Der Druck auf die Unions-Fraktion im Bundestag wächst, den Weg für eine Behandlung Schwerstabhängiger mit Heroin auf Kassenkosten frei zu machen. Der Bundesrat beschloss am 21. September, einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen. Dort steht nun die CDU/CSU-Fraktion vor der Frage, ob sie ihre bislang strikte Ablehnung aufgibt, oder ob sie gegen ihre Parteifreunde in den Ländern stimmt. Denn die Bundesratsinitiative wurde von den CDU-geführten Ländern Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Niedersachsen gestartet.
Der Gesetzentwurf der Länderkammer sieht vor, dass synthetisch hergestelltes Heroin, so genanntes Diamorphin, als verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel eingestuft wird. "Damit bleibt die Verschreibungsfähigkeit für andere Behandlungszwecke - etwa die Schmerztherapie - ausgeschlossen", heißt es in dem Entwurf. Der Zugang zu Diamorphin soll auf Schwerstabhängige, die nach den herkömmlichen Methoden, etwa mit einer Methadon-Substitution, nicht therapierbar sind, beschränkt werden. Als Kriterien werden ein Mindestalter von 23 Jahren und eine Mindestabhängigkeitsdauer von fünf Jahren genannt. Zudem müssten zwei erfolglose Therapien absolviert worden sein.
Der Vorstoß der Länder geht auf Erfahrungen zurück, die während einer Arzneimittelstudie in den Städten Bonn, Frankfurt am Main, Köln, Hannover, Karlsruhe und München seit 2002 gemacht worden sind. Während einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages appellierten Vertreter der Städte einmütig für die Einbeziehung der Methode in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach dem endgültigen Auslaufen des Projektes im Juni arbeiteten die Ambulanzen auf Grundlage von Sondergenehmigungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zwar weiter; neue Patienten konnten sie aber kaum aufnehmen, da aufgrund der fehlenden gesetzlichen Grundlage die dauerhafte Finanzierung nicht gesichert ist.
Die Befürworter der Behandlungsmethode - in der Anhörung in der Mehrheit - verwiesen darauf, dass sich die Gesundheit von rund 80 Prozent der mit Diamorphin Behandelten verbesserte. Kriminaloberrat Helmut Süßen von der Gewerkschaft der Polizei sagte, die im Heroinprojekt Behandelten seien "deutlich weniger auffällig" als andere Abhängige.
Grundlage der Anhörung war ein gemeinsamer Gesetzentwurf der Oppositionsfraktionen ( 16/4696 ) sowie einzelne Anträge von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und der FDP ( 16/2075 , 16/2503 , 16/3840 ). Die SPD-Fraktion hatte mit Rücksicht auf den Koalitionspartnern einen eigenen Vorstoß zurückgestellt. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk (SPD), begrüßte nun im Bundesrat die Initiative der Länder. Sie betonte, einer kleinen Gruppe, die durch kein anderes Hilfsangebot erreicht worden sei, solle "eine zweite, letzte Chance" gegeben werden. Die Hamburger Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) fügte hinzu, es gehe um eine "zusätzliche, aber nachrangige Therapieoption". Ziel sei die schrittweise Wiederherstellung der Abstinenz.
Die Unions-Fraktion hingegen argumentiert, die Datenbasis sei zu gering, um zu belegen, dass die Diamorphin- der Methadonbehandlung überlegen sei. Zudem lasse sich nach den vorgeschlagenen Kriterien die Gruppe der zu Behandelnden nicht klar eingrenzen, was zu unkalkulierbar hohen Kosten für die gesetzlichen Krankenkassen führen könne.
Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen unterstützten in der Anhörung die Bedenken und lehnten eine Aufnahme der Therapieform in ihr Regelangebot ab. Der Leiter des Stabsbereichs Medizin des AOK-Bundesverbandes, Bernhard Egger, führte die im Vergleich zur Methadonbehandlung deutlich höheren Kosten der diamorphingestützten Therapie an, die rund 15.000 Euro pro Jahr und Behandelten betrügen. Bei 10.000 Patienten fielen Ausgaben in Höhe von rund 150 Millionen Euro an, während die Methadonbehandlung für einen gleich großen Personenkreis nur etwa ein Drittel davon koste. Der Einzelsachverständige Christoph Tolzin äußerte die Befürchtung, die Aufnahmekriterien könnten auf eine Zahl von 60.000 bis 70.000 zu versorgenden Abhängigen hinauslaufen.
Diese Vermutung wiesen die an dem Modellprojekt beteiligten Städte strikt zurück. Die Therapie sei für viele Abhängige "überhaupt nicht attraktiv", da sie mit starken Restriktionen verbunden sei, sagte etwa die Kölner Sozialdezernentin Marlis Bredehorst. Der Leiter des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung in Hamburg und Leiter der Studie zu den Modellversuchen, Prof. Christian Haasen, unterstrich: "Es wird keinen Ansturm geben." Dies zeigten auch Erfahrungen aus der Schweiz.