CSU-PARTEITAG
Edmund Stoibers Rückzug geschieht nicht freiwillig. Die Delegierten werden ihm dennoch zujubeln.
In der CSU beginnt eine neue Zeitrechnung: Auf ihrem Parteitag am 28. und 29. September in München wählt sie einen neuen Vorsitzenden, da Edmund Stoiber nicht mehr antritt. Die Zäsur wird umso krasser ausfallen, da Stoiber in diesen Tagen auch sein Amt als Ministerpräsident nach 14 Jahren niederlegt.
Erstmals kommt es bei der Vorsitzendenwahl zu einer Kampfabstimmung, nachdem gleich drei Bewerber antreten: Neben dem chancenreichsten Wirtschaftsminister Erwin Huber auch Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer und die Fürther Landrätin Gabriele Pauli. Bereits am ersten Tag verabschiedet der Parteitag das neue Grundsatzprogramm der CSU - zwei Monate vor der CDU.
Die Begleitumstände dieses für CSU-Verhältnisse sensationellen Parteitags sind so facettenreich wie teilweise kurios und kennzeichnen die ungewöhnliche Situation der bayerischen Allein-Regierungspartei mit ihrem bundespolitischen Anspruch. Der rastlose und ständig von Erfolgszwang getriebene Stoiber tritt keineswegs freiwillig von der großen Bühne ab. Vielmehr haben ihn Partei und vor allem die Landtagsfraktion angesichts deutlicher Popularitätsverluste dazu getrieben. Auslöser waren sein verunglücktes Berlin-Abenteuer, die Affäre um die "Bespitzelung" des aufmüpfigen CSU-Vorstandsmitglieds Gabriele Pauli und eine mehrdeutige Antwort Stoibers zu seiner beabsichtigten Rest-Amtszeit ("ich mache keine halben Sachen").
Trotzdem wird der Parteitag Stoiber so machtvoll zujubeln, dass auf Anhieb unverständlich ist, warum die 1100 Delegierten denn in aller Welt einen neuen Chef wählen sollen. Wo doch die CSU auch in Umfragen trotz intensiver Selbstbeschäftigung mit unglaublichen 54 bis 58 Prozent punktet und die Opposition von dem ganzen CSU-Theater nicht profitieren kann.
Stoiber seinerseits wird über jene, die ihn vom Thron stürzten und ihn nun beerben wollen, wohl nur Gutes sagen und ihnen seine Unterstützung zusichern. Die Partei wird Geschlossenheit und Einigkeit demonstrieren, denn nur so kann sie ihre starke politische Rolle weiterspielen. Wider alle Vorhersagen überstand sie nicht nur die Auseinandersetzungen zwischen grollenden "Stoiberianern", die den Parteichef als Opfer einer heimtückischen Verschwörung sahen, und den für Erneuerung stehenden "Umstürzlern" erstaunlich unbeschädigt.
Ebenso lief der Machtkampf zwischen dem eher als Wirtschaftspolitiker geltenden Huber und dem schon als "Herz-Jesu-Sozialist" apostrophierten Seehofer ohne sichtbare Blessuren ab. Jeder der beiden weiß, wie wichtig der andere auch für die künftige Wählerbindung ist.
Stoiber - dessen immenser Ehrgeiz, immer und überall der Erste zu sein, manchen Menschen zunehmend nervte - will den Übergang jetzt reibungslos gestalten, dafür sind ihm alle dankbar. Dazu garantiert auch der Parteitags-Fahrplan besondere Ovationen für den Scheidenden: Stoiber feiert am ersten Tag des Konvents noch voll in Amt und Würden seinen 66. Geburtstag. Kanzlerin Angela Merkel wird als höchstmögliche Lobrednerin erwartet. Erst am folgenden Tag sollen die Delegierten dem von der CSU-Landtagsfraktion bereits nominierten künftigen Ministerpräsidenten Günther Beckstein ihren Segen geben.
Bis zuletzt hatte Stoiber seiner Umtriebigkeit freien Lauf gelassen, hatte sein Zukunftsprogramm Bayern 2020 inszeniert, für den Transrapid gefochten, das Kabinett mit allen möglichen Initiativen angetrieben und bei Auslandsreisen, wie zu Putin, seine internationale Bedeutung demonstriert. Neuerdings steht er im Rampenlicht mit dem Angebot von EU-Kommissionspräsident Barroso, in Brüssel ein hochrangig besetztes Gremium zum Bürokratieabbau zu leiten. Und dann hatte er noch seinen größten früheren Gegenspieler, Altkanzler Gerhard Schröder, in sein Wolfratshausener Heim zur Brotzeit eingeladen. Schröder lobte vor laufenden Kameras: "Edmund Stoiber, das war Bundesliga. Was jetzt kommt, die See-Hubers, das ist bestenfalls Kreisklasse."
Erwin Huber bleibt bei der Frage nach dem Gewicht der CSU unter seiner Führung freilich gelassen: "Das entsteht durch Wahlergebnisse, nicht durch die Persönlichkeit des Vorsitzenden." Franz Josef Strauß, so fügt er hinzu, habe ihn schon seinerzeit als Generalsekretär mit der Aufgabe betraut, das bundespolitische Gewicht der CSU herauszustellen. Für die Zukunft will Huber, den manche gern als "Provinzpolitiker" kleinzureden versuchen, den Einfluss der Partei in Berlin "erhalten und mehren". Für 2009 plant er eine Bundestags-Kandidatur. Als künftiger Parteichef will er "die Mannschaftsarbeit stärken" und "die Kreativität in der Partei stärker einbinden". Die vier Säulen der Partei auf kommunaler, bayerischer, bundes- und europapolitischer Ebene sollen nicht nebeneinander arbeiten, sondern zusammen "Politik aus einem Guss" machen. Statt deutlicher Verjüngung, wie sie Konkurrent Seehofer auf der Führungsebene im Bund wie im Land durchziehen will, kündigt Huber ein "Miteinander von Jung und Alt" an. Seehofer wiederum werden die schlechteren Chancen auf den CSU-Vorsitz eingeräumt. Dem früheren Parteiliebling haben die negativen Schlagzeilen über sein - inzwischen geordnetes - Privatleben geschadet. Doch Seehofer - "natürlich, wenn man antritt, will man gewinnen" - bleibt optimistisch: "Entschieden ist erst, wenn ausgezählt ist. Jetzt schauen wir mal, wie der Parteitag läuft." Er habe auch bei einem schlechteren Abschneiden "überhaupt keine Schmerzgrenze. Das geht anschließend wieder normal weiter". Seehofer will für den Erfolg der CSU weiterarbeiten und für Wählerstimmen sorgen - "ob ich jetzt Vorsitzender bin oder nicht". Ersatzweise dann eben als Vize. Die CSU würde er als "moderne, frische, konservative Partei" führen und eine ganze Palette inhaltlicher Fragen auf die Tagesordnung bringen: von der Familien-, Umwelt-, Steuer- und Schuldenpolitik bis zur Forschungspolitik.
Von Gabriele Pauli schließlich, die als dritte Kandidatin antritt und vor einem Jahr mit öffentlicher Kritik am Parteichef für den Anfang vom Ende der Ära Stoiber gesorgt hatte, fühlen sich viele in der Partei nur noch provoziert. Dies besonders, seit sie vergangene Woche in ihrem persönlichen Wahlprogramm unter anderem vorgeschlagen hat, Ehen nach sieben Jahren "auslaufen" zu lassen beziehungsweise "aktiv Ja" zu einer Verlängerung zu sagen. Von fast allen Partei-Oberen hagelte es empörte Kommentare, Stoiber legte Pauli den Parteiaustritt nahe. Ihre vielen Gegner werfen ihr auch Magazin-Fotos vor, die die "schöne Landrätin" (und Motorradfahrerin) unter anderem mit schwarzen Latex-Handschuhen zeigen. Frau Pauli, seit 18 Jahren im Parteivorstand, beteuert, ihr gehe es nur darum, die CSU moderner auszurichten.
Rund zwei Jahre feilte die CSU akribisch an ihrem neuen Grundsatzprogramm, das nun verabschiedet wird. Dem Leiter der Grundsatzkommission, Alois Glück, zufolge findet es inzwischen ein "hohes Maß an Zustimmung und Übereinstimmung" nicht nur in der CSU, sondern auch in gesellschaftlichen Gruppierungen. Für besonders bedeutsam hält der Partei-Vordenker eine "neue Balance von Eigenverantwortung und solidarischem Handeln", wobei Ersteres Vorrang habe.
Der Versorgungsstaat sei ein Irrweg. Ausgehend von der christlichen Wertorientierung der Partei gilt als neues Leitbild die "Solidarische Leistungsgesellschaft". Sie sei die Antwort auf die Fehlentwicklungen in den letzten Jahrzehnten: Der Anspruch auf Solidarität "wurde zu häufig vor die Eigenverantwortung gestellt, die Bedeutung von Leistung und Leistungsbereitschaft für den Menschen und die Gesellschaft oft verkannt, das Subsidiaritätsprinzip verletzt, Freiheit eingeschränkt, Abhängigkeiten wurden geschaffen", heißt es in dem Entwurf. Gleichwohl bekennt sich die Partei zu einer "starken Sozialkultur": Schwache, Behinderte, Pflegebedürftige, Kranke und sozial Benachteiligte "müssen sich auf unsere Solidarität verlassen können".
Als neue Herausforderungen nennt das Programm neben der demographischen Entwicklung die Globalisierung. Die CSU sieht in ihr auch eine kulturelle Herausforderung. Dabei stifte die Wertschätzung der eigenen Kultur Identität und Zusammenhalt und sei Voraussetzung für den Dialog mit anderen Kulturen, heißt es, "in Nation und Heimat finden die Menschen Halt und Geborgenheit in der globalen Welt".
Wiederholt steht das Wohl der künftigen Generationen im Mittelpunkt. Kritisch eingeräumt wird, "dass wir seit vielen Jahren über unsere Verhältnisse und vielfach zu Lasten unserer Nachkommen leben". Daraus ergebe sich eine neue Dimension der Verantwortung. Gefordert werden der Abbau der öffentlichen Schuldenberge und ausgeglichene Haushalte ohne neue Schulden, gerechte Lastenverteilung zwischen Jüngeren und Älteren, Kinderlosen und Familien sowie Generationengerechtigkeit bei den Sozialsystemen.
Heiß diskutiert wurde über Ehe und Familie. Diese stünden unter dem "besonderen Schutz des Staates", so das Grundsatzprogramm. Es räumt aber auch ein: "Partnerschaftliche Lebensentwürfe zu verwirklichen und Kinder auf das Leben vorzubereiten, kann in ganz unterschiedlichen Strukturen gelingen." Dagegen lehnt die CSU eine rechtliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften mit der Ehe und ein entsprechendes Adoptionsrecht weiterhin ab. Sie "anerkennt" immerhin, "wenn in diesen Partnerschaften Menschen füreinander einstehen und verlässliche Verantwortung und Sorge füreinander übernehmen".