Das Parlament: Beweist das Durcheinander bei der Bekämpfung der Vogelgrippe auf Rügen nicht die Notwendigkeit, das Paket der Föderalismusreform noch einmal aufzuschnüren und der Bundesebene mehr Macht zu geben? Damit Berlin die Dinge in die Hand nehmen und durchgreifen kann?
Krista Sager: Das föderale System hat seinen Fluch und seinen Segen. Seit Jahrzehnten belegt das Beispiel der Polizei die Richtigkeit der Theorie, dass man vor Ort schnell und angemessen reagieren kann. Zum Problem wird dieses Prinzip jedoch dann, wenn, wie jetzt bei der Vogelgrippe auf Rügen, regionale und lokale Behörden die gesamtstaatliche Dimension einer Krise nicht erkennen. Bei manchen Themen spricht viel für eine Stärkung der gesamtstaatlichen Ebene. Aber beim Aushandeln der Föderalismusreform war eine solch sachliche Prüfung von Fall zu Fall kaum möglich: Da galt einfach der Grundsatz des Gebens und Nehmens zwischen Bund und Ländern.
Das Parlament: Künftig soll zügiger und effizienter regiert werden. Ist das nicht etwas Positives?
Krista Sager: Die Reform des Föderalismus ist ohne Zweifel notwendig. Es ist richtig, die Blockadesituation im Bundesrat zu überwinden, indem man zwischen Bund und Ländern die Kompetenzen und die Verantwortlichkeiten klarer abgrenzt. Dabei erhält die regionale Ebene mehr Entscheidungsbefugnisse. Aber auch der Gesamtstaat muss mit den erforderlichen politischen Instrumenten ausgestattet werden, um etwa die Bundesrepublik bei der EU wirkungsvoll vertreten zu können oder um im Bildungswesen zwischen den Bundesländern die Mobilität der Bürger sicherzustellen. Und da liegt beim jetzigen Kompromiss doch einiges im Argen.
Das Parlament: Den Grünen scheinen nicht nur die Regelungen zur Bildungs- und Umweltpolitik nicht zu gefallen. Ihrer Partei passt offenbar das gesamte Konzept nicht.
Krista Sager: Beim Ringen um die Zuteilung von Kompetenzen ging es zwischen Bund und Ländern zu wie bei Tarifverhandlungen. Eine Verfassungsreform eignet sich jedoch nicht zu einem solchen Geschacher. Bei solchen Deals bleiben sachorientierte Lösungen auf der Strecke. Man hätte für so etwas Weitreichendes wie die Föderalismusreform einen Verfassungskonvent einberufen sollen. Im Übrigen dürften sich Regelungen, die sich als Fehlentscheidungen herausstellen, nachträglich nur schwer korrigieren lassen: Dann wäre nämlich auch wieder eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat wie im Bundestag nötig.
Das Parlament: Sehen Sie Chancen für Änderungen im Gesetzgebungsverfahren?
Krista Sager: Ich werfe die Flinte noch nicht ins Korn. Bei der Neuverteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern wird man wohl im Grundsatz nichts mehr machen können. Allerdings sollten CDU und SPD die fundierte Kritik auch von Fachleuten an einzelnen Regelungen, vor allem in der Bildungs- und Umweltpolitik, ernst nehmen. So fürchtet selbst die Wirtschaft, dass ihr durch regional unterschiedliche Regelungen für den Umweltbereich das Leben schwer gemacht wird. Es geht doch nicht um einen Wettbewerb um möglichst unterschiedliche Länderregelungen. Im Wettbewerb stehen die Unternehmen, und die brauchen bundesweit einen einheitlichen und transparenten Rechtsrahmen.
Das Parlament: Wird Annette Schavan die letzte Bundesbildungsministerin sein, weil diese Funktion künftig auf die Kultusministerkonferenz (KMK) übergeht?
Krista Sager: Jedenfalls arbeitet sie mit großem Nachdruck an diesem Ziel. Nach dem ausgehandelten Konzept wird Frau Schavan für die im Koalitionsvertrag vereinbarten bildungspolitischen Vorhaben zum Teil gar nicht mehr zuständig beziehungsweise handlungsfähig sein. Aber es geht nicht um die Person der Ministerin, politisch ist diese Entwicklung nicht akzeptabel.
Das Parlament: Die Reform soll gerade in der Bildungspolitik einem innovativen Föderalismus den Weg ebnen. Die neuen Entscheidungsbefugnisse der Länder liegen doch in der Tradition der regionalen Kulturhoheit, die durch Wettbewerb das Bildungswesen insgesamt voranbringen soll. Und eine präzisere Kompetenzabgrenzung soll Reibungsverluste zwischen Bund und Ländern besser als bisher vermeiden helfen. Das sind doch in sich stimmige Überlegungen.
Krista Sager: An der traditionellen Schulkompetenz der Länder rüttelt ja auch niemand. Auch wenn sich im Schulbereich der Föderalismus bisher nicht durch gute Ergebnisse legitimiert, wie die PISA-Vergleiche belegen. Doch auch hier gilt, dass die Länder nicht um möglichst unterschiedliche Gesetze konkurrieren sollten - im Wettbewerb stehen doch die einzelnen Schulen und Hochschulen. Finnland macht das viel sinnvoller: Dort existiert auf nationaler Ebene ein klarer und verbindlicher Gesetzesrahmen, und innerhalb dieses Rahmens treten relativ autonome Bildungseinrichtungen untereinander in den Wettbewerb um Qualität. Wir brauchen republikweit nicht weniger, sondern mehr einheitliche Standards und Strukturen.
Das Parlament: Welche Probleme sehen Sie konkret auf das Bildungswesen zukommen? Kann man wirklich von Kleinstaaterei sprechen?
Krista Sager: Da ist schon was dran. Es ist international einmalig, dass es der Zentralregierung verboten werden soll, Geld für Schulen und Universitäten zu geben. Natürlich sollen die Länder für das Schulwesen verantwortlich sein. Aber es ist doch ein Unding, dass der Bund so etwas wie das Programm zum Ausbau von Ganztagsschulen nicht mehr auflegen kann. So wird der Bundesebene die Möglichkeit genommen, republikweit etwas für eine Angleichung der Chancen für junge Menschen zu tun. Stattdessen werden sich die Ungerechtigkeiten und das Ungleichgewicht zwischen armen und reichen Ländern vertiefen. Im Hochschulbereich darf der Bund nur noch bei Forschungsvorhaben mit überregionaler Bedeutung mitwirken. Dabei müssten die Zugänge zu Unis und deren Abschlüsse einheitlich geregelt sein. Bundesweit steigen die Zahlen der Studienbewerber, gleichzeitig streichen die meisten Länder Studienplätze. Da müsste der Bund doch etwas zur Lösung dieser Aufgabe beitragen können! Der Hochschulbau ist nur noch eine Länderaufgabe, wobei Berlin seinen bisherigen finanziellen Anteil bis 2019 den Ländern überweist - die ihrerseits aber nicht in der Pflicht stehen, ihre Beiträge in der jetzigen Höhe weiterhin zur Verfügung zu stellen. Die Liste negativer Beispiele ließe sich fortsetzen.
Das Parlament: Die Grünen kritisieren auch die Regelungen zur Umweltpolitik. Aber ist es nicht ein Fortschritt, wenn künftig mehr Umweltgesetze bundesweit gelten?
Krista Sager: Wir halten ein einheitliches Umweltgesetzbuch für zwingend erforderlich, man denke nur an die übergreifende Herausforderung des Klimaschutzes. Aber die Föderalismusreform erkennt den Ländern das Recht zu, von den republikweiten Standards abzuweichen. Das führt zu einer Zersplitterung der Rechtslage. Die Wirtschaft freut das nicht: Unternehmen erwarten eben, dass Umweltauflagen bei Investitionen allerorten gleich gehandhabt werden.
Das Parlament: Fürchten Sie bei Industrieansiedlungen einen Wettlauf um die niedrigsten Öko-Standards, um so Investoren anzulocken?
Krista Sager: Diese Gefahr beim Standortwettbewerb ist nicht von der Hand zu weisen. Ob es dazu kommt, hängt von dem Rang ab, den der Umweltschutz auf Länderebene hat. Leider ist festzustellen, dass in vielen Landesregierungen das Gewicht der Umweltpolitik stetig abnimmt.
Das Interview führte Karl-Otto Sattler