Bundespräsident Johannes Rau hat in
seiner stark wahrgenommenen „Berliner Rede” zur
Bioethikdebatte am 18. Mai 2001 die Anforderungen an die Politik
sehr treffend formuliert: „Eine der Schwierigkeiten der
Debatte, die wir führen müssen, liegt darin, dass die
wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen so schnell
fortschreiten. Wir kommen kaum noch dazu, ihre Chance und ihre
Risiken kritisch zu reflektieren. Beschleunigung und wachsender
Zeitdruck sind aber selbstgemachte Sachzwänge, denen wir uns
nicht ausliefern dürfen. Ethische Reflexion darf nicht zum
moralischen Deckmantel längst getroffener Entscheidungen
verkommen.”
Eine ethische Güterabwägung als integrativer Bestandteil
moderner Politik ist nicht selbstverständlich. Im Ausland sind
jedoch Ethikräte, die den Regierungen als Beratergremium zur
Verfügung stehen, durchaus etabliert: In Italien etwa wurde
bereits 1990 per Ministerpräsidentenbeschluss das
„Comitato Nazionale per la Bioetica” gegründet.
Viele andere europäische, vor allem auch osteuropäische
Länder folgten in den 90er-Jahren. Diesen Gremien fällt
in der Regel auch die Aufgabe zu, den gesetzgeberischen
Handlungsbedarf zu ermitteln.
In den USA gründete George W. Bush 2002 ein eigenes
„President's Council on Bioethics”, nachdem er ein
ähnliches aufgelöst hatte, das sein Vorgänger Bill
Clinton 1995 etabliert hatte. Das Beispiel deutet an, dass
derartige Gremien immer ein Legitimationsproblem haben. Da sie in
der Regel von Regierungschefs besetzt werden, stehen sie unter
Verdacht, nicht neutral zu sein, sondern interessengeleitet.
Dieses Schicksal erlitt auch der von Gerhard Schröder (SPD)
per Kabinettsbeschluss 2001 ins Leben gerufene Nationale Ethikrat,
der sich zwar unter Leitung des Rechtswissenschaftlers Spiros
Simitis um große Transparenz und Öffentlichkeit
bemüht hat. Wie stark sein Einfluss letztlich jedoch war, ist
unklar. Als struktureller Konflikt war sicherlich angelegt, dass
sich das Parlament nicht etwas von einem externen Expertengremium
des Kanzlers aufdrängen lassen wollte. Gerade die in der
Bioethikdebatte aktiven Parlamentarier und Mitglieder der
Enquete-Kommissionen fielen durch eine eher ablehnende Haltung auf,
sodass sich eher bezweifeln lässt, dass die aufwendig
erarbeiteten Empfehlungen und Expertisen des Nationalen Ethikrates
in der Legislative auf großes Interesse gestoßen
sind.
Unter der Großen Koalition wurden daraus Konsequenzen
gezogen: Einerseits wurde nun der Deutsche Ethikrat per
Gesetzesbeschluss 2007 ins Leben gerufen, der den Nationalen
Ethikrat ablösen sollte. Seitdem sind nicht nur
Bundesregierung, sondern hälftig auch der Bundestag
berufungsberechtigt — allerdings entsprechend dem jeweils
aktuellen Fraktionsproporz. Das bedeutet, dass die Opposition nur
geringe Mitspracherechte hat. Der Ethikrat ist ein Expertengremium,
Politiker sind dort in der absoluten Minderheit. Er besteht nicht
nur aus Geisteswissenschaftlern oder Theologen, deren Fachgebiete
Ethik oder Philosophie sind, sondern vor allem aus
Naturwissenschaftlern und Juristen. Laut Gesetz ist dieser Rat
unabhängig und der Aufgabe verpflichtet, über
gesellschaftspolitische Themen zu informieren und öffentliche
Diskussionen anzuregen, Stellung zu nehmen und Empfehlungen
für politisches Handeln zu erarbeiten.
Die Einrichtung eines ständigen neunköpfigen
Parlamentarischen Beirates für Ethikfragen des Bundestages im
April 2008 ist als direkte Reaktion der Parlamentarier auf den
Deutschen Ethikrat zu sehen. Der mit den Fachpolitikern der
Fraktionen besetzte Beirat soll garantieren, dass ethische Fragen
nicht am Parlament vorbeidiskutiert werden. René Röspel
(SPD) ist Vorsitzender des Gremiums. Eine Themenagenda steht noch
nicht fest, es soll laut Röspel jedoch additiv zu den Themen
des Deutschen Ethikrates agieren.
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Text: Corinna Emundts
Erschienen am 18. Juni 2008
Mitglieder des Ethikbeirats
Parlamentarischer Beirat zu Fragen der Ethik insbesondere in den
Lebenswissenschaften
Vorsitzender: René Röspel, SPD
Stellvertretende Vorsitzende: Ilse Aigner, CDU/CSU
Mitglieder CDU/CSU: Ilse Aigner, Jürgen Gehb, Annette
Widmann-Mauz
Stellvertreter: Norbert Geis, Hubert Hüppe, Michael
Kretschmer
Mitglieder SPD: Carola Reimann, René Röspel, Marianne
Schieder
Stellvertreter: Peter Friedrich, Matthias Miersch, Jörg
Tauss
Mitglied FDP: Ulrike Flach; Stellvertreter: Michael Kauch
Mitglied Die Linke: Petra Sitte; Stellvertreter: Bodo Ramelow
Mitglied Bündnis 90/Die Grünen: Priska Hinz
Stellvertreterin: Birgitt Bender