Kambodscha
Stellvertreter Pol Pots verhaftet
"Bruder Nummer Eins" muss keinen irdi-schen Richter mehr fürchten. Der Massen-mörder Pol Pot, dessen Terrorregime vor dreißig Jahren fast zwei Millionen Kambod-schaner das Leben kostete, ist seit neun Jahren tot. Seine wichtigsten Weggefährten aber stehen kurz vor der Anklage: Das internationale Tribunal, um das viele Jahre zwischen den Vereinten Nationen und der kambodschanischen Regierung gerungen wurde, nimmt Fahrt auf. Fünf Ermittlungsverfahren sind inzwischen eingeleitet worden. Der frühere Direktor des berüchtigten Foltergefängnisses "S21", Kaing Khek Ieu, genannt Duch, sitzt bereits in Haft. Vergangene Woche wurde der "Bruder Nummer Zwei"- früherer Stellvertreter Pol Pots und Chefideologe des Regimes -, Nuon Chea, verhaftet. Juristen am Tribunal werten das als großen Fortschritt. Jürgen Assmann, der die kambodschanische Chefanklägerin Chea Leang berät, gibt zu erkennen, dass mit Hochdruck weiter ermittelt wird.
Auf der Anklagebank dürften bald weitere Spitzenfunktionäre der Roten Khmer sitzen wie der frühere Staatschef des "Demokratischen Kampuchea", Khieu Samp-han, der Ex-Außenminister Ieng Sary und dessen Frau Ieng Thirith, ehemals Sozialministerin. Sie hat Zwangsehen und Umerziehungslager zu verantworten. Alle sind um die 80 Jahre alt.
Khieu Samphan lebt - wie bis vor kurzem auch Nuon Chea - unbehelligt in Pailin, an der Grenze zu Thailand. Ieng Sary wohnt in einer alten Villa neben der russischen Botschaft in Phnom Penh und soll sich mit Ministerpräsident Hun Sen gut verstehen. Der Premier war auch ein Khmer Rouge und lief zu den Vietnamesen über, die ihn zunächst als Außenminister in Kambodscha einsetzten. Es ist kein Geheimnis, dass in Huns Sens Regierung noch weitere Khmer Rouge sitzen, die das Tribunal fürchten. "Sie haben Blut an den Händen und fahren Luxusautos," meint ein Politiker bitter. In den Provinzen sagen die Bauern, wenn die Sprache auf die Pol-Pot-Zeit kommt: "Wir leben auch heute noch inmitten von Tigern."
Zu befürchten haben die "Tiger" der Roten Khmer allerdings wenig, da vor dem Tribunal gesetzlich verankert wurde, nur die absolute Führungsebene zur Rechenschaft zu ziehen. Dies sei, so Experten vor Ort, im Blick auf den sozialen Frieden im Lande unvermeidlich gewesen. Es gibt aber auch Kambodscha-Kenner, die vom Gegenteil überzeugt sind: Die Enttäuschung werde sich in Zorn entladen, wenn nur die angeklagt werden, an deren Schuld ohnehin kein Zweifel besteht.
Hun Sen hat zwar die Vereinten Nationen bereits 1997 formell gebeten, beim Aufbau eines Tribunals zu helfen, doch ließ er keine Gelegenheit ungenutzt, den Gerichtshof zu torpedieren. Als der Regierungschef dem Druck aus dem Ausland nachgeben musste, ließ er kambodschanische Richter in das Tribunal entsenden, die zwar keine Examensabschlüsse vorweisen können, dafür aber gute politische Beziehungen. Dass die Regierung nur 1,5 Millionen Dollar zu den Prozesskosten beisteuerte, halten sogar Kambodschaner für einen Skandal. Dies sei weniger als ein Dollar pro Opfer. Das mit kambodschanischen und internationalen Juristen besetzte Tribunal ist mit einem Mandat für drei Jahre und 56 Millionen Dollar ausgestattet. In Phnom Penh halten sich Gerüchte, das Geld sei bereits nahezu aufgebraucht. Angeblich haben kambodschanische Richter am Tribunal Teile ihres Gehalts an Regierungsstellen abführen müssen. Nun wird mit Spannung erwartet, ob andere Länder oder die UN "nachschießen".
Und neue Hindernisse türmen sich auf. Der oberste Ermittlungsrichter am Tribunal wurde, ohne dass die internationale Seite des Tribunals davon erfuhr, zum Präsidenten des Berufungsgerichts in Phnom Penh ernannt. Sein potenzieller Nachfolger Thong Ol wird Monate brauchen, um sich einzuarbeiten. Die Präsidentin des Appellationsgerichts wurde wegen Korruptionsvorwürfen abgelöst.
Auch beim Zeugenschutz hapert es. Zwar hatte Michelle Lee, UN-Koordinatorin für das Tribunal, anfangs einen "bestmöglichen Zeugenschutz" versprochen, doch ist bis heute nicht viel geschehen. Dabei muss gerade in Kambodscha, wo immer noch Menschen aus politischen Gründen umgebracht werden, der Schutz der Opfer absolut im Vordergrund stehen. Für jeden Zeugen - es wird mit mehreren hundert gerechnet - müsste eine Risikoanalyse erstellt werden. "Dafür aber gibt es keine Kompetenz im Land," stellt ein westlicher Beobachter fest.
Um diese zu schaffen, springen die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) ein und arbeiten mit einigen kambodschanischen NGOs zusammen. Im Vordergrund steht, betont der Leiter des DED in Phnom Penh, Wolfgang Möllers, eine umfassende psychologische Betreuung für Opfer und Zeugen.