteipolitische Überlegungen gesiegt. Auf diesem Wege müsse man nun weiter gehen, so Zuber, um sich das Vertrauen der Menschen für die noch anstehenden Reformen zu erhalten.
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) erinnerte an die Tumulte im März vor zwei Jahren. Damals sei es fast zum Bruch der Regierungskoalition in seinem Land gekommen. In der Rückschau sei es nicht zu erklären, warum man lange nicht zu einer Lösung finden konnte. Viele der Argumente, die sich nun durchgesetzt hätten, seien auch damals schon in der Diskussion gewesen. Sowohl die Verhinderung der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt als auch die gerechte Verteilung der Integrationskosten seien schon früher die Ziele der Union gewesen. Das Gesetz gewähre auch Schutz vor nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung im Rahmen der EU-Rechtlinien. Wer wirklich verfolgt werde, so Schönbohm, solle auch geschützt werden. Der Innenminister lobte die Bundesregierung für ihr Entgegenkommen in Sicherheitsfragen. Dass sich schließlich auf beiden Seiten die Vernunft durchgesetzt habe, sei gut für Deutschland, befand er abschließend.
Das neue Zuwanderungsgesetz setze ein Zeichen für Liberalität, Weltoffenheit und Integrationsbereitschaft in Deutschland, sagte die baden-württembergische Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck (FDP), die von einem "Meilenstein" sprach, auch wenn sie sich einige weitergehende Regelungen gewünscht hätte. Mit dem Gesetz nehme man endlich Abschied von der "Lebenslüge", Deutschland sei kein Einwanderungsland. Es sei eine Tatsache, dass in Deutschland schon lange Menschen aus unterschiedlichen Nationen, mit unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Religionen miteinander lebten und arbeiteten. Diese Zuwanderer seien längst fester Bestandteil der Bevölkerung. Die politisch Verantwortlichen müssten nun für das Gesetz werben, Vorurteile widerlegen und Zusammenhänge von Zuwanderung und Integration erläutern, damit in der Bevölkerung eine größtmögliche Akzeptanz erreicht werde, forderte sie.
Der bestens gelaunte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) freute sich, nach langer Reise endlich ans Ziel gelangt zu sein. Das Gesetz sei ein wichtiger Schritt für Deutschland auf dem Weg in eine globalisierte Welt und stelle eine "historische Zäsur dar", sagte er. Einwanderung sei nun entlang der wirtschaftlichen Interessen Deutschland möglich, aber auch im Interesse der Verbindung der Völker nötig, so Schily. Zugleich wies er Kritik der Wirtschaft zurück, die Regelungen zur Arbeitsmigration seien unzureichend. Bei über vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland müsse die Wirtschaft schon konkret sagen, in welchen Branchen es einen Arbeitskräftemangel gebe, der nicht von inländischen Erwerbslosen gedeckt werden könne, sagte er.
Über ein Zuwanderungsgesetz wird in Deutschland seit Jahren heftig gestritten.
Chronik: dpa