Alle Orte in den früheren deutschen Ostgebieten entwickelten sich faktisch seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 zu polnischen oder russischen Gemeinwesen. Die Westverschiebung Polens bis zur Oder und Lausitzer Neiße sowie der damit verbundene fast totale Bevölkerungsaustausch sind Dinge, die von nicht wenigen Deutschen wie auch Polen aus den polnischen Ostgebieten immer noch als schmerzlich empfunden werden. Dieser Prozess wird in dem vorliegenden, von Studenten zusammengestellten Band, am Beispiel der früher deutschen und heute polnischen Stadt Breslau/Wroczlaw exemplarisch in deutscher und polnischer Sprache dargestellt.
Es ist ein Projekt der Oral History, der Geschichte von unten, vornehmlich eine Befragung von Zeitzeugen, die eine Seminargruppe der Europa-Universität "Viadrina" in Frankfurt/Oder vor zwei Jahren ausführte.Deutsche, polnische, russische und ukrainische Studenten bearbeiteten in getrennten Gruppen vorher festgelegte Themen, etwa: "Entdeutschung" und Polonisierung - die Umwandlung Breslaus in eine polnische Stadt; Die Lemberger in Breslau; Die jüdische Gemeinde in Breslau seit 1945 und - für ehemalige deutsche Bewohner wichtig und interessant - Die deutsche Minderheit nach der Vertreibung.
Alle Beiträge waren genau gegliedert. Der Einführung in die Thematik mit historischen Hintergrundinformationen folgte die Zielsetzung der Befragungen, am Ende stand die Auswertung der Antworten. In der Summe entstand so ein Bild über die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen seit 1945.
Eine deutliche Zäsur zwischen der Epoche des Kommunismus mit der These einer Rückkehr in urpolnische Gebiete und der politischen Wende bildet das Jahr 1989. Von besonderem Interesse sind die Äußerungen polnischer Neubürger über die zurückgebliebenen Deutschen (etwa 3.000). So sagt ein Seminarteilnehmer: "Es reichte vom Ruf nach Vergeltungsmaßnahmen, die sich an nationalsozialistischen Praktiken orientieren sollten, über Gefühle der Gleichgültigkeit und Verachtung für ein kollektiv als schuldig eingestuftes Volk bis zu Beweisen von Verständnis und Mitgefühl für das Schicksal der von Verlust der Heimat Betroffenen".
.Wenn auch die Befragungen nicht repräsentativ sind, so zeigen sie doch, wie sensibel - auch von deutscher Seite aus gesehen - das Verhältnis zwischen den Menschen beider Völker immer noch ist. Deprimierend ist der Beitrag über die jüdische Gemeinde in Breslau, vor 1933 eine der größten in Deutschland. Heute zählt sie 298 Mitglieder, nach Warschau die zweitgrößte in Polen. Eine Kontinuität zwischen gestern und heute gibt es nicht, die Vernichtungsmaschinerie der Nazis hatte die gesamte jüdische Bevölkerung Breslaus ausgerottet.
In allen Beiträgen bemühten sich die Studenten um sensible und differenzierende Befragungen. Die Ergebnisse bringen wichtige Informationen und Einsichten und helfen, Stereotype abzubauen. Es wird trotz der Belastungen durch die Vergangenheit das Bild einer modernen und zukunftsorientierten Stadt in Europa vermittelt. Die Arbeit hilft, den Nachbarn besser kennenzulernen; sie sollte Fortsetzungen entlang der deutsch-polnischen Grenze finden - vornehmlich auch westlich der Oder.
Philip Ther, Tomasz Krolik, Lutz Henke (Hrsg.): Das polnische Breslau als europäische Metropole. Zu beziehen über die Europa-Universität "Viadrina", Frankfurt/Oder.
Karlheinz Lau war viele Jahre Schulleiter in Berlin; er lebt jetzt im Ruhestand.