In Deutschland werde bestraft, wer Werte schaffe, so unlängst Josef Ackermann, der Chef der Deutschen Bank. Nahezu als Majestätsbeleidigung sah er es an, dass er wegen Untreue beim Verkauf von Mannesmann an Vodafone angeklagt wurde. Werte schaffen, das bedeutet für Ackermann eine Kapitalrendite von 25 Prozent im Jahr, zu erzielen auch durch den Abbau tausender Arbeitsplätze. Werte schaffen wollen auch Konzerne wie etwa Elektrolux, die profitable Unternehmen schließen, weil sie sich anderswo wegen niedriger Löhne noch mehr Profit erhoffen.
Kritik an solchen Tendenzen im real existierenden Kapitalismus? Aus Sicht der Wirtschaftswissenschaften ist das unwissenschaftlich. Volks- und Betriebswirte verstehen unter "Wert" eine zentrale Kategorie, die nach der möglichen (materiellen) Bedürfnisbefriedigung, nach Tausch- oder Gebrauchswert, als Messergebnis der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, somit als finanzielle Größe angesehen wird. Hauptziel ist die Schaffung von "Mehrwert".
Wenn Philosophen oder Theologen andererseits von Werten reden, ist so etwas wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Solidarität, Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit gemeint - somit handlungsleitende Maximen, die als Voraussetzung für ein "gelingendes Leben" gesehen werden. Gefordert werden einfach "mehr Werte".
Den Versuch, die unterschiedlichen oder gar gegensätzlichen Auffassungen über "Werte" miteinander ins Gespräch zu bringen unternimmt der von den Eichstätter Theologen Uto Meier und Bernhard Sill herausgegebene Sammelband. Die über 30 Autorinnen und Autoren stehen meist in direkter Verbindung mit der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Die meisten Beiträge sind daher, nicht überraschend, von einer eher konservativ geprägten Interpretation der Katholischen Sozialethik bestimmt.
An dieser Universität Eichstätt kann heute der "Master of Ethical Management" erworben werden, der - auf Deutsch - Fähigkeiten und Kenntnisse in "Werteorientierter Personalführung und Organisationsentwicklung" (so auch der Untertitel) vermittelt. Welche theologischen, politischen, psychologischen, volks- und betriebswirtschaftlichen Überlegungen diesem Studiengang prägen, lässt sich hier nachlesen.
Explizit stellt Uto Meier das Konzept vor. Es handelt sich um ein berufsbegleitendes viersemestriges Aufbaustudium, das sowohl ethische als auch betriebswirtschaftliche Inhalte umfasst. Dass sich diese mit der Umgestaltung des deutschen Hochschulwesens auf "Bachelor" und "Master" durchaus mit traditionellen Darstellungsweisen verbinden lassen, zeigen die Herausgeber, indem sie die fünf Kapitel des ansprechend gestalteten und hervorragend lektorierten Bandes mit graeco-lateinischen Überschriften versehen.
Unter "Politica" kommen neben dem vormaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) der Präsident des Bayerischen Landtages, Alois Glück, und die Sozialministerin des Freistaates, Christa Stewens, (beide CSU) zu Wort. Frau Stewens geht in ihrem Beitrag mit nachdrücklicher Zustimmung auf den neuen Studiengang ein. Thierse legt in Grundzügen eine an den Grundwerten des Grundgesetzes orientierte internationale Politik dar ("Grundwerte für eine gerechte Weltordnung"). Glück fordert eine Unternehmensethik, die neben den betriebswirtschaftlichen Erfordernissen auch das "Gemeinwohl" im Auge hat. Das Beispiel AEG in Nürnberg lässt grüßen.
"Oeconomica" ist das lesenswerte zweite Kapitel überschrieben. Überzeugend setzt sich der Trierer Bischof Reinhard Marx, der als früherer Direktor der verdienstvollen Dortmunder sozialethischen Bildungsstätte "Kommende" und jetziger Vorsitzender der Kommission für Gesellschaftliche und Soziale Fragen der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz einschlägig bekannt ist, mit der Alternative von "shareholder"- und "stakeholdervalue" auseinander. Während für den ersten Ansatz vor allem das Wohl der Aktionäre im Mittelpunkt steht, will der von Marx befürwortete zweite Ansatz alle am Unternehmen Beteiligten angemessen berücksichtigen.
Dass der Verlust von (ethischen) Werten auch ganz handfest die Vernichtung riesiger materieller Werte und der Existenzgrundlage tausender Menschen bedeuten kann, weist der Kasseler Wirtschaftsethiker Michael Aßländer am Beispiel des zusammengebrochenen US-Energieversorgers Enron nach. Sein Fazit: "Dort, wo berufliches Ethos verfällt, die moralischen Spielregeln der Gesellschaft für die eigenen Zwecke ... umgedeutet werden und wo die Verantwortung gegenüber den Stakeholdern aus dem Blickfeld gerät, werden Rahmenordnungen langfristig ausgehöhlt." Unethische Verhaltensweisen von Unternehmensführungen lassen sich bekanntlich auch in Deutschland nachweisen.
In ähnlicher Weise verbinden auch die Kapitel "Paedagogica und Psychologica", "Philosophica" und vor allem auch "Theologica und Spiriutalia" die beiden eingangs genannten Auffassungen von "Wert". Für die Debatte um die ethischen Grundlagen der Wirtschaftsverfassung liefert der Band wertvolle Beiträge.
Uto Meier und Bernhard Sill (Hrsg.): Zwischen Gewissen und Gewinn - Werteorientierte Personalführung und Organisationsentwicklung. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2006; 512 S., 24,95 Euro
Friedhelm Wolski-Prenger, wohnhaft im niedersächsischen Emsbüren, arbeitet in der außerschulischen politischen Bildung besonders zu wirtschafts und sozialpolitischen Fragen.