Die Städte Bremen und Bremerhaven, die gemeinsam das Bundesland "Freie Hansestadt Bremen" bilden, werden gerne als "Schwesterstädte" bezeichnet. In Wirklichkeit benehmen sie sich oft wie großer Bruder und kleine Schwester: Nur
selten lieben sie sich; häufiger herrschen Neid und Missgunst. Zurzeit gibt es mal wieder Grund für die Bremerhavener, eifersüchtig zu sein: Die Bremische Bürgerschaft hat ihnen einen Parlamentssitz weggenommen und ihn den Bremern zugeschoben - wenn auch nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst ab der nächsten Bürgerschaftswahl im Frühsommer 2007.
Die Änderung des Wahlgesetzes gegen den Widerstand des Bremerhavener Magistrats ist allerdings keine Erfindung boshafter Bremer gegenüber den "Fischköppen" an der Wesermündung, sondern soll der Gerechtigkeit dienen. Denn Bremerhaven - derzeit 117.000 Einwohner - schrumpft kontinuierlich, während sich die Landeshauptstadt über einen leichten Zuwachs auf 546.000 Bürger freuen kann. Und im Parlament sollen beide Städte etwa proportional zur Größe ihrer Wählerschaft vertreten sein. Das ist bei der bisherigen Aufteilung - 67 zu 16 Sitze - allmählich nicht mehr gewährleistet, und deshalb gilt nach der nächsten Wahl 68 zu 15.
Der Bremer Staatsgerichtshof hatte den Abgeordneten eine Reform nahe gelegt. Ein Bürger hatte die Wahl 2003 angefochten, weil ihm schon damals die Sitzverteilung ungerecht erschien. Das Gericht ließ sie gerade noch durchgehen, sah aber für die Zukunft eine "Handlungspflicht", wenn sich die Einwohnerzahlen weiterhin so gegenläufig entwickeln.
Ohne eine Korrektur würde der "Erfolgswert" der Wählerstimmen zu weit auseinander driften: Bei der bisherigen Verteilung von 67 zu 16 Mandaten braucht ein Kandidat im Wahlbereich Bremen 7.072 Stimmen, um einen Parlamentssitz zu erringen; einem Bremerhavener Bewerber reichen dagegen 6.548 Voten. Die Erfolgschancen einer Wählerstimme liegen in Bremerhaven somit um 6,06 Prozent höher als im Landesdurchschnitt des Zwei-Städte-Staates - und in Bremen um 1,45 Prozent darunter. Der Staatsgerichtshof erlaubt aber höchstens fünf Prozent Abweichung von der "Erfolgswertgleichheit". Nach der Neuregelung differieren die Erfolgschancen nur noch zwischen minus 0,2 für Bremerhaven und plus 0,04 für Bremen.
Neben den Eifersüchteleien zwischen kleiner Schwester und großem Bruder war bei der Wahlrechtsreform auch die spezielle bremische Fünf-Prozent-Klausel zu bedenken: Wer in die Bürgerschaft einziehen will, muss nicht im gesamten Land, sondern nur in einer der beiden Städte die Sperrhürde überspringen. Die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) konnte so schon mehrfach via Bremerhaven in die Bürgerschaft einziehen. Je kleiner aber die Zahl der Bremerhavener Mandate wird, desto riskanter wird es für jene Parteien, die nur knapp die Hürde überwunden haben: Schon bisher brauchten sie rein rechnerisch 6,25 Prozent, um einen der 16 Sitze zu erobern - bei 15 Sitzen sind künftig sogar 6,67 Prozent nötig. SPD, CDU und Grüne vertrauten bei der Verabschiedung der Wahlrechtsreform aber auf das an der Weser geltende Auszählverfahren "Saint Lagué/Schepers". Das sorgt angeblich dafür, dass eine Partei, die in Bremerhaven fünf Prozent der Stimmen erringt, nur ein "sehr geringes" Risiko hat, kein Mandat in der Bürgerschaft zu erhalten, wie es in einer Landtagsdrucksache heißt.
Bei aller Unzufriedenheit über den Verlust des einen Parlamentssitzes können die Bremerhavener zumindest in einem Punkt nicht klagen: In der Landesregierung sind sie derzeit mit zwei von sieben Senatoren vertreten. Das ist nicht nur leicht überproportional, sondern auch ein Bruch mit der Tradition: Wie der Bremer "Weser-Kurier" kürzlich anmerkte, wurde im Senat noch vor wenigen Jahren höchstens ein einziger "versprengter Bremerhavener als eine Art politischer Randgeist geduldet".